Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

Bild:
<< vorherige Seite

Und es spricht zum Bräutigam der Doge:
"Zum Geschenk nimm Mütze und Tschelenka!" --
Aber siehe, die unsel'ge Mutter,
Denn sie bringt ein Hemd' von lautrem Golde, 785
Nicht gesponnen ist es mit den Fingern,
Weder durch das Weberblatt gezogen,
Noch gespannt gewesen in dem Webstuhl;
Mit den Fingern ist das Hemd' geflochten.
Eine Schlang' im Kragen eingeflochten, 790
Daß am Halse vom der Kopf heraus ragt,
Und es scheint, als wäre sie lebendig,
Gifterfüllt, und wolle tödtlich stechen.
Hell glänzt ihr ein Demant von der Stirne,
Daß, wenn sie ins Brautgemach nun gehen, 795
Er dem Jünglinge und Mädchen leuchte,
Und sie gern des andern Lichts entbehren.
Und sie ruft den Eidam, also sprechend:
"Zum Geschenk nimm dieses goldne Hemde!" --
Staunend stehen ringsumher die Serben, 800
Ob der Gaben der Lateiner staunend.
Und sie sehn auch unverhofft die Gaben,
Die der Greis Jerdimir jetzt herbei bringt,
Er, des Dogen von Venedig Bruder.
Sieh, ihn stützt ein goldner Stab im Gehen, 805
Uebern Gürtel hängt der weiße Bart ihm,
Thränen netzen ihm sein fürstlich Antlitz,
Thränen, denn ihn drücket große Trübsal.

Und es spricht zum Bräutigam der Doge:
„Zum Geschenk nimm Mütze und Tschelenka!“ —
Aber siehe, die unsel'ge Mutter,
Denn sie bringt ein Hemd' von lautrem Golde, 785
Nicht gesponnen ist es mit den Fingern,
Weder durch das Weberblatt gezogen,
Noch gespannt gewesen in dem Webstuhl;
Mit den Fingern ist das Hemd' geflochten.
Eine Schlang' im Kragen eingeflochten, 790
Daß am Halse vom der Kopf heraus ragt,
Und es scheint, als wäre sie lebendig,
Gifterfüllt, und wolle tödtlich stechen.
Hell glänzt ihr ein Demant von der Stirne,
Daß, wenn sie ins Brautgemach nun gehen, 795
Er dem Jünglinge und Mädchen leuchte,
Und sie gern des andern Lichts entbehren.
Und sie ruft den Eidam, also sprechend:
„Zum Geschenk nimm dieses goldne Hemde!“ —
Staunend stehen ringsumher die Serben, 800
Ob der Gaben der Lateiner staunend.
Und sie sehn auch unverhofft die Gaben,
Die der Greis Jerdimir jetzt herbei bringt,
Er, des Dogen von Venedig Bruder.
Sieh, ihn stützt ein goldner Stab im Gehen, 805
Uebern Gürtel hängt der weiße Bart ihm,
Thränen netzen ihm sein fürstlich Antlitz,
Thränen, denn ihn drücket große Trübsal.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg>
              <pb facs="#f0166" n="100"/>
              <lg>
                <l>Und es spricht zum Bräutigam der Doge:</l><lb/>
                <l>&#x201E;Zum Geschenk nimm Mütze und Tschelenka!&#x201C; &#x2014;</l>
              </lg><lb/>
              <lg>
                <l>Aber siehe, die unsel'ge Mutter,</l><lb/>
                <l>Denn sie bringt ein Hemd' von lautrem Golde, <note place="right">785</note></l><lb/>
                <l>Nicht gesponnen ist es mit den Fingern,</l><lb/>
                <l>Weder durch das Weberblatt gezogen,</l><lb/>
                <l>Noch gespannt gewesen in dem Webstuhl;</l><lb/>
                <l>Mit den Fingern ist das Hemd' geflochten.</l><lb/>
                <l>Eine Schlang' im Kragen eingeflochten, <note place="right">790</note></l><lb/>
                <l>Daß am Halse vom der Kopf heraus ragt,</l><lb/>
                <l>Und es scheint, als wäre sie lebendig,</l><lb/>
                <l>Gifterfüllt, und wolle tödtlich stechen.</l><lb/>
                <l>Hell glänzt ihr ein Demant von der Stirne,</l><lb/>
                <l>Daß, wenn sie ins Brautgemach nun gehen, <note place="right">795</note></l><lb/>
                <l>Er dem Jünglinge und Mädchen leuchte,</l><lb/>
                <l>Und sie gern des andern Lichts entbehren.</l><lb/>
                <l>Und sie ruft den Eidam, also sprechend:</l><lb/>
                <l>&#x201E;Zum Geschenk nimm dieses goldne Hemde!&#x201C; &#x2014;</l>
              </lg><lb/>
              <lg>
                <l>Staunend stehen ringsumher die Serben, <note place="right">800</note></l><lb/>
                <l>Ob der Gaben der Lateiner staunend.</l><lb/>
                <l>Und sie sehn auch unverhofft die Gaben,</l><lb/>
                <l>Die der Greis Jerdimir jetzt herbei bringt,</l><lb/>
                <l>Er, des Dogen von Venedig Bruder.</l><lb/>
                <l>Sieh, ihn stützt ein goldner Stab im Gehen, <note place="right">805</note></l><lb/>
                <l>Uebern Gürtel hängt der weiße Bart ihm,</l><lb/>
                <l>Thränen netzen ihm sein fürstlich Antlitz,</l><lb/>
                <l>Thränen, denn ihn drücket große Trübsal.</l>
              </lg><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0166] Und es spricht zum Bräutigam der Doge: „Zum Geschenk nimm Mütze und Tschelenka!“ — Aber siehe, die unsel'ge Mutter, Denn sie bringt ein Hemd' von lautrem Golde, Nicht gesponnen ist es mit den Fingern, Weder durch das Weberblatt gezogen, Noch gespannt gewesen in dem Webstuhl; Mit den Fingern ist das Hemd' geflochten. Eine Schlang' im Kragen eingeflochten, Daß am Halse vom der Kopf heraus ragt, Und es scheint, als wäre sie lebendig, Gifterfüllt, und wolle tödtlich stechen. Hell glänzt ihr ein Demant von der Stirne, Daß, wenn sie ins Brautgemach nun gehen, Er dem Jünglinge und Mädchen leuchte, Und sie gern des andern Lichts entbehren. Und sie ruft den Eidam, also sprechend: „Zum Geschenk nimm dieses goldne Hemde!“ — Staunend stehen ringsumher die Serben, Ob der Gaben der Lateiner staunend. Und sie sehn auch unverhofft die Gaben, Die der Greis Jerdimir jetzt herbei bringt, Er, des Dogen von Venedig Bruder. Sieh, ihn stützt ein goldner Stab im Gehen, Uebern Gürtel hängt der weiße Bart ihm, Thränen netzen ihm sein fürstlich Antlitz, Thränen, denn ihn drücket große Trübsal.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Robert Charlier, AV GWB Berlin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-30T17:55:01Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/166
Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/166>, abgerufen am 24.11.2024.