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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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Flügel über sie ausbreitete. Unendlich froh
war die müde Ginnistan, und verwandte kein
Auge von dem holden Schläfer. Während
des Gesanges waren von allen Seiten Ta¬
ranteln zum Vorschein gekommen, die über
die Grashalme ein glänzendes Netz zogen, und
lebhaft nach dem Takte sich an ihren Fäden
bewegten. Fabel tröstete nun ihre Mutter,
und versprach ihr baldige Hülfe. Vom Fel¬
sen tönte der sanfte Wiederhall der Musik,
und wiegte die Schläfer ein. Ginnistan
sprengte aus dem wohlverwahrten Gefäß ei¬
nige Tropfen in die Luft, und die anmuthig¬
sten Träume fielen auf sie nieder. Fabel
nahm das Gefäß mit und setzte ihre Reise
fort. Ihre Saiten ruhten nicht, und die
Taranteln folgten auf schnellgesponnenen Fä¬
den den bezaubernden Tönen.

Sie sah bald von weitem die hohe Flam¬
me des Scheiterhaufens, die über den grü¬

Flügel über ſie ausbreitete. Unendlich froh
war die müde Ginniſtan, und verwandte kein
Auge von dem holden Schläfer. Während
des Geſanges waren von allen Seiten Ta¬
ranteln zum Vorſchein gekommen, die über
die Grashalme ein glänzendes Netz zogen, und
lebhaft nach dem Takte ſich an ihren Fäden
bewegten. Fabel tröſtete nun ihre Mutter,
und verſprach ihr baldige Hülfe. Vom Fel¬
ſen tönte der ſanfte Wiederhall der Muſik,
und wiegte die Schläfer ein. Ginniſtan
ſprengte aus dem wohlverwahrten Gefäß ei¬
nige Tropfen in die Luft, und die anmuthig¬
ſten Träume fielen auf ſie nieder. Fabel
nahm das Gefäß mit und ſetzte ihre Reiſe
fort. Ihre Saiten ruhten nicht, und die
Taranteln folgten auf ſchnellgeſponnenen Fä¬
den den bezaubernden Tönen.

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[314/0322] Flügel über ſie ausbreitete. Unendlich froh war die müde Ginniſtan, und verwandte kein Auge von dem holden Schläfer. Während des Geſanges waren von allen Seiten Ta¬ ranteln zum Vorſchein gekommen, die über die Grashalme ein glänzendes Netz zogen, und lebhaft nach dem Takte ſich an ihren Fäden bewegten. Fabel tröſtete nun ihre Mutter, und verſprach ihr baldige Hülfe. Vom Fel¬ ſen tönte der ſanfte Wiederhall der Muſik, und wiegte die Schläfer ein. Ginniſtan ſprengte aus dem wohlverwahrten Gefäß ei¬ nige Tropfen in die Luft, und die anmuthig¬ ſten Träume fielen auf ſie nieder. Fabel nahm das Gefäß mit und ſetzte ihre Reiſe fort. Ihre Saiten ruhten nicht, und die Taranteln folgten auf ſchnellgeſponnenen Fä¬ den den bezaubernden Tönen. Sie ſah bald von weitem die hohe Flam¬ me des Scheiterhaufens, die über den grü¬

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/322>, abgerufen am 21.11.2024.