Talvj, Volkslieder der Serben, 1825Drauf zum Scharatz geht er in den Keller, Schnallet ihn mit sieben Sattelgurten; Hänget, einen Schlauch mit Wein anfüllend, 190 Ihn dem Scharatz an die rechte Seite, An die linke ihm den schweren Kolben, Daß er hierher nicht, noch dorthin neige; Drauf dem Ross' sich auf den Rücken werfend, Reitet grad' er nach dem weißen Stambul. 195 Als er anlangt in dem weißen Stambul, Geht er nicht zum Sultan noch Wesiren, Lieber nach der neuerbauten Herberg' Reitet er und machet dorten Einkehr. Aber als die Nacht begann zu dämmern, 200 Führt er seinen Scharatz an den See hin, Daß er sich am frischen Wasser labe. Doch der Scharatz will nicht Wasser trinken, Schaut beständig um sich her -- und siehe! Eine Türk'sche Jungfrau kommt des Weges, 205 Ganz verhüllt in Golddurchwirkte Tücher. Als die Jungfrau jetzt dem Seee nah war, Neigte sie sich vor dem grünen Seee, Und zum See' begann sie so zu sprechen: "Gott sey mit euch, o ihr grünen Wellen! 210 Gott sey mit euch, meine letzte Wohnung! All' mein Leben will in euch ich leben, Lieber See, mich dir nun anvermählen, Lieber dir, ach! als dem schwarzen Mohren!" -- Drauf zum Scharatz geht er in den Keller, Schnallet ihn mit sieben Sattelgurten; Hänget, einen Schlauch mit Wein anfüllend, 190 Ihn dem Scharatz an die rechte Seite, An die linke ihm den schweren Kolben, Daß er hierher nicht, noch dorthin neige; Drauf dem Ross' sich auf den Rücken werfend, Reitet grad' er nach dem weißen Stambul. 195 Als er anlangt in dem weißen Stambul, Geht er nicht zum Sultan noch Wesiren, Lieber nach der neuerbauten Herberg' Reitet er und machet dorten Einkehr. Aber als die Nacht begann zu dämmern, 200 Führt er seinen Scharatz an den See hin, Daß er sich am frischen Wasser labe. Doch der Scharatz will nicht Wasser trinken, Schaut beständig um sich her — und siehe! Eine Türk'sche Jungfrau kommt des Weges, 205 Ganz verhüllt in Golddurchwirkte Tücher. Als die Jungfrau jetzt dem Seee nah war, Neigte sie sich vor dem grünen Seee, Und zum See' begann sie so zu sprechen: „Gott sey mit euch, o ihr grünen Wellen! 210 Gott sey mit euch, meine letzte Wohnung! All' mein Leben will in euch ich leben, Lieber See, mich dir nun anvermählen, Lieber dir, ach! als dem schwarzen Mohren!“ — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0297" n="231"/> <lg> <l>Drauf zum Scharatz geht er in den Keller,</l><lb/> <l>Schnallet ihn mit sieben Sattelgurten;</l><lb/> <l>Hänget, einen Schlauch mit Wein anfüllend, <note place="right">190</note></l><lb/> <l>Ihn dem Scharatz an die rechte Seite,</l><lb/> <l>An die linke ihm den schweren Kolben,</l><lb/> <l>Daß er hierher nicht, noch dorthin neige;</l><lb/> <l>Drauf dem Ross' sich auf den Rücken werfend,</l><lb/> <l>Reitet grad' er nach dem weißen Stambul. <note place="right">195</note></l> </lg><lb/> <lg> <l>Als er anlangt in dem weißen Stambul,</l><lb/> <l>Geht er nicht zum Sultan noch Wesiren,</l><lb/> <l>Lieber nach der neuerbauten Herberg'</l><lb/> <l>Reitet er und machet dorten Einkehr.</l><lb/> <l>Aber als die Nacht begann zu dämmern, <note place="right">200</note></l><lb/> <l>Führt er seinen Scharatz an den See hin,</l><lb/> <l>Daß er sich am frischen Wasser labe.</l><lb/> <l>Doch der Scharatz will nicht Wasser trinken,</l><lb/> <l>Schaut beständig um sich her — und siehe!</l><lb/> <l>Eine Türk'sche Jungfrau kommt des Weges, <note place="right">205</note></l><lb/> <l>Ganz verhüllt in Golddurchwirkte Tücher.</l> </lg><lb/> <lg> <l>Als die Jungfrau jetzt dem Seee nah war,</l><lb/> <l>Neigte sie sich vor dem grünen Seee,</l><lb/> <l>Und zum See' begann sie so zu sprechen:</l><lb/> <l>„Gott sey mit euch, o ihr grünen Wellen! <note place="right">210</note></l><lb/> <l>Gott sey mit euch, meine letzte Wohnung!</l><lb/> <l>All' mein Leben will in euch ich leben,</l><lb/> <l>Lieber See, mich dir nun anvermählen,</l><lb/> <l>Lieber dir, ach! als dem schwarzen Mohren!“ —</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [231/0297]
Drauf zum Scharatz geht er in den Keller,
Schnallet ihn mit sieben Sattelgurten;
Hänget, einen Schlauch mit Wein anfüllend,
Ihn dem Scharatz an die rechte Seite,
An die linke ihm den schweren Kolben,
Daß er hierher nicht, noch dorthin neige;
Drauf dem Ross' sich auf den Rücken werfend,
Reitet grad' er nach dem weißen Stambul.
Als er anlangt in dem weißen Stambul,
Geht er nicht zum Sultan noch Wesiren,
Lieber nach der neuerbauten Herberg'
Reitet er und machet dorten Einkehr.
Aber als die Nacht begann zu dämmern,
Führt er seinen Scharatz an den See hin,
Daß er sich am frischen Wasser labe.
Doch der Scharatz will nicht Wasser trinken,
Schaut beständig um sich her — und siehe!
Eine Türk'sche Jungfrau kommt des Weges,
Ganz verhüllt in Golddurchwirkte Tücher.
Als die Jungfrau jetzt dem Seee nah war,
Neigte sie sich vor dem grünen Seee,
Und zum See' begann sie so zu sprechen:
„Gott sey mit euch, o ihr grünen Wellen!
Gott sey mit euch, meine letzte Wohnung!
All' mein Leben will in euch ich leben,
Lieber See, mich dir nun anvermählen,
Lieber dir, ach! als dem schwarzen Mohren!“ —
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