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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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dankens. Das Gewissen ist der Menschen ei¬
genstes Wesen in voller Verklärung, der
himmlische Urmensch. Es ist nicht dies und
jenes, es gebietet nicht in allgemeinen Sprü¬
chen, es besteht nicht aus einzelnen Tugen¬
den. Es giebt nur Eine Tugend, -- den
reinen, ernsten Willen, der im Augenblick
der Entscheidung unmittelbar sich entschließt
und wählt. In lebendiger, eigenthümlicher
Untheilbarkeit bewohnt es und beseelt es
das zärtliche Sinnbild des menschlichen Kör¬
pers, und vermag alle geistigen Gliedma¬
ßen in die wahrhafteste Thätigkeit zu ver¬
setzen.

O trefflicher Vater! unterbrach ihn
Heinrich, mit welcher Freude erfüllt mich das
Licht, das aus euren Worten ausgeht! Also
ist der wahre Geist der Fabel eine freund¬
liche Verkleidung des Geistes der Tugend,
und der eigentliche Geist der untergeordneten

dankens. Das Gewiſſen iſt der Menſchen ei¬
genſtes Weſen in voller Verklärung, der
himmliſche Urmenſch. Es iſt nicht dies und
jenes, es gebietet nicht in allgemeinen Sprü¬
chen, es beſteht nicht aus einzelnen Tugen¬
den. Es giebt nur Eine Tugend, — den
reinen, ernſten Willen, der im Augenblick
der Entſcheidung unmittelbar ſich entſchließt
und wählt. In lebendiger, eigenthümlicher
Untheilbarkeit bewohnt es und beſeelt es
das zärtliche Sinnbild des menſchlichen Kör¬
pers, und vermag alle geiſtigen Gliedma¬
ßen in die wahrhafteſte Thätigkeit zu ver¬
ſetzen.

O trefflicher Vater! unterbrach ihn
Heinrich, mit welcher Freude erfüllt mich das
Licht, das aus euren Worten ausgeht! Alſo
iſt der wahre Geiſt der Fabel eine freund¬
liche Verkleidung des Geiſtes der Tugend,
und der eigentliche Geiſt der untergeordneten

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[43/0389] dankens. Das Gewiſſen iſt der Menſchen ei¬ genſtes Weſen in voller Verklärung, der himmliſche Urmenſch. Es iſt nicht dies und jenes, es gebietet nicht in allgemeinen Sprü¬ chen, es beſteht nicht aus einzelnen Tugen¬ den. Es giebt nur Eine Tugend, — den reinen, ernſten Willen, der im Augenblick der Entſcheidung unmittelbar ſich entſchließt und wählt. In lebendiger, eigenthümlicher Untheilbarkeit bewohnt es und beſeelt es das zärtliche Sinnbild des menſchlichen Kör¬ pers, und vermag alle geiſtigen Gliedma¬ ßen in die wahrhafteſte Thätigkeit zu ver¬ ſetzen. O trefflicher Vater! unterbrach ihn Heinrich, mit welcher Freude erfüllt mich das Licht, das aus euren Worten ausgeht! Alſo iſt der wahre Geiſt der Fabel eine freund¬ liche Verkleidung des Geiſtes der Tugend, und der eigentliche Geiſt der untergeordneten

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/389>, abgerufen am 21.11.2024.