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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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reizte alle Neigungen zu einem muntern
Spiel. Blumenkörbe dufteten in voller
Pracht auf dem Tische, und der Wein schlich
zwischen den Schüsseln und Blumen umher,
schüttelte seine goldnen Flügel und stellte
bunte Tapeten zwischen die Welt und die
Gäste. Heinrich begriff erst jetzt, was ein
Fest sey. Tausend frohe Geister schienen ihm
um den Tisch zu gaukeln, und in stiller
Sympathie mit den frölichen Menschen von
ihren Freuden zu leben und mit ihren Genüs¬
sen sich zu berauschen. Der Lebensgenuß stand
wie ein klingender Baum voll goldener
Früchte vor ihm. Das Übel ließ sich nicht
sehen, und es dünkte ihm unmöglich, daß je
die menschliche Neigung von diesem Baume
zu der gefährlichen Frucht des Erkenntnisses,
zu dem Baume des Krieges sich gewendet
haben sollte. Er verstand nun den Wein
und die Speisen. Sie schmeckten ihm übe

reizte alle Neigungen zu einem muntern
Spiel. Blumenkörbe dufteten in voller
Pracht auf dem Tiſche, und der Wein ſchlich
zwiſchen den Schüſſeln und Blumen umher,
ſchüttelte ſeine goldnen Flügel und ſtellte
bunte Tapeten zwiſchen die Welt und die
Gäſte. Heinrich begriff erſt jetzt, was ein
Feſt ſey. Tauſend frohe Geiſter ſchienen ihm
um den Tiſch zu gaukeln, und in ſtiller
Sympathie mit den frölichen Menſchen von
ihren Freuden zu leben und mit ihren Genüſ¬
ſen ſich zu berauſchen. Der Lebensgenuß ſtand
wie ein klingender Baum voll goldener
Früchte vor ihm. Das Übel ließ ſich nicht
ſehen, und es dünkte ihm unmöglich, daß je
die menſchliche Neigung von dieſem Baume
zu der gefährlichen Frucht des Erkenntniſſes,
zu dem Baume des Krieges ſich gewendet
haben ſollte. Er verſtand nun den Wein
und die Speiſen. Sie ſchmeckten ihm übe

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[218/0226] reizte alle Neigungen zu einem muntern Spiel. Blumenkörbe dufteten in voller Pracht auf dem Tiſche, und der Wein ſchlich zwiſchen den Schüſſeln und Blumen umher, ſchüttelte ſeine goldnen Flügel und ſtellte bunte Tapeten zwiſchen die Welt und die Gäſte. Heinrich begriff erſt jetzt, was ein Feſt ſey. Tauſend frohe Geiſter ſchienen ihm um den Tiſch zu gaukeln, und in ſtiller Sympathie mit den frölichen Menſchen von ihren Freuden zu leben und mit ihren Genüſ¬ ſen ſich zu berauſchen. Der Lebensgenuß ſtand wie ein klingender Baum voll goldener Früchte vor ihm. Das Übel ließ ſich nicht ſehen, und es dünkte ihm unmöglich, daß je die menſchliche Neigung von dieſem Baume zu der gefährlichen Frucht des Erkenntniſſes, zu dem Baume des Krieges ſich gewendet haben ſollte. Er verſtand nun den Wein und die Speiſen. Sie ſchmeckten ihm übe

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/226>, abgerufen am 21.11.2024.