derliche Thiere sah er; er lebte mit mannich¬ faltigen Menschen, bald im Kriege, in wil¬ dem Getümmel, in stillen Hütten. Er ge¬ rieth in Gefangenschaft und die schmählichste Noth. Alle Empfindungen stiegen bis zu ei¬ ner niegekannten Höhe in ihm. Er durch¬ lebte ein unendlich buntes Leben; starb und kam wieder, liebte bis zur höchsten Leiden¬ schaft, und war dann wieder auf ewig von seiner Geliebten getrennt. Endlich gegen Morgen, wie draußen die Dämmerung an¬ brach, wurde es stiller in seiner Seele, kla¬ rer und bleibender wurden die Bilder. Es kam ihm vor, als ginge er in einem dun¬ keln Walde allein. Nur selten schimmerte der Tag durch das grüne Netz. Bald kam er vor eine Felsenschlucht, die bergan stieg. Er mußte über bemooste Steine klettern, die ein ehemaliger Strom herunter gerissen hat¬ te. Je höher er kam, desto lichter wurde
derliche Thiere ſah er; er lebte mit mannich¬ faltigen Menſchen, bald im Kriege, in wil¬ dem Getümmel, in ſtillen Hütten. Er ge¬ rieth in Gefangenſchaft und die ſchmählichſte Noth. Alle Empfindungen ſtiegen bis zu ei¬ ner niegekannten Höhe in ihm. Er durch¬ lebte ein unendlich buntes Leben; ſtarb und kam wieder, liebte bis zur höchſten Leiden¬ ſchaft, und war dann wieder auf ewig von ſeiner Geliebten getrennt. Endlich gegen Morgen, wie draußen die Dämmerung an¬ brach, wurde es ſtiller in ſeiner Seele, kla¬ rer und bleibender wurden die Bilder. Es kam ihm vor, als ginge er in einem dun¬ keln Walde allein. Nur ſelten ſchimmerte der Tag durch das grüne Netz. Bald kam er vor eine Felſenſchlucht, die bergan ſtieg. Er mußte über bemooſte Steine klettern, die ein ehemaliger Strom herunter geriſſen hat¬ te. Je höher er kam, deſto lichter wurde
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derliche Thiere ſah er; er lebte mit mannich¬
faltigen Menſchen, bald im Kriege, in wil¬
dem Getümmel, in ſtillen Hütten. Er ge¬
rieth in Gefangenſchaft und die ſchmählichſte
Noth. Alle Empfindungen ſtiegen bis zu ei¬
ner niegekannten Höhe in ihm. Er durch¬
lebte ein unendlich buntes Leben; ſtarb und
kam wieder, liebte bis zur höchſten Leiden¬
ſchaft, und war dann wieder auf ewig von
ſeiner Geliebten getrennt. Endlich gegen
Morgen, wie draußen die Dämmerung an¬
brach, wurde es ſtiller in ſeiner Seele, kla¬
rer und bleibender wurden die Bilder. Es
kam ihm vor, als ginge er in einem dun¬
keln Walde allein. Nur ſelten ſchimmerte
der Tag durch das grüne Netz. Bald kam
er vor eine Felſenſchlucht, die bergan ſtieg.
Er mußte über bemooſte Steine klettern, die
ein ehemaliger Strom herunter geriſſen hat¬
te. Je höher er kam, deſto lichter wurde
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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/18>, abgerufen am 09.11.2024.
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