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Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892.

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Juden nur ein wenig Oberwasser gehabt, so hätten wir sehen mögen, wie das Weltblatt des Herrn Mosse, das "Berliner Tageblatt" den Mund aufgerissen und die Gegner mit Invektiven aller Art überschüttet haben würde. Nichts davon. Und so war es auf der ganzen Linie. Israel fühlte offenbar, es sei etwas faul im Staate Dänemark.

Man kann es den Sozialdemokraten sonst nicht abstreiten, daß sie mit Geschick die gesellschaftlichen Mißstände für ihre Zwecke auszubeuten verstehen. Aber im Xantener Fall hatte auch die Sozialdemokraten der gewohnte Scharfblick völlig verlassen. Sie sahen, genau wie die liberalen Zeitungen, den Wald vor lauter Bäumen nicht. Böse Zungen werden freilich behaupten, daß die sozialistischen Blätter den Judenwald nicht hätten sehen dürfen, weil die Juden auch in der Sozialdemokratie mehr als zu Hause seien. Indessen wollen wir das dahingestellt sein lassen. Thatsache ist unzweifelhaft, daß der "Vorwärts", das sozialistische Zentralorgan, im Sommer 1891 den Manche-Skandal nach dem Ahlwardt'schen Buch rückhaltslos an den Pranger genagelt hat, und daß mehrfach Aussprüche im "Vorwärts" zu finden gewesen sind, welche eine Allianz mit dem Judentum energisch leugnen.

Wir drucken einen derselben hier ab; er lautet:

Und was für eine verschrobene Auffassung, die uns eine besondere Vorliebe für das Judentum andichtet! Das richtige ist: die Sozialdemokratie ist nicht antisemitisch, sie treibt aber auch keinen Philosemitismus. Das kapitalistische Judentum, mag es an der Börse oder im Großhandel, in der großgewerblichen Ausbeutung, in der Politik oder in der Litteratur sich breit machen, ist für uns nicht reizvoller, als das unbeschnittene Großkapital und seine Vertretung. Ob Bleichröder oder Hansemann, ob Gerson oder Hertzog, ob Rothschild oder Stumm, ob Levysohn oder Pindter, ob Bamberger oder Kardorff, alle diese Repräsentanten der herrschenden Klassen finden als solche bei uns die gleiche Kritik, die gleiche Beurteilung, die gleiche Bewertung.

Dieser Standpunkt hat viel für sich, nur müßte er auch innegehalten werden. Daran hat es bisher aber recht gefehlt.

Juden nur ein wenig Oberwasser gehabt, so hätten wir sehen mögen, wie das Weltblatt des Herrn Mosse, das „Berliner Tageblatt“ den Mund aufgerissen und die Gegner mit Invektiven aller Art überschüttet haben würde. Nichts davon. Und so war es auf der ganzen Linie. Israel fühlte offenbar, es sei etwas faul im Staate Dänemark.

Man kann es den Sozialdemokraten sonst nicht abstreiten, daß sie mit Geschick die gesellschaftlichen Mißstände für ihre Zwecke auszubeuten verstehen. Aber im Xantener Fall hatte auch die Sozialdemokraten der gewohnte Scharfblick völlig verlassen. Sie sahen, genau wie die liberalen Zeitungen, den Wald vor lauter Bäumen nicht. Böse Zungen werden freilich behaupten, daß die sozialistischen Blätter den Judenwald nicht hätten sehen dürfen, weil die Juden auch in der Sozialdemokratie mehr als zu Hause seien. Indessen wollen wir das dahingestellt sein lassen. Thatsache ist unzweifelhaft, daß der „Vorwärts“, das sozialistische Zentralorgan, im Sommer 1891 den Manché-Skandal nach dem Ahlwardt’schen Buch rückhaltslos an den Pranger genagelt hat, und daß mehrfach Aussprüche im „Vorwärts“ zu finden gewesen sind, welche eine Allianz mit dem Judentum energisch leugnen.

Wir drucken einen derselben hier ab; er lautet:

Und was für eine verschrobene Auffassung, die uns eine besondere Vorliebe für das Judentum andichtet! Das richtige ist: die Sozialdemokratie ist nicht antisemitisch, sie treibt aber auch keinen Philosemitismus. Das kapitalistische Judentum, mag es an der Börse oder im Großhandel, in der großgewerblichen Ausbeutung, in der Politik oder in der Litteratur sich breit machen, ist für uns nicht reizvoller, als das unbeschnittene Großkapital und seine Vertretung. Ob Bleichröder oder Hansemann, ob Gerson oder Hertzog, ob Rothschild oder Stumm, ob Levysohn oder Pindter, ob Bamberger oder Kardorff, alle diese Repräsentanten der herrschenden Klassen finden als solche bei uns die gleiche Kritik, die gleiche Beurteilung, die gleiche Bewertung.

Dieser Standpunkt hat viel für sich, nur müßte er auch innegehalten werden. Daran hat es bisher aber recht gefehlt.

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[34/0034] Juden nur ein wenig Oberwasser gehabt, so hätten wir sehen mögen, wie das Weltblatt des Herrn Mosse, das „Berliner Tageblatt“ den Mund aufgerissen und die Gegner mit Invektiven aller Art überschüttet haben würde. Nichts davon. Und so war es auf der ganzen Linie. Israel fühlte offenbar, es sei etwas faul im Staate Dänemark. Man kann es den Sozialdemokraten sonst nicht abstreiten, daß sie mit Geschick die gesellschaftlichen Mißstände für ihre Zwecke auszubeuten verstehen. Aber im Xantener Fall hatte auch die Sozialdemokraten der gewohnte Scharfblick völlig verlassen. Sie sahen, genau wie die liberalen Zeitungen, den Wald vor lauter Bäumen nicht. Böse Zungen werden freilich behaupten, daß die sozialistischen Blätter den Judenwald nicht hätten sehen dürfen, weil die Juden auch in der Sozialdemokratie mehr als zu Hause seien. Indessen wollen wir das dahingestellt sein lassen. Thatsache ist unzweifelhaft, daß der „Vorwärts“, das sozialistische Zentralorgan, im Sommer 1891 den Manché-Skandal nach dem Ahlwardt’schen Buch rückhaltslos an den Pranger genagelt hat, und daß mehrfach Aussprüche im „Vorwärts“ zu finden gewesen sind, welche eine Allianz mit dem Judentum energisch leugnen. Wir drucken einen derselben hier ab; er lautet: Und was für eine verschrobene Auffassung, die uns eine besondere Vorliebe für das Judentum andichtet! Das richtige ist: die Sozialdemokratie ist nicht antisemitisch, sie treibt aber auch keinen Philosemitismus. Das kapitalistische Judentum, mag es an der Börse oder im Großhandel, in der großgewerblichen Ausbeutung, in der Politik oder in der Litteratur sich breit machen, ist für uns nicht reizvoller, als das unbeschnittene Großkapital und seine Vertretung. Ob Bleichröder oder Hansemann, ob Gerson oder Hertzog, ob Rothschild oder Stumm, ob Levysohn oder Pindter, ob Bamberger oder Kardorff, alle diese Repräsentanten der herrschenden Klassen finden als solche bei uns die gleiche Kritik, die gleiche Beurteilung, die gleiche Bewertung. Dieser Standpunkt hat viel für sich, nur müßte er auch innegehalten werden. Daran hat es bisher aber recht gefehlt.

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Zitationshilfe: Oberwinder, Heinrich: Der Fall Buschoff. Berlin, 1892, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oberwinder_buschoff_1892/34>, abgerufen am 21.11.2024.