Talvj, Volkslieder der Serben, 1825"Was doch schließt so zeitig Ihr die Pforten?" -- Giebt der Wirth der Herberg' ihm zur Antwort: "Ey, beim Himmel! unbekannter Krieger! 270 Um die Fürstin hat der Mohr gefreiet, Wohl zur großen Schande uns'rem Herren! Heute Abend kommt er, sie zu holen, Und weil große Furcht wir vor ihm hegen, Schließen wir so zeitig Thür und Läden." 275 Marko giebt's nicht zu, daß er es thue, Stellt sich hin, daß er den Mohren sehe, Und die Straußgeschmückten Hochzeitgäste. Aber nun wird's laut im weißen Stambul. Sieh! da kommt der schwarze Mohr geritten 280 Auf der schlanken Stute, der arab'schen, Und mit ihm fünfhundert Hochzeitgäste, Alle die fünfhundert -- schwarze Mohren; Schwarz der Brautführer und schwarz der Herold, Und der Bräut'gam selbst ein schwarzer Mohre! 285 Wild und ausgelassen springt die Stute, Steine fliegen unter ihren Füßen, Daß zerschmetternd sie die Läden treffen. Als sie vor die neue Herberg' kamen, Sprach der Mohre also zu sich selber: 290 "Lieber Himmel! welch ein großes Wunder! Ganz geschlossen ist das weiße Stambul, Alles flieht vor mir aus Furcht und Schrecken, Einzig dieser Herberg' Thür ist offen! Ist vielleicht kein Mensch in dieser Herberg? 295 „Was doch schließt so zeitig Ihr die Pforten?“ — Giebt der Wirth der Herberg' ihm zur Antwort: „Ey, beim Himmel! unbekannter Krieger! 270 Um die Fürstin hat der Mohr gefreiet, Wohl zur großen Schande uns'rem Herren! Heute Abend kommt er, sie zu holen, Und weil große Furcht wir vor ihm hegen, Schließen wir so zeitig Thür und Läden.“ 275 Marko giebt's nicht zu, daß er es thue, Stellt sich hin, daß er den Mohren sehe, Und die Straußgeschmückten Hochzeitgäste. Aber nun wird's laut im weißen Stambul. Sieh! da kommt der schwarze Mohr geritten 280 Auf der schlanken Stute, der arab'schen, Und mit ihm fünfhundert Hochzeitgäste, Alle die fünfhundert — schwarze Mohren; Schwarz der Brautführer und schwarz der Herold, Und der Bräut'gam selbst ein schwarzer Mohre! 285 Wild und ausgelassen springt die Stute, Steine fliegen unter ihren Füßen, Daß zerschmetternd sie die Läden treffen. Als sie vor die neue Herberg' kamen, Sprach der Mohre also zu sich selber: 290 „Lieber Himmel! welch ein großes Wunder! Ganz geschlossen ist das weiße Stambul, Alles flieht vor mir aus Furcht und Schrecken, Einzig dieser Herberg' Thür ist offen! Ist vielleicht kein Mensch in dieser Herberg? 295 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0300" n="234"/> <lg> <l>„Was doch schließt so zeitig Ihr die Pforten?“ —</l><lb/> <l>Giebt der Wirth der Herberg' ihm zur Antwort:</l><lb/> <l>„Ey, beim Himmel! unbekannter Krieger! <note place="right">270</note></l><lb/> <l>Um die Fürstin hat der Mohr gefreiet,</l><lb/> <l>Wohl zur großen Schande uns'rem Herren!</l><lb/> <l>Heute Abend kommt er, sie zu holen,</l><lb/> <l>Und weil große Furcht wir vor ihm hegen,</l><lb/> <l>Schließen wir so zeitig Thür und Läden.“ <note place="right">275</note></l><lb/> <l>Marko giebt's nicht zu, daß er es thue,</l><lb/> <l>Stellt sich hin, daß er den Mohren sehe,</l><lb/> <l>Und die Straußgeschmückten Hochzeitgäste.</l> </lg><lb/> <lg> <l>Aber nun wird's laut im weißen Stambul.</l><lb/> <l>Sieh! da kommt der schwarze Mohr geritten <note place="right">280</note></l><lb/> <l>Auf der schlanken Stute, der arab'schen,</l><lb/> <l>Und mit ihm fünfhundert Hochzeitgäste,</l><lb/> <l>Alle die fünfhundert — schwarze Mohren;</l><lb/> <l>Schwarz der Brautführer und schwarz der Herold,</l><lb/> <l>Und der Bräut'gam selbst ein schwarzer Mohre! <note place="right">285</note></l><lb/> <l>Wild und ausgelassen springt die Stute,</l><lb/> <l>Steine fliegen unter ihren Füßen,</l><lb/> <l>Daß zerschmetternd sie die Läden treffen.</l><lb/> <l>Als sie vor die neue Herberg' kamen,</l><lb/> <l>Sprach der Mohre also zu sich selber: <note place="right">290</note></l><lb/> <l>„Lieber Himmel! welch ein großes Wunder!</l><lb/> <l>Ganz geschlossen ist das weiße Stambul,</l><lb/> <l>Alles flieht vor mir aus Furcht und Schrecken,</l><lb/> <l>Einzig dieser Herberg' Thür ist offen!</l><lb/> <l>Ist vielleicht kein Mensch in dieser Herberg? <note place="right">295</note></l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [234/0300]
„Was doch schließt so zeitig Ihr die Pforten?“ —
Giebt der Wirth der Herberg' ihm zur Antwort:
„Ey, beim Himmel! unbekannter Krieger!
Um die Fürstin hat der Mohr gefreiet,
Wohl zur großen Schande uns'rem Herren!
Heute Abend kommt er, sie zu holen,
Und weil große Furcht wir vor ihm hegen,
Schließen wir so zeitig Thür und Läden.“
Marko giebt's nicht zu, daß er es thue,
Stellt sich hin, daß er den Mohren sehe,
Und die Straußgeschmückten Hochzeitgäste.
Aber nun wird's laut im weißen Stambul.
Sieh! da kommt der schwarze Mohr geritten
Auf der schlanken Stute, der arab'schen,
Und mit ihm fünfhundert Hochzeitgäste,
Alle die fünfhundert — schwarze Mohren;
Schwarz der Brautführer und schwarz der Herold,
Und der Bräut'gam selbst ein schwarzer Mohre!
Wild und ausgelassen springt die Stute,
Steine fliegen unter ihren Füßen,
Daß zerschmetternd sie die Läden treffen.
Als sie vor die neue Herberg' kamen,
Sprach der Mohre also zu sich selber:
„Lieber Himmel! welch ein großes Wunder!
Ganz geschlossen ist das weiße Stambul,
Alles flieht vor mir aus Furcht und Schrecken,
Einzig dieser Herberg' Thür ist offen!
Ist vielleicht kein Mensch in dieser Herberg?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/300 |
Zitationshilfe: | Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/300>, abgerufen am 26.06.2024. |