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St. Galler Volksblatt. Nr. 53, Uznach, 02. 07. 1890.

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Uznach, Mittwoch   No   53. den 2. Juli 1890.


St. Galler-Volksblatt.
Publikationsorgan der Bezirke See und Gaster.
Obligatorisch in den Gemeinden Uznach, Jona, Eschenbach, Schmerikon, St. Gallenkappel, Ernetschwil, Gommiswald.

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Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adresse in der Schweiz
halbjährlich Fr. 2. 50 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 30 Rp. Bei der eidgen.
Post jährlich Fr. 5. -- Rp., halbjährlich Fr. 2. 60 Rp., vierteljährlich Fr. 1.
40 Rp. Für das Ausland (Postverein) jede Nummer mit Adresse halbjähr-
lich Fr. 5. -- Rp., wöchentlich ein Mal halbjährlich Fr. 3. 50 Rp.


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35. Jahrgang.

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Insertionsgebühr für den Seebezirk und Gaster (ohne Vermittlung der
Inseratenbureaux): Die kleinspaltige Petitzeile oder deren Raum 10 Rp. --
Für die übrigen Inserenten kostet die kleinspaltige Petitzeile oder deren Raun
15 Rp Bei Wiederholungen Rabatt. -- Inserate müssen jeweilen bis spä-
testens Dienstag und Freitag, Vormittags 9 Uhr, abgegeben werden.




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Erscheint Mittwoch und Samstag.


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[Abbildung] Druck und Verlag von K. Oberholzer's Buchdruckerei. [Abbildung]

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Für das zweite Halbjahr kann auf das
"St. Galler Volksblatt"
(mit Gratis-Beilage: "Linth-Blätter")
bei allen Postämtern, sowie bei den Verträgern in den
Gemeinden und bei der Expedition abonnirt werden.
Zu zahlreichen Bestellungen ladet höflichst ein
Die Expedition.
[Abbildung] Abonnenten, die das "Volksblatt" bei der Post
bestellt haben, sind ersucht, die Bestellung rechtzeitig zu
erneuern.



Der Schatten wichtiger Ereignisse.



"Die Menschen steh'n so kalt und leer,
Die Worte fliegen hin und her,
Von Eigennutz getrieben,
Von jener Freiheit ächt und rein
Ist das Gerippe fast allein
Uns noch zurückgeblieben!"

Alea jacta est -- der Würfel des Schicksals ist
geworfen! Den Fuß einmal auf eine schiefe Ebene gesetzt,
geht der Lauf in gleicher Richtung immer rascher bergab.
Wenn uns unsere Ahnung und unsere auf Induktions-
schlüssen beruhende Berechnung nicht gar sehr irre führt,
so geht die schweizerische Eidgenossenschaft einer völligen
politischen und finanzwirthschaftlichen Um-
gestaltung
entgegen. An den Ankauf der Jura-Sim-
plon-Eisenbahnaktien knüpft sich enge die Erwerbung
des schweizerischen Eisenbahnnetzes durch den
Bund
. -- Der Gedanke ist zwar schon in den zwei
letzten Nummern unseres Blattes erörtert worden, wir
können aber bei dem hochernsten Wendepunkte auch heute
noch nicht ohne ein beklemmendes Gefühl vorübergehn.
Als das römisch-byzantinische Reich seinem raschen Verfalle
entgegenging und Kaiser Heraklius im Jahre 641 Syrien
den Arabern für immer überlassen mußte, rief er noch
zurückweichend, von Schmerz übermannt: "Vale Syria et
ultimum vale
-- lebe wohl, Syrien, zum letzten Male,
lebe wohl!" Gewiß gab es in den Sälen der schwei-
zerischen Legislative bei jenem denkwürdigen Kaufabschluß
mehr als ein patriotischer Abgeordneter, den in die Zu-
kunft seinen Blick werfend, ein Gefühl beschleichen mochte,
wie den oströmischen Kaiser bei seinem letzten Blick auf
Syrien; die Ehe der Eisenbahnen mit dem Bund mochte
ihnen wie eine furchtbare Bedrohung erscheinen: man
fürchtet den Eintritt dieser mächtigen Familie in das alte
patriarchalische Haus der verbündeten Kantone, wo gleich-
berechtigte und in ihren Ansprüchen einfache Brüder so
lange Zeit mit einander gelebt haben. Die neue 1848er
Eidgenossenschaft hat an sich schon etwas Herrisches, Ge-
waltsames; wie wird das kommen, wenn sie erst den
eisernen Riesen heirathet, wann sie ihre breite Hand auf
diesen gewaltigen Arm stützt? Das gibt ein Eisengeklirr
beim Eintritt des Paares in den Hochzeitssaal! Aber
auch welche Rechnung zu bezahlen für die Mahlzeit dieser
Vielfraße! Eine Milliarde sagt man -- tausend Mil-
lionen Franken Schulden!

Man kann nach alledem, was während der Eisen-
bahndebatte bald offen, bald verschämt zugestanden worden,
keinen Augenblick mehr darüber in Zweifel sein, daß der
Aufkauf der Berner Eisenbahnaktien nur das erste Glied
an der Kette der sich nun folgenden Schritte für Ver-
staatlichung der Normalbahnen
unseres Landes
bedeutet. Der radikale Oberst Künzli (Aargau) erklärte
sich unverblümt dahin: der Ankauf der Berner Aktien sei
nur ein erster Schritt zum Rückkauf und deßhalb zu
genehmigen. Den gleichen Endzweck des Bundesrathes fand
der liberal-konservative Zürcher Cramer-Frey heraus und
der ultramontane, will heißen katholisch-konservative, Re-
gierungsrath Schobinger meinte, der Bundesrath erachte
die Verstaatlichung als selbstverständlich, die aber
nicht Jedermann als selbstverständlich ansehe. Wirklich
erklärte Hr. Bundesrath Welti, was er bereits in der
[Spaltenumbruch] Botschaft angedeutet: Unser Ziel (beim Ankauf der
fragl. Eisenbahnaktien) ist der Rückkauf der Bahnen!

Ueber eine der wichtigsten Kontreversfragen, ob näm-
lich der Bund, ohne Verfassungsrevision, zum Ankauf oder
zum Selbstbetrieb, befugt sei, darüber waren die Mit-
glieder der Kommission, selbst die der Mehrheit, welche
Genehmigung des Altienkaufes empfahlen, getheilter An-
sicht. Künzli z. B. wollte zwar das Recht des Bundes
zur Verstaatlichung des Bahnbaues und Betriebes aus
dem Art. 23 der Bundesverfassung herausdüfteln *) --
Ein gewisser Mephistopheles hat freilich auch einmal gelehrt:

"Im Auslegen seid frisch und munter:
Legt ihr's nicht aus, so legt es unter!"

Dem st. gallischen Abgeordneten Keel hingegen ist trotz
der Rückkaufsklausel in den Eisenbahnkonzessionen die
Sache noch nicht so "glasluter". Die Ertheilung der
Konzessionen, sagte er, sei ein einseitiger Akt der Bundes-
versammlung, und diese könne dem Rechte nicht vorgreifen
in der Frage, ob ein Rückkauf ohne vorangegangene
Revision der Bundesverfassung gestattet sei. Mit dem
Ankauf der Prioritätsaktien der Jura-Simplon-Bahn,
wiederholte Herr Keel, sei die Frage des Rückkaufs in
keiner Weise gelöst, mögen auch viele Andere anderer
Anschauung sein.

Welche Stellung werden die Anhänger des födera-
tiven Bundesstaates
und die schweizerischen Katho-
liken
zu dem folgenschweren Schritte der Bundesversamm-
lung einnehmen? Wir stehen hier vor einer Kollission
der politischen und der Verkehrsinteressen. Mit
der Machtzunahme des Bundes durch Verstaatlichung des
Eisenbahnwesens ist die vollständige Zentralisation
der Verwaltung so gut wie eingeleitet; der zentralisirte
Einheitsflaat rückt in die Nähe und gegen diesen Schnell-
zug hilft kein föderalistisches Bremsen mehr. "Vale,
Syria et ultimum, vale!"
Mit der föderativen Staats-
form und mit dem "Rest der Kantonshoheit ist es alsdann
Mathä am letzten." Ständerath Dr. P. C. v. Planta
schrieb schon vor mehr denn zehn Jahren in seinem Buche
"Die Schweiz in ihrer Entwicklung zum Einheitsstaate"
(pag iii): "Ist schon die gegenwärtige grundlegende
Struktur unseres Bundesstaates entschieden unitaristisch
(nach dem Einheitsstaat mit der Zentralgewalt hinstrebend),
so läßt sich schon hieraus und abgesehen von den dem
Bunde schon zugetheilten Kompetenzen mit Sicherheit
voraussagen, daß die Bundesgewalt mehr und mehr um
sich greifen und das Einheitsprinzip früher oder
später den gesammten eidgenössischen Körper
erfassen werde
." -- Die Prophezeiung des bündnerischen
Staatsmanns scheint rascher als man sich gedacht, in --
Erfüllung zu gehen.

Unser Zeitalter ist das der materiellen Inte-
ressen
und mit diesem "Zuge der Zeit" muß gerechnet
werden, sei man Förderalist oder Unitarier, Konservativ
oder Liberal, eidgenössischer Vereinler oder Grütlianer.
Nun ist aber die größte Institution des Gewerbewesens,
der mächtigste Faktor unserer materiellen Interessen, eben
das schweizerische Eisenbahnwesen (Privatbau) in
einem Stadium angelangt, wo energische Abhülfe dringend
noth thut. Bundesrath Welti gab sehr interessante Auf-
schlüsse. Die Finanzgeschichte unserer Eisenbahnen, sagte
er, findet ihresgleichen vielleicht nur in der Türkei und
den ihr angrenzenden Ländern. Ich habe Erhebungen
machen lassen, und da hat sich herausgestellt, daß Handel
und Industrie eine größere Steuer zahlen den
Eisenbahnen als dem Staate
durch die Zölle.
1886 z. B. betrugen die Zolleinnahmen 22 Millionen
und 300,000 Fr., die Frachteinnahmen der Bahnen hin-
gegen fast 42 Millionen Franken! Wer wollte heut-
zutage mehr die Zölle verpachten wie ehedem? Warum
denn aber die größere Steuer von fast 42
Mill
. in Privathänden lassen?! .... In keinem
Lande, fuhr Hr. Welti fort, besteht so wenig Kontakt
[Spaltenumbruch] zwischen Verkehr und Eisenbahn, wie bei uns; ist der
Bund Herr der Eisenbahnen, so wird er beide mit ein-
ander in innige Berührung bringen können, zu großem
Vortheile für den Vertehr. Ein weiteres politisches Be-
denken gegen den jetzigen Zustand ist die Thatsache, daß
3/5 unseres Aktienkapitals in fremden Händen sich befindet
und zwar nicht zerstreut, sondern in einigen wenigen
Händen. Wer garantirt nun dafür, daß unsere Aktien
nicht eines Tages in die Hände einer fremden Regie-
rung
kommen? ....

Solchergestalt sehen sich die Föderalisten und Konser-
vativen vor eine ziemliche Kollision der Entschließungen
gestellt; es ist dies ein Widerstreit der im politischen Leben
seit 1848 kaum je in dieser Schärfe aufgetretenen unter
sich getrennten Gesetzen und politischen Grundsätzen.
Soll der politisch-föderalistische oder der wirthschaft-
liche Grundgedanke vorwalten? Die katholische Frak-
tion
stellte es daher ihren Mitgliedern frei, in der
Rückkaufsfrage nach eigenen Heften zu stimmen, wie
wir dem "Vaterland" entnehmen, denn es ist -- wie
das nämliche Blatt sagt -- begreiflich, daß mancher kon-
servative Staatsmann aus politischen Bedenken gegen die
Eisenbahnverstaatlichung ist. -- Mancher aber könnte es
auch aus nationalökonomischen Gründen sein, wenn man
an die ungeheure Schuldenlast denkt, welche sich der Bund
mit dem Ankauf der gesammten Normalspurigen aufladet:
wenigstens tausend Millionen Franken! Dann aber kommt
die Papierwirthschaft. Was ist diese? Dr. Planta
spricht sich in obenerwähntem Buche dahin aus: ".....
Diesem finanziellen Leichtsinn (luxuriöse Bauten) wird
endlich in einer Reihe von Staaten Vorschub geleistet
durch die Papierwirthschaft, d. h. die Ausgabe von Staats-
papieren, welche im Grunde nichts anderes sind, als auf
die Nachwelt gezogene Wechsel, bezw. Schuldscheine,
die man nicht einzulösen gedenkt .... Man hält es heut-
zutage allgemein für statthaft, das Wohlsein der jeweilen
lebenden Generation auf Kosten der kommenden Geschlechter
zu begründen."

Das Nützlichkeitsprinzip überwog in der Bundesver-
sammlung den politischen Grundsatz. "Vive la patrie!"
"Hoch die Freiheit!" sind bloß noch Cliches für Schützen-
und Sängerfest-Triumphbögen; im praktischen Leben lautet
die Parole: "Es lebe der (materielle) Vortheil! Hoch die
Dividenden!

Zwar trieb das Schiffchen der Republik schon lange
dem Falle des Einheitsstaates zu. Vor 40 Jahren bereits
schrieb ein st. gallischer Staatsmann: "Wird der Zusam-
menhang des Ganzen wohl ins Auge gefaßt, so ist unsere
jetzige Schweiz von einem Zentralstaate nicht mehr weit
entfernt, dieser selbst der Wesenheit nach schon vorhanden,
und die vielseitig zu vernehmende Meinung, daß es wohl
besser wäre, man würde sich zu völliger Unitarisirung
entschließen, zu einiger Anerkennung berechtigt."

Die Presse jubilirt, sowohl konservative als liberale st.
gallische Blätter jubiliren über den Eisenbahnbeschluß der
Bundesversammlung. Geld regiert die Welt!

Es gibt nur ein einziges Mittel, um uns mit dem
folgenschweren Beschlusse der Bundesversammlung und mit
der Verstaatlichung der Eisenbahnen einigermaßen zu ver-
söhnen, und dieses Mittel hat Hr. Nationalrath Keel in
seiner Rede am 20. Juni deutlich angetönt: ".... Auf
der andern Seite kann ein solcher Schritt (Rückkauf) nur
dann angenommen werden, wenn man Garantie dafür
hat, daß dem Schweizervolk und den Kantonen ihre
Selbständigkeit gewahrt bleibt. Wir wollen
die politische Freiheit bewahren
. Wir wollen
das Hauptgewicht theilweise in das Volk verlegen
und das Volk bei diesem wichtigen Schritte Ja und Amen
sagen, das Volk entscheiden lassen."

Gott schütze das Vaterland!




Eidgenössisches.



-- Viehverkehr an der österreich. Grenze.

Der Bundes
rath hat eine Anzahl neue Verfügungen im Sinne der Verschärfung
getroffen. Das neulich publizirte offizielle Bulletin gibt folgende
Auskunft darüber: "Unterm 18. Mai abhin hat das schweizerische
Landwirthschaftsdepartement die Grenzthierärzte an der östlichen
Schweizergrenze angewiesen, vom 20. gl. M. an bis auf Weiteres

*) Art. 23 lautet: "Dem Bunde steht das Recht zu, im In-
teresse der Eidgenossenschaft oder eines großen Theiles derselben,
auf Kosten der Eidgenossenschaft öffentliche Werke zu errichten oder
die Errichtung derselben zu unterstützen. Zu diesem Zwecke ist er
auch befugt, gegen volle Entschädigung das Recht der Expropriation
geltend zu machen. Die näheren Bestimmungen hierüber bleiben
der Bundesgesetzgebung vorbehalten."
Uznach, Mittwoch   No   53. den 2. Juli 1890.


St. Galler-Volksblatt.
Publikationsorgan der Bezirke See und Gaſter.
Obligatoriſch in den Gemeinden Uznach, Jona, Eſchenbach, Schmerikon, St. Gallenkappel, Ernetſchwil, Gommiswald.

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Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adreſſe in der Schweiz
halbjährlich Fr. 2. 50 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 30 Rp. Bei der eidgen.
Poſt jährlich Fr. 5. — Rp., halbjährlich Fr. 2. 60 Rp., vierteljährlich Fr. 1.
40 Rp. Für das Ausland (Poſtverein) jede Nummer mit Adreſſe halbjähr-
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35. Jahrgang.

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Inſeratenbureaux): Die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raum 10 Rp. —
Für die übrigen Inſerenten koſtet die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raun
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teſtens Dienſtag und Freitag, Vormittags 9 Uhr, abgegeben werden.




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Erſcheint Mittwoch und Samſtag.


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Für das zweite Halbjahr kann auf das
„St. Galler Volksblatt“
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bei allen Poſtämtern, ſowie bei den Verträgern in den
Gemeinden und bei der Expedition abonnirt werden.
Zu zahlreichen Beſtellungen ladet höflichſt ein
Die Expedition.
[Abbildung] Abonnenten, die das „Volksblatt“ bei der Poſt
beſtellt haben, ſind erſucht, die Beſtellung rechtzeitig zu
erneuern.



Der Schatten wichtiger Ereigniſſe.



„Die Menſchen ſteh’n ſo kalt und leer,
Die Worte fliegen hin und her,
Von Eigennutz getrieben,
Von jener Freiheit ächt und rein
Iſt das Gerippe faſt allein
Uns noch zurückgeblieben!

Alea jacta est — der Würfel des Schickſals iſt
geworfen! Den Fuß einmal auf eine ſchiefe Ebene geſetzt,
geht der Lauf in gleicher Richtung immer raſcher bergab.
Wenn uns unſere Ahnung und unſere auf Induktions-
ſchlüſſen beruhende Berechnung nicht gar ſehr irre führt,
ſo geht die ſchweizeriſche Eidgenoſſenſchaft einer völligen
politiſchen und finanzwirthſchaftlichen Um-
geſtaltung
entgegen. An den Ankauf der Jura-Sim-
plon-Eiſenbahnaktien knüpft ſich enge die Erwerbung
des ſchweizeriſchen Eiſenbahnnetzes durch den
Bund
. — Der Gedanke iſt zwar ſchon in den zwei
letzten Nummern unſeres Blattes erörtert worden, wir
können aber bei dem hochernſten Wendepunkte auch heute
noch nicht ohne ein beklemmendes Gefühl vorübergehn.
Als das römiſch-byzantiniſche Reich ſeinem raſchen Verfalle
entgegenging und Kaiſer Heraklius im Jahre 641 Syrien
den Arabern für immer überlaſſen mußte, rief er noch
zurückweichend, von Schmerz übermannt: «Vale Syria et
ultimum vale
— lebe wohl, Syrien, zum letzten Male,
lebe wohl!“ Gewiß gab es in den Sälen der ſchwei-
zeriſchen Legislative bei jenem denkwürdigen Kaufabſchluß
mehr als ein patriotiſcher Abgeordneter, den in die Zu-
kunft ſeinen Blick werfend, ein Gefühl beſchleichen mochte,
wie den oſtrömiſchen Kaiſer bei ſeinem letzten Blick auf
Syrien; die Ehe der Eiſenbahnen mit dem Bund mochte
ihnen wie eine furchtbare Bedrohung erſcheinen: man
fürchtet den Eintritt dieſer mächtigen Familie in das alte
patriarchaliſche Haus der verbündeten Kantone, wo gleich-
berechtigte und in ihren Anſprüchen einfache Brüder ſo
lange Zeit mit einander gelebt haben. Die neue 1848er
Eidgenoſſenſchaft hat an ſich ſchon etwas Herriſches, Ge-
waltſames; wie wird das kommen, wenn ſie erſt den
eiſernen Rieſen heirathet, wann ſie ihre breite Hand auf
dieſen gewaltigen Arm ſtützt? Das gibt ein Eiſengeklirr
beim Eintritt des Paares in den Hochzeitsſaal! Aber
auch welche Rechnung zu bezahlen für die Mahlzeit dieſer
Vielfraße! Eine Milliarde ſagt man — tauſend Mil-
lionen Franken Schulden!

Man kann nach alledem, was während der Eiſen-
bahndebatte bald offen, bald verſchämt zugeſtanden worden,
keinen Augenblick mehr darüber in Zweifel ſein, daß der
Aufkauf der Berner Eiſenbahnaktien nur das erſte Glied
an der Kette der ſich nun folgenden Schritte für Ver-
ſtaatlichung der Normalbahnen
unſeres Landes
bedeutet. Der radikale Oberſt Künzli (Aargau) erklärte
ſich unverblümt dahin: der Ankauf der Berner Aktien ſei
nur ein erſter Schritt zum Rückkauf und deßhalb zu
genehmigen. Den gleichen Endzweck des Bundesrathes fand
der liberal-konſervative Zürcher Cramer-Frey heraus und
der ultramontane, will heißen katholiſch-konſervative, Re-
gierungsrath Schobinger meinte, der Bundesrath erachte
die Verſtaatlichung als ſelbſtverſtändlich, die aber
nicht Jedermann als ſelbſtverſtändlich anſehe. Wirklich
erklärte Hr. Bundesrath Welti, was er bereits in der
[Spaltenumbruch] Botſchaft angedeutet: Unſer Ziel (beim Ankauf der
fragl. Eiſenbahnaktien) iſt der Rückkauf der Bahnen!

Ueber eine der wichtigſten Kontreversfragen, ob näm-
lich der Bund, ohne Verfaſſungsreviſion, zum Ankauf oder
zum Selbſtbetrieb, befugt ſei, darüber waren die Mit-
glieder der Kommiſſion, ſelbſt die der Mehrheit, welche
Genehmigung des Altienkaufes empfahlen, getheilter An-
ſicht. Künzli z. B. wollte zwar das Recht des Bundes
zur Verſtaatlichung des Bahnbaues und Betriebes aus
dem Art. 23 der Bundesverfaſſung herausdüfteln *)
Ein gewiſſer Mephiſtopheles hat freilich auch einmal gelehrt:

„Im Auslegen ſeid friſch und munter:
Legt ihr’s nicht aus, ſo legt es unter!“

Dem ſt. galliſchen Abgeordneten Keel hingegen iſt trotz
der Rückkaufsklauſel in den Eiſenbahnkonzeſſionen die
Sache noch nicht ſo „glasluter“. Die Ertheilung der
Konzeſſionen, ſagte er, ſei ein einſeitiger Akt der Bundes-
verſammlung, und dieſe könne dem Rechte nicht vorgreifen
in der Frage, ob ein Rückkauf ohne vorangegangene
Reviſion der Bundesverfaſſung geſtattet ſei. Mit dem
Ankauf der Prioritätsaktien der Jura-Simplon-Bahn,
wiederholte Herr Keel, ſei die Frage des Rückkaufs in
keiner Weiſe gelöst, mögen auch viele Andere anderer
Anſchauung ſein.

Welche Stellung werden die Anhänger des födera-
tiven Bundesſtaates
und die ſchweizeriſchen Katho-
liken
zu dem folgenſchweren Schritte der Bundesverſamm-
lung einnehmen? Wir ſtehen hier vor einer Kolliſſion
der politiſchen und der Verkehrsintereſſen. Mit
der Machtzunahme des Bundes durch Verſtaatlichung des
Eiſenbahnweſens iſt die vollſtändige Zentraliſation
der Verwaltung ſo gut wie eingeleitet; der zentraliſirte
Einheitsflaat rückt in die Nähe und gegen dieſen Schnell-
zug hilft kein föderaliſtiſches Bremſen mehr. »Vale,
Syria et ultimum, vale!«
Mit der föderativen Staats-
form und mit dem „Reſt der Kantonshoheit iſt es alsdann
Mathä am letzten.“ Ständerath Dr. P. C. v. Planta
ſchrieb ſchon vor mehr denn zehn Jahren in ſeinem Buche
„Die Schweiz in ihrer Entwicklung zum Einheitsſtaate“
(pag iii): „Iſt ſchon die gegenwärtige grundlegende
Struktur unſeres Bundesſtaates entſchieden unitariſtiſch
(nach dem Einheitsſtaat mit der Zentralgewalt hinſtrebend),
ſo läßt ſich ſchon hieraus und abgeſehen von den dem
Bunde ſchon zugetheilten Kompetenzen mit Sicherheit
vorausſagen, daß die Bundesgewalt mehr und mehr um
ſich greifen und das Einheitsprinzip früher oder
ſpäter den geſammten eidgenöſſiſchen Körper
erfaſſen werde
.“ — Die Prophezeiung des bündneriſchen
Staatsmanns ſcheint raſcher als man ſich gedacht, in —
Erfüllung zu gehen.

Unſer Zeitalter iſt das der materiellen Inte-
reſſen
und mit dieſem „Zuge der Zeit“ muß gerechnet
werden, ſei man Förderaliſt oder Unitarier, Konſervativ
oder Liberal, eidgenöſſiſcher Vereinler oder Grütlianer.
Nun iſt aber die größte Inſtitution des Gewerbeweſens,
der mächtigſte Faktor unſerer materiellen Intereſſen, eben
das ſchweizeriſche Eiſenbahnweſen (Privatbau) in
einem Stadium angelangt, wo energiſche Abhülfe dringend
noth thut. Bundesrath Welti gab ſehr intereſſante Auf-
ſchlüſſe. Die Finanzgeſchichte unſerer Eiſenbahnen, ſagte
er, findet ihresgleichen vielleicht nur in der Türkei und
den ihr angrenzenden Ländern. Ich habe Erhebungen
machen laſſen, und da hat ſich herausgeſtellt, daß Handel
und Induſtrie eine größere Steuer zahlen den
Eiſenbahnen als dem Staate
durch die Zölle.
1886 z. B. betrugen die Zolleinnahmen 22 Millionen
und 300,000 Fr., die Frachteinnahmen der Bahnen hin-
gegen faſt 42 Millionen Franken! Wer wollte heut-
zutage mehr die Zölle verpachten wie ehedem? Warum
denn aber die größere Steuer von faſt 42
Mill
. in Privathänden laſſen?! .... In keinem
Lande, fuhr Hr. Welti fort, beſteht ſo wenig Kontakt
[Spaltenumbruch] zwiſchen Verkehr und Eiſenbahn, wie bei uns; iſt der
Bund Herr der Eiſenbahnen, ſo wird er beide mit ein-
ander in innige Berührung bringen können, zu großem
Vortheile für den Vertehr. Ein weiteres politiſches Be-
denken gegen den jetzigen Zuſtand iſt die Thatſache, daß
⅗ unſeres Aktienkapitals in fremden Händen ſich befindet
und zwar nicht zerſtreut, ſondern in einigen wenigen
Händen. Wer garantirt nun dafür, daß unſere Aktien
nicht eines Tages in die Hände einer fremden Regie-
rung
kommen? ....

Solchergeſtalt ſehen ſich die Föderaliſten und Konſer-
vativen vor eine ziemliche Kolliſion der Entſchließungen
geſtellt; es iſt dies ein Widerſtreit der im politiſchen Leben
ſeit 1848 kaum je in dieſer Schärfe aufgetretenen unter
ſich getrennten Geſetzen und politiſchen Grundſätzen.
Soll der politiſch-föderaliſtiſche oder der wirthſchaft-
liche Grundgedanke vorwalten? Die katholiſche Frak-
tion
ſtellte es daher ihren Mitgliedern frei, in der
Rückkaufsfrage nach eigenen Heften zu ſtimmen, wie
wir dem „Vaterland“ entnehmen, denn es iſt — wie
das nämliche Blatt ſagt — begreiflich, daß mancher kon-
ſervative Staatsmann aus politiſchen Bedenken gegen die
Eiſenbahnverſtaatlichung iſt. — Mancher aber könnte es
auch aus nationalökonomiſchen Gründen ſein, wenn man
an die ungeheure Schuldenlaſt denkt, welche ſich der Bund
mit dem Ankauf der geſammten Normalſpurigen aufladet:
wenigſtens tauſend Millionen Franken! Dann aber kommt
die Papierwirthſchaft. Was iſt dieſe? Dr. Planta
ſpricht ſich in obenerwähntem Buche dahin aus: „.....
Dieſem finanziellen Leichtſinn (luxuriöſe Bauten) wird
endlich in einer Reihe von Staaten Vorſchub geleiſtet
durch die Papierwirthſchaft, d. h. die Ausgabe von Staats-
papieren, welche im Grunde nichts anderes ſind, als auf
die Nachwelt gezogene Wechſel, bezw. Schuldſcheine,
die man nicht einzulöſen gedenkt .... Man hält es heut-
zutage allgemein für ſtatthaft, das Wohlſein der jeweilen
lebenden Generation auf Koſten der kommenden Geſchlechter
zu begründen.“

Das Nützlichkeitsprinzip überwog in der Bundesver-
ſammlung den politiſchen Grundſatz. «Vive la patrie!»
„Hoch die Freiheit!“ ſind bloß noch Cliches für Schützen-
und Sängerfeſt-Triumphbögen; im praktiſchen Leben lautet
die Parole: „Es lebe der (materielle) Vortheil! Hoch die
Dividenden!

Zwar trieb das Schiffchen der Republik ſchon lange
dem Falle des Einheitsſtaates zu. Vor 40 Jahren bereits
ſchrieb ein ſt. galliſcher Staatsmann: „Wird der Zuſam-
menhang des Ganzen wohl ins Auge gefaßt, ſo iſt unſere
jetzige Schweiz von einem Zentralſtaate nicht mehr weit
entfernt, dieſer ſelbſt der Weſenheit nach ſchon vorhanden,
und die vielſeitig zu vernehmende Meinung, daß es wohl
beſſer wäre, man würde ſich zu völliger Unitariſirung
entſchließen, zu einiger Anerkennung berechtigt.“

Die Preſſe jubilirt, ſowohl konſervative als liberale ſt.
galliſche Blätter jubiliren über den Eiſenbahnbeſchluß der
Bundesverſammlung. Geld regiert die Welt!

Es gibt nur ein einziges Mittel, um uns mit dem
folgenſchweren Beſchluſſe der Bundesverſammlung und mit
der Verſtaatlichung der Eiſenbahnen einigermaßen zu ver-
ſöhnen, und dieſes Mittel hat Hr. Nationalrath Keel in
ſeiner Rede am 20. Juni deutlich angetönt: „.... Auf
der andern Seite kann ein ſolcher Schritt (Rückkauf) nur
dann angenommen werden, wenn man Garantie dafür
hat, daß dem Schweizervolk und den Kantonen ihre
Selbſtändigkeit gewahrt bleibt. Wir wollen
die politiſche Freiheit bewahren
. Wir wollen
das Hauptgewicht theilweiſe in das Volk verlegen
und das Volk bei dieſem wichtigen Schritte Ja und Amen
ſagen, das Volk entſcheiden laſſen.“

Gott ſchütze das Vaterland!




Eidgenöſſiſches.



Viehverkehr an der öſterreich. Grenze.

Der Bundes
rath hat eine Anzahl neue Verfügungen im Sinne der Verſchärfung
getroffen. Das neulich publizirte offizielle Bulletin gibt folgende
Auskunft darüber: „Unterm 18. Mai abhin hat das ſchweizeriſche
Landwirthſchaftsdepartement die Grenzthierärzte an der öſtlichen
Schweizergrenze angewieſen, vom 20. gl. M. an bis auf Weiteres

*) Art. 23 lautet: „Dem Bunde ſteht das Recht zu, im In-
tereſſe der Eidgenoſſenſchaft oder eines großen Theiles derſelben,
auf Koſten der Eidgenoſſenſchaft öffentliche Werke zu errichten oder
die Errichtung derſelben zu unterſtützen. Zu dieſem Zwecke iſt er
auch befugt, gegen volle Entſchädigung das Recht der Expropriation
geltend zu machen. Die näheren Beſtimmungen hierüber bleiben
der Bundesgeſetzgebung vorbehalten.“
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[1/0001] Uznach, Mittwoch No 53. den 2. Juli 1890. St. Galler-Volksblatt. Publikationsorgan der Bezirke See und Gaſter. Obligatoriſch in den Gemeinden Uznach, Jona, Eſchenbach, Schmerikon, St. Gallenkappel, Ernetſchwil, Gommiswald. Abonnementspreis: Bei den Verträgern und mit Adreſſe in der Schweiz halbjährlich Fr. 2. 50 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 30 Rp. Bei der eidgen. Poſt jährlich Fr. 5. — Rp., halbjährlich Fr. 2. 60 Rp., vierteljährlich Fr. 1. 40 Rp. Für das Ausland (Poſtverein) jede Nummer mit Adreſſe halbjähr- lich Fr. 5. — Rp., wöchentlich ein Mal halbjährlich Fr. 3. 50 Rp. [Abbildung] 35. Jahrgang. Inſertionsgebühr für den Seebezirk und Gaſter (ohne Vermittlung der Inſeratenbureaux): Die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raum 10 Rp. — Für die übrigen Inſerenten koſtet die kleinſpaltige Petitzeile oder deren Raun 15 Rp Bei Wiederholungen Rabatt. — Inſerate müſſen jeweilen bis ſpä- teſtens Dienſtag und Freitag, Vormittags 9 Uhr, abgegeben werden. Erſcheint Mittwoch und Samſtag. [Abbildung] Druck und Verlag von K. Oberholzer’s Buchdruckerei. [Abbildung] Wöchentl. Gratisbeilage: „Linth-Blätter“. Abonnements-Einladung. Für das zweite Halbjahr kann auf das „St. Galler Volksblatt“ (mit Gratis-Beilage: „Linth-Blätter“) bei allen Poſtämtern, ſowie bei den Verträgern in den Gemeinden und bei der Expedition abonnirt werden. Zu zahlreichen Beſtellungen ladet höflichſt ein Die Expedition. [Abbildung] Abonnenten, die das „Volksblatt“ bei der Poſt beſtellt haben, ſind erſucht, die Beſtellung rechtzeitig zu erneuern. Der Schatten wichtiger Ereigniſſe. „Die Menſchen ſteh’n ſo kalt und leer, Die Worte fliegen hin und her, Von Eigennutz getrieben, Von jener Freiheit ächt und rein Iſt das Gerippe faſt allein Uns noch zurückgeblieben!“ (J. J. Reithard v. Zürich.) Alea jacta est — der Würfel des Schickſals iſt geworfen! Den Fuß einmal auf eine ſchiefe Ebene geſetzt, geht der Lauf in gleicher Richtung immer raſcher bergab. Wenn uns unſere Ahnung und unſere auf Induktions- ſchlüſſen beruhende Berechnung nicht gar ſehr irre führt, ſo geht die ſchweizeriſche Eidgenoſſenſchaft einer völligen politiſchen und finanzwirthſchaftlichen Um- geſtaltung entgegen. An den Ankauf der Jura-Sim- plon-Eiſenbahnaktien knüpft ſich enge die Erwerbung des ſchweizeriſchen Eiſenbahnnetzes durch den Bund. — Der Gedanke iſt zwar ſchon in den zwei letzten Nummern unſeres Blattes erörtert worden, wir können aber bei dem hochernſten Wendepunkte auch heute noch nicht ohne ein beklemmendes Gefühl vorübergehn. Als das römiſch-byzantiniſche Reich ſeinem raſchen Verfalle entgegenging und Kaiſer Heraklius im Jahre 641 Syrien den Arabern für immer überlaſſen mußte, rief er noch zurückweichend, von Schmerz übermannt: «Vale Syria et ultimum vale — lebe wohl, Syrien, zum letzten Male, lebe wohl!“ Gewiß gab es in den Sälen der ſchwei- zeriſchen Legislative bei jenem denkwürdigen Kaufabſchluß mehr als ein patriotiſcher Abgeordneter, den in die Zu- kunft ſeinen Blick werfend, ein Gefühl beſchleichen mochte, wie den oſtrömiſchen Kaiſer bei ſeinem letzten Blick auf Syrien; die Ehe der Eiſenbahnen mit dem Bund mochte ihnen wie eine furchtbare Bedrohung erſcheinen: man fürchtet den Eintritt dieſer mächtigen Familie in das alte patriarchaliſche Haus der verbündeten Kantone, wo gleich- berechtigte und in ihren Anſprüchen einfache Brüder ſo lange Zeit mit einander gelebt haben. Die neue 1848er Eidgenoſſenſchaft hat an ſich ſchon etwas Herriſches, Ge- waltſames; wie wird das kommen, wenn ſie erſt den eiſernen Rieſen heirathet, wann ſie ihre breite Hand auf dieſen gewaltigen Arm ſtützt? Das gibt ein Eiſengeklirr beim Eintritt des Paares in den Hochzeitsſaal! Aber auch welche Rechnung zu bezahlen für die Mahlzeit dieſer Vielfraße! Eine Milliarde ſagt man — tauſend Mil- lionen Franken Schulden! Man kann nach alledem, was während der Eiſen- bahndebatte bald offen, bald verſchämt zugeſtanden worden, keinen Augenblick mehr darüber in Zweifel ſein, daß der Aufkauf der Berner Eiſenbahnaktien nur das erſte Glied an der Kette der ſich nun folgenden Schritte für Ver- ſtaatlichung der Normalbahnen unſeres Landes bedeutet. Der radikale Oberſt Künzli (Aargau) erklärte ſich unverblümt dahin: der Ankauf der Berner Aktien ſei nur ein erſter Schritt zum Rückkauf und deßhalb zu genehmigen. Den gleichen Endzweck des Bundesrathes fand der liberal-konſervative Zürcher Cramer-Frey heraus und der ultramontane, will heißen katholiſch-konſervative, Re- gierungsrath Schobinger meinte, der Bundesrath erachte die Verſtaatlichung als ſelbſtverſtändlich, die aber nicht Jedermann als ſelbſtverſtändlich anſehe. Wirklich erklärte Hr. Bundesrath Welti, was er bereits in der Botſchaft angedeutet: Unſer Ziel (beim Ankauf der fragl. Eiſenbahnaktien) iſt der Rückkauf der Bahnen! Ueber eine der wichtigſten Kontreversfragen, ob näm- lich der Bund, ohne Verfaſſungsreviſion, zum Ankauf oder zum Selbſtbetrieb, befugt ſei, darüber waren die Mit- glieder der Kommiſſion, ſelbſt die der Mehrheit, welche Genehmigung des Altienkaufes empfahlen, getheilter An- ſicht. Künzli z. B. wollte zwar das Recht des Bundes zur Verſtaatlichung des Bahnbaues und Betriebes aus dem Art. 23 der Bundesverfaſſung herausdüfteln *) — Ein gewiſſer Mephiſtopheles hat freilich auch einmal gelehrt: „Im Auslegen ſeid friſch und munter: Legt ihr’s nicht aus, ſo legt es unter!“ Dem ſt. galliſchen Abgeordneten Keel hingegen iſt trotz der Rückkaufsklauſel in den Eiſenbahnkonzeſſionen die Sache noch nicht ſo „glasluter“. Die Ertheilung der Konzeſſionen, ſagte er, ſei ein einſeitiger Akt der Bundes- verſammlung, und dieſe könne dem Rechte nicht vorgreifen in der Frage, ob ein Rückkauf ohne vorangegangene Reviſion der Bundesverfaſſung geſtattet ſei. Mit dem Ankauf der Prioritätsaktien der Jura-Simplon-Bahn, wiederholte Herr Keel, ſei die Frage des Rückkaufs in keiner Weiſe gelöst, mögen auch viele Andere anderer Anſchauung ſein. Welche Stellung werden die Anhänger des födera- tiven Bundesſtaates und die ſchweizeriſchen Katho- liken zu dem folgenſchweren Schritte der Bundesverſamm- lung einnehmen? Wir ſtehen hier vor einer Kolliſſion der politiſchen und der Verkehrsintereſſen. Mit der Machtzunahme des Bundes durch Verſtaatlichung des Eiſenbahnweſens iſt die vollſtändige Zentraliſation der Verwaltung ſo gut wie eingeleitet; der zentraliſirte Einheitsflaat rückt in die Nähe und gegen dieſen Schnell- zug hilft kein föderaliſtiſches Bremſen mehr. »Vale, Syria et ultimum, vale!« Mit der föderativen Staats- form und mit dem „Reſt der Kantonshoheit iſt es alsdann Mathä am letzten.“ Ständerath Dr. P. C. v. Planta ſchrieb ſchon vor mehr denn zehn Jahren in ſeinem Buche „Die Schweiz in ihrer Entwicklung zum Einheitsſtaate“ (pag iii): „Iſt ſchon die gegenwärtige grundlegende Struktur unſeres Bundesſtaates entſchieden unitariſtiſch (nach dem Einheitsſtaat mit der Zentralgewalt hinſtrebend), ſo läßt ſich ſchon hieraus und abgeſehen von den dem Bunde ſchon zugetheilten Kompetenzen mit Sicherheit vorausſagen, daß die Bundesgewalt mehr und mehr um ſich greifen und das Einheitsprinzip früher oder ſpäter den geſammten eidgenöſſiſchen Körper erfaſſen werde.“ — Die Prophezeiung des bündneriſchen Staatsmanns ſcheint raſcher als man ſich gedacht, in — Erfüllung zu gehen. Unſer Zeitalter iſt das der materiellen Inte- reſſen und mit dieſem „Zuge der Zeit“ muß gerechnet werden, ſei man Förderaliſt oder Unitarier, Konſervativ oder Liberal, eidgenöſſiſcher Vereinler oder Grütlianer. Nun iſt aber die größte Inſtitution des Gewerbeweſens, der mächtigſte Faktor unſerer materiellen Intereſſen, eben das ſchweizeriſche Eiſenbahnweſen (Privatbau) in einem Stadium angelangt, wo energiſche Abhülfe dringend noth thut. Bundesrath Welti gab ſehr intereſſante Auf- ſchlüſſe. Die Finanzgeſchichte unſerer Eiſenbahnen, ſagte er, findet ihresgleichen vielleicht nur in der Türkei und den ihr angrenzenden Ländern. Ich habe Erhebungen machen laſſen, und da hat ſich herausgeſtellt, daß Handel und Induſtrie eine größere Steuer zahlen den Eiſenbahnen als dem Staate durch die Zölle. 1886 z. B. betrugen die Zolleinnahmen 22 Millionen und 300,000 Fr., die Frachteinnahmen der Bahnen hin- gegen faſt 42 Millionen Franken! Wer wollte heut- zutage mehr die Zölle verpachten wie ehedem? Warum denn aber die größere Steuer von faſt 42 Mill. in Privathänden laſſen?! .... In keinem Lande, fuhr Hr. Welti fort, beſteht ſo wenig Kontakt zwiſchen Verkehr und Eiſenbahn, wie bei uns; iſt der Bund Herr der Eiſenbahnen, ſo wird er beide mit ein- ander in innige Berührung bringen können, zu großem Vortheile für den Vertehr. Ein weiteres politiſches Be- denken gegen den jetzigen Zuſtand iſt die Thatſache, daß ⅗ unſeres Aktienkapitals in fremden Händen ſich befindet und zwar nicht zerſtreut, ſondern in einigen wenigen Händen. Wer garantirt nun dafür, daß unſere Aktien nicht eines Tages in die Hände einer fremden Regie- rung kommen? .... Solchergeſtalt ſehen ſich die Föderaliſten und Konſer- vativen vor eine ziemliche Kolliſion der Entſchließungen geſtellt; es iſt dies ein Widerſtreit der im politiſchen Leben ſeit 1848 kaum je in dieſer Schärfe aufgetretenen unter ſich getrennten Geſetzen und politiſchen Grundſätzen. Soll der politiſch-föderaliſtiſche oder der wirthſchaft- liche Grundgedanke vorwalten? Die katholiſche Frak- tion ſtellte es daher ihren Mitgliedern frei, in der Rückkaufsfrage nach eigenen Heften zu ſtimmen, wie wir dem „Vaterland“ entnehmen, denn es iſt — wie das nämliche Blatt ſagt — begreiflich, daß mancher kon- ſervative Staatsmann aus politiſchen Bedenken gegen die Eiſenbahnverſtaatlichung iſt. — Mancher aber könnte es auch aus nationalökonomiſchen Gründen ſein, wenn man an die ungeheure Schuldenlaſt denkt, welche ſich der Bund mit dem Ankauf der geſammten Normalſpurigen aufladet: wenigſtens tauſend Millionen Franken! Dann aber kommt die Papierwirthſchaft. Was iſt dieſe? Dr. Planta ſpricht ſich in obenerwähntem Buche dahin aus: „..... Dieſem finanziellen Leichtſinn (luxuriöſe Bauten) wird endlich in einer Reihe von Staaten Vorſchub geleiſtet durch die Papierwirthſchaft, d. h. die Ausgabe von Staats- papieren, welche im Grunde nichts anderes ſind, als auf die Nachwelt gezogene Wechſel, bezw. Schuldſcheine, die man nicht einzulöſen gedenkt .... Man hält es heut- zutage allgemein für ſtatthaft, das Wohlſein der jeweilen lebenden Generation auf Koſten der kommenden Geſchlechter zu begründen.“ Das Nützlichkeitsprinzip überwog in der Bundesver- ſammlung den politiſchen Grundſatz. «Vive la patrie!» „Hoch die Freiheit!“ ſind bloß noch Cliches für Schützen- und Sängerfeſt-Triumphbögen; im praktiſchen Leben lautet die Parole: „Es lebe der (materielle) Vortheil! Hoch die Dividenden! Zwar trieb das Schiffchen der Republik ſchon lange dem Falle des Einheitsſtaates zu. Vor 40 Jahren bereits ſchrieb ein ſt. galliſcher Staatsmann: „Wird der Zuſam- menhang des Ganzen wohl ins Auge gefaßt, ſo iſt unſere jetzige Schweiz von einem Zentralſtaate nicht mehr weit entfernt, dieſer ſelbſt der Weſenheit nach ſchon vorhanden, und die vielſeitig zu vernehmende Meinung, daß es wohl beſſer wäre, man würde ſich zu völliger Unitariſirung entſchließen, zu einiger Anerkennung berechtigt.“ Die Preſſe jubilirt, ſowohl konſervative als liberale ſt. galliſche Blätter jubiliren über den Eiſenbahnbeſchluß der Bundesverſammlung. Geld regiert die Welt! Es gibt nur ein einziges Mittel, um uns mit dem folgenſchweren Beſchluſſe der Bundesverſammlung und mit der Verſtaatlichung der Eiſenbahnen einigermaßen zu ver- ſöhnen, und dieſes Mittel hat Hr. Nationalrath Keel in ſeiner Rede am 20. Juni deutlich angetönt: „.... Auf der andern Seite kann ein ſolcher Schritt (Rückkauf) nur dann angenommen werden, wenn man Garantie dafür hat, daß dem Schweizervolk und den Kantonen ihre Selbſtändigkeit gewahrt bleibt. Wir wollen die politiſche Freiheit bewahren. Wir wollen das Hauptgewicht theilweiſe in das Volk verlegen und das Volk bei dieſem wichtigen Schritte Ja und Amen ſagen, das Volk entſcheiden laſſen.“ Gott ſchütze das Vaterland! Eidgenöſſiſches. — Viehverkehr an der öſterreich. Grenze. Der Bundes rath hat eine Anzahl neue Verfügungen im Sinne der Verſchärfung getroffen. Das neulich publizirte offizielle Bulletin gibt folgende Auskunft darüber: „Unterm 18. Mai abhin hat das ſchweizeriſche Landwirthſchaftsdepartement die Grenzthierärzte an der öſtlichen Schweizergrenze angewieſen, vom 20. gl. M. an bis auf Weiteres *) Art. 23 lautet: „Dem Bunde ſteht das Recht zu, im In- tereſſe der Eidgenoſſenſchaft oder eines großen Theiles derſelben, auf Koſten der Eidgenoſſenſchaft öffentliche Werke zu errichten oder die Errichtung derſelben zu unterſtützen. Zu dieſem Zwecke iſt er auch befugt, gegen volle Entſchädigung das Recht der Expropriation geltend zu machen. Die näheren Beſtimmungen hierüber bleiben der Bundesgeſetzgebung vorbehalten.“

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Zitationshilfe: St. Galler Volksblatt. Nr. 53, Uznach, 02. 07. 1890, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_stgaller53_1890/1>, abgerufen am 21.11.2024.