Talvj, Volkslieder der Serben, 1825Willst Du Dich mit mir doch nicht verschwägern! Ich bin Held Nenad, ein armer Jüngling; 160 Eine alte, ganz verlaßne Mutter Hab ich nur, und einen einz'gen Bruder, Den Predrag, ihn- weinen altem Bruder, Den ich suchend in der Welt umher zieh'. Daß sich mir die inn're Sehnsucht stille, 165 Die mich heut' in Tod stürzt und Verderben!" Aber als Predrag dieß Wort vernommen, Heft'gen Schreckes warf er fort die Pfeile, Stürzte zu dem todeswunden Helden, Nahm vom Roß ihn, auf das Gras ihn setzend. 170 "Wie, bist Du's, Nenad, mein theurer Bruder? Ich, ich bin Predrag, Dein ält'rer Bruder! Doch nicht tödtlich sind mir Deine Wunden! Laß dieß seine Hemde mich zerreißen, Daß ich Dich verbinde und Dich heile!" -- 175 Ihm entgegnete der wunde Jüngling: "So bist Du es, o Predrag, mein Bruder? Dank dem Herrn, daß ich Dich noch erblicke, Und sich mir die inn're Sehnsucht stillet! Nicht genesen kann ich von den Wunden, 180 Doch Dir sei mein blut'ger Tod verziehen!" -- Also rief er, und zur Stell' entschlief er. Auf ihn warf Predrag sich in Verzweiflung: "O Nenad! o meine lichte Sonne! Willst Du Dich mit mir doch nicht verschwägern! Ich bin Held Nenad, ein armer Jüngling; 160 Eine alte, ganz verlaßne Mutter Hab ich nur, und einen einz'gen Bruder, Den Predrag, ihn- weinen altem Bruder, Den ich suchend in der Welt umher zieh'. Daß sich mir die inn're Sehnsucht stille, 165 Die mich heut' in Tod stürzt und Verderben!“ Aber als Predrag dieß Wort vernommen, Heft'gen Schreckes warf er fort die Pfeile, Stürzte zu dem todeswunden Helden, Nahm vom Roß ihn, auf das Gras ihn setzend. 170 „Wie, bist Du's, Nenad, mein theurer Bruder? Ich, ich bin Predrag, Dein ält'rer Bruder! Doch nicht tödtlich sind mir Deine Wunden! Laß dieß seine Hemde mich zerreißen, Daß ich Dich verbinde und Dich heile!“ — 175 Ihm entgegnete der wunde Jüngling: „So bist Du es, o Predrag, mein Bruder? Dank dem Herrn, daß ich Dich noch erblicke, Und sich mir die inn're Sehnsucht stillet! Nicht genesen kann ich von den Wunden, 180 Doch Dir sei mein blut'ger Tod verziehen!“ — Also rief er, und zur Stell' entschlief er. Auf ihn warf Predrag sich in Verzweiflung: „O Nenad! o meine lichte Sonne! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0199" n="133"/> <lg> <l>Willst Du Dich mit mir doch nicht verschwägern!</l><lb/> <l>Ich bin Held Nenad, ein armer Jüngling; <note place="right">160</note></l><lb/> <l>Eine alte, ganz verlaßne Mutter</l><lb/> <l>Hab ich nur, und einen einz'gen Bruder,</l><lb/> <l>Den Predrag, ihn- weinen altem Bruder,</l><lb/> <l>Den ich suchend in der Welt umher zieh'.</l><lb/> <l>Daß sich mir die inn're Sehnsucht stille, <note place="right">165</note></l><lb/> <l>Die mich heut' in Tod stürzt und Verderben!“</l> </lg><lb/> <lg> <l>Aber als Predrag dieß Wort vernommen,</l><lb/> <l>Heft'gen Schreckes warf er fort die Pfeile,</l><lb/> <l>Stürzte zu dem todeswunden Helden,</l><lb/> <l>Nahm vom Roß ihn, auf das Gras ihn setzend. <note place="right">170</note></l><lb/> <l>„Wie, bist Du's, Nenad, mein theurer Bruder?</l><lb/> <l>Ich, ich bin Predrag, Dein ält'rer Bruder!</l><lb/> <l>Doch nicht tödtlich sind mir Deine Wunden!</l><lb/> <l>Laß dieß seine Hemde mich zerreißen,</l><lb/> <l>Daß ich Dich verbinde und Dich heile!“ — <note place="right">175</note></l> </lg><lb/> <lg> <l>Ihm entgegnete der wunde Jüngling:</l><lb/> <l>„So bist Du es, o Predrag, mein Bruder?</l><lb/> <l>Dank dem Herrn, daß ich Dich noch erblicke,</l><lb/> <l>Und sich mir die inn're Sehnsucht stillet!</l><lb/> <l>Nicht genesen kann ich von den Wunden, <note place="right">180</note></l><lb/> <l>Doch Dir sei mein blut'ger Tod verziehen!“ —</l> </lg><lb/> <lg> <l>Also rief er, und zur Stell' entschlief er.</l><lb/> <l>Auf ihn warf Predrag sich in Verzweiflung:</l><lb/> <l>„O Nenad! o meine lichte Sonne!</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [133/0199]
Willst Du Dich mit mir doch nicht verschwägern!
Ich bin Held Nenad, ein armer Jüngling;
Eine alte, ganz verlaßne Mutter
Hab ich nur, und einen einz'gen Bruder,
Den Predrag, ihn- weinen altem Bruder,
Den ich suchend in der Welt umher zieh'.
Daß sich mir die inn're Sehnsucht stille,
Die mich heut' in Tod stürzt und Verderben!“
Aber als Predrag dieß Wort vernommen,
Heft'gen Schreckes warf er fort die Pfeile,
Stürzte zu dem todeswunden Helden,
Nahm vom Roß ihn, auf das Gras ihn setzend.
„Wie, bist Du's, Nenad, mein theurer Bruder?
Ich, ich bin Predrag, Dein ält'rer Bruder!
Doch nicht tödtlich sind mir Deine Wunden!
Laß dieß seine Hemde mich zerreißen,
Daß ich Dich verbinde und Dich heile!“ —
Ihm entgegnete der wunde Jüngling:
„So bist Du es, o Predrag, mein Bruder?
Dank dem Herrn, daß ich Dich noch erblicke,
Und sich mir die inn're Sehnsucht stillet!
Nicht genesen kann ich von den Wunden,
Doch Dir sei mein blut'ger Tod verziehen!“ —
Also rief er, und zur Stell' entschlief er.
Auf ihn warf Predrag sich in Verzweiflung:
„O Nenad! o meine lichte Sonne!
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Zitationshilfe: | Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/199>, abgerufen am 17.06.2024. |