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Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892.

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noch keinen Religions-Unterricht. Alle Versuche, in dieser Beziehung etwas einzuwenden, scheiterten an ihrem trefflichen Leumund. Auch der Zeuge Mölders sollte auf Anstiften der Juden, welche die Sterne vom Himmel herunterzulügen versuchten, als professionierter Trunkenbold verdächtigt werden, obwohl er nachweislich kein Säufer ist und sich vielmehr allgemeiner Hochachtung erfreut. Das Defile der Zeugen begann, und schon bei den ersten, so erzählen Augenzeugen, konnte man es dem Oberstaatsanwalt anmerken, daß er länger auf seiner früheren Zurückhaltung nicht verharren wollte. Beim sechsten Zeugen war das Schicksal der Buschoffs entschieden, und Polizeikommissar Wolff durfte sie unter dem Jubel der erleichtert aufatmenden Bevölkerung zu Wagen nach Cleve überführen. Die vorgebrachten Beweise waren also selbst den Herren Staatsanwälten, welche vorher absolut nichts von einer Festsetzung der Juden hatten wissen wollen, ausreichend erschienen, um zur Verhaftung zu schreiten. War doch unwiderleglich festgestellt, daß das ermordete Kind um 10 Uhr in das Buschoffsche Haus hineingezogen worden war. Hier liegt der Kardinalpunkt der so kläglich zur Entgleisung gebrachten Untersuchung. Um 1/211 Uhr wurde das Kind bereits vermißt. Man suchte es im ganzen Orte und auch außerhalb. Und nach 6 Uhr fand es die Magd Dora Moll in der Rüpperschen Scheune resp. im Kuhstalle ermordet und nach allen Regeln der Kunst geschächtet vor. Und nach 12 Uhr, als sie die Kühe abfütterte, hatte sie es noch nicht bemerkt. Das Kind ist demnach zwischen 12 und 6 Uhr in den Stall geschafft worden, wahrscheinlich in der Absicht, es am Abend dann durch das immer offen stehende Thor in den Rhein oder sonst wohin zu bringen. Und trotzdem wird im Buschoffschen Schlachthause, das durch eine Hinterthür mit jenem Fundort mittelbar in Verbindung steht, eine Haussuchung nicht vorgenommen! Sollte dieser Thatbestand, an dem nicht zu rütteln ist, abgesehen von vielen anderen schweren Gravamina wirklich nicht genügen, den Schächter mit Frau und Kind vor die Geschworenen zu bringen? Es würde zu weit führen, wollten wir hier alle die Belastungsmomente zusammenstellen, welche die Schuld Buschoffs unwiderleglich darthun. Sein Alibi, zu dessen Konstruierung

noch keinen Religions-Unterricht. Alle Versuche, in dieser Beziehung etwas einzuwenden, scheiterten an ihrem trefflichen Leumund. Auch der Zeuge Mölders sollte auf Anstiften der Juden, welche die Sterne vom Himmel herunterzulügen versuchten, als professionierter Trunkenbold verdächtigt werden, obwohl er nachweislich kein Säufer ist und sich vielmehr allgemeiner Hochachtung erfreut. Das Defilé der Zeugen begann, und schon bei den ersten, so erzählen Augenzeugen, konnte man es dem Oberstaatsanwalt anmerken, daß er länger auf seiner früheren Zurückhaltung nicht verharren wollte. Beim sechsten Zeugen war das Schicksal der Buschoffs entschieden, und Polizeikommissar Wolff durfte sie unter dem Jubel der erleichtert aufatmenden Bevölkerung zu Wagen nach Cleve überführen. Die vorgebrachten Beweise waren also selbst den Herren Staatsanwälten, welche vorher absolut nichts von einer Festsetzung der Juden hatten wissen wollen, ausreichend erschienen, um zur Verhaftung zu schreiten. War doch unwiderleglich festgestellt, daß das ermordete Kind um 10 Uhr in das Buschoffsche Haus hineingezogen worden war. Hier liegt der Kardinalpunkt der so kläglich zur Entgleisung gebrachten Untersuchung. Um ½11 Uhr wurde das Kind bereits vermißt. Man suchte es im ganzen Orte und auch außerhalb. Und nach 6 Uhr fand es die Magd Dora Moll in der Rüpperschen Scheune resp. im Kuhstalle ermordet und nach allen Regeln der Kunst geschächtet vor. Und nach 12 Uhr, als sie die Kühe abfütterte, hatte sie es noch nicht bemerkt. Das Kind ist demnach zwischen 12 und 6 Uhr in den Stall geschafft worden, wahrscheinlich in der Absicht, es am Abend dann durch das immer offen stehende Thor in den Rhein oder sonst wohin zu bringen. Und trotzdem wird im Buschoffschen Schlachthause, das durch eine Hinterthür mit jenem Fundort mittelbar in Verbindung steht, eine Haussuchung nicht vorgenommen! Sollte dieser Thatbestand, an dem nicht zu rütteln ist, abgesehen von vielen anderen schweren Gravamina wirklich nicht genügen, den Schächter mit Frau und Kind vor die Geschworenen zu bringen? Es würde zu weit führen, wollten wir hier alle die Belastungsmomente zusammenstellen, welche die Schuld Buschoffs unwiderleglich darthun. Sein Alibi, zu dessen Konstruierung

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[10/0010] noch keinen Religions-Unterricht. Alle Versuche, in dieser Beziehung etwas einzuwenden, scheiterten an ihrem trefflichen Leumund. Auch der Zeuge Mölders sollte auf Anstiften der Juden, welche die Sterne vom Himmel herunterzulügen versuchten, als professionierter Trunkenbold verdächtigt werden, obwohl er nachweislich kein Säufer ist und sich vielmehr allgemeiner Hochachtung erfreut. Das Defilé der Zeugen begann, und schon bei den ersten, so erzählen Augenzeugen, konnte man es dem Oberstaatsanwalt anmerken, daß er länger auf seiner früheren Zurückhaltung nicht verharren wollte. Beim sechsten Zeugen war das Schicksal der Buschoffs entschieden, und Polizeikommissar Wolff durfte sie unter dem Jubel der erleichtert aufatmenden Bevölkerung zu Wagen nach Cleve überführen. Die vorgebrachten Beweise waren also selbst den Herren Staatsanwälten, welche vorher absolut nichts von einer Festsetzung der Juden hatten wissen wollen, ausreichend erschienen, um zur Verhaftung zu schreiten. War doch unwiderleglich festgestellt, daß das ermordete Kind um 10 Uhr in das Buschoffsche Haus hineingezogen worden war. Hier liegt der Kardinalpunkt der so kläglich zur Entgleisung gebrachten Untersuchung. Um ½11 Uhr wurde das Kind bereits vermißt. Man suchte es im ganzen Orte und auch außerhalb. Und nach 6 Uhr fand es die Magd Dora Moll in der Rüpperschen Scheune resp. im Kuhstalle ermordet und nach allen Regeln der Kunst geschächtet vor. Und nach 12 Uhr, als sie die Kühe abfütterte, hatte sie es noch nicht bemerkt. Das Kind ist demnach zwischen 12 und 6 Uhr in den Stall geschafft worden, wahrscheinlich in der Absicht, es am Abend dann durch das immer offen stehende Thor in den Rhein oder sonst wohin zu bringen. Und trotzdem wird im Buschoffschen Schlachthause, das durch eine Hinterthür mit jenem Fundort mittelbar in Verbindung steht, eine Haussuchung nicht vorgenommen! Sollte dieser Thatbestand, an dem nicht zu rütteln ist, abgesehen von vielen anderen schweren Gravamina wirklich nicht genügen, den Schächter mit Frau und Kind vor die Geschworenen zu bringen? Es würde zu weit führen, wollten wir hier alle die Belastungsmomente zusammenstellen, welche die Schuld Buschoffs unwiderleglich darthun. Sein Alibi, zu dessen Konstruierung

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Zitationshilfe: Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oberwinder_buschoff_1892/10>, abgerufen am 21.11.2024.