Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

müßte gegen würkliche Fälle, wo Unwissenheit geschützt hätte, auch würkliche Fälle haben, wo Belehrung geschadet hätte. Hätten wir würkliche Fälle der einen oder andern Art genug, so würden wir uns nach Erfahrungen bestimmen; da wir aber noch wenig ausgemachte Erfahrungen haben, und es ohnedies auch nicht bewiesen werden kann, daß ein entgegengesetztes Benehmen auch einen entgegengesetzten Erfolg würde gehabt haben: (denn wie viele uns unbekannte Ursachen können das veranlassen, was wir als eine Folge unsers Benehmens ansehen) so müssen wir die würklichen Fälle vorerst ganz vorbei gehen und uns an das Mögliche und Unwahrscheinliche halten.

Wir können ja nicht darthun, daß in dem Fall, wo unserer Meinung nach Unwissenheit geschützt hat, gerade sie und nichts anders geschützt habe; noch weniger, daß in eben dem Falle Belehrung würde geschadet haben. Wahrscheinlichkeit bestimmt uns hier. So macht es der Arzt beim Gebrauch eines neuen Heilmittels. Er bestimmt sich nach höchstwahrscheinlichen Gründen des Verhältnisses seiner Arznei zur Krankheit, und wiederholte Erfahrungen geben ihm erst Gewißheit.

müßte gegen würkliche Fälle, wo Unwissenheit geschützt hätte, auch würkliche Fälle haben, wo Belehrung geschadet hätte. Hätten wir würkliche Fälle der einen oder andern Art genug, so würden wir uns nach Erfahrungen bestimmen; da wir aber noch wenig ausgemachte Erfahrungen haben, und es ohnedies auch nicht bewiesen werden kann, daß ein entgegengesetztes Benehmen auch einen entgegengesetzten Erfolg würde gehabt haben: (denn wie viele uns unbekannte Ursachen können das veranlassen, was wir als eine Folge unsers Benehmens ansehen) so müssen wir die würklichen Fälle vorerst ganz vorbei gehen und uns an das Mögliche und Unwahrscheinliche halten.

Wir können ja nicht darthun, daß in dem Fall, wo unserer Meinung nach Unwissenheit geschützt hat, gerade sie und nichts anders geschützt habe; noch weniger, daß in eben dem Falle Belehrung würde geschadet haben. Wahrscheinlichkeit bestimmt uns hier. So macht es der Arzt beim Gebrauch eines neuen Heilmittels. Er bestimmt sich nach höchstwahrscheinlichen Gründen des Verhältnisses seiner Arznei zur Krankheit, und wiederholte Erfahrungen geben ihm erst Gewißheit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0238" n="239"/>
müßte gegen würkliche Fälle, wo Unwissenheit geschützt hätte, auch würkliche Fälle haben, wo Belehrung geschadet hätte. Hätten wir würkliche Fälle der einen oder andern Art genug, so würden wir uns nach Erfahrungen bestimmen; da wir aber noch wenig ausgemachte Erfahrungen haben, und es ohnedies auch nicht bewiesen werden kann, daß ein entgegengesetztes Benehmen auch einen entgegengesetzten Erfolg würde gehabt haben: (denn wie viele uns unbekannte Ursachen können das veranlassen, was wir als eine Folge unsers Benehmens ansehen) so müssen wir die würklichen Fälle vorerst ganz vorbei gehen und uns an das Mögliche und Unwahrscheinliche halten.</p>
          <p>Wir können ja nicht darthun, daß in dem Fall, wo unserer Meinung nach Unwissenheit geschützt hat, gerade sie und nichts anders geschützt habe; noch weniger, daß in eben dem Falle Belehrung würde geschadet haben. Wahrscheinlichkeit bestimmt uns hier. So macht es der Arzt beim Gebrauch eines neuen Heilmittels. Er bestimmt sich nach höchstwahrscheinlichen Gründen des Verhältnisses seiner Arznei zur Krankheit, und wiederholte Erfahrungen geben ihm erst Gewißheit.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0238] müßte gegen würkliche Fälle, wo Unwissenheit geschützt hätte, auch würkliche Fälle haben, wo Belehrung geschadet hätte. Hätten wir würkliche Fälle der einen oder andern Art genug, so würden wir uns nach Erfahrungen bestimmen; da wir aber noch wenig ausgemachte Erfahrungen haben, und es ohnedies auch nicht bewiesen werden kann, daß ein entgegengesetztes Benehmen auch einen entgegengesetzten Erfolg würde gehabt haben: (denn wie viele uns unbekannte Ursachen können das veranlassen, was wir als eine Folge unsers Benehmens ansehen) so müssen wir die würklichen Fälle vorerst ganz vorbei gehen und uns an das Mögliche und Unwahrscheinliche halten. Wir können ja nicht darthun, daß in dem Fall, wo unserer Meinung nach Unwissenheit geschützt hat, gerade sie und nichts anders geschützt habe; noch weniger, daß in eben dem Falle Belehrung würde geschadet haben. Wahrscheinlichkeit bestimmt uns hier. So macht es der Arzt beim Gebrauch eines neuen Heilmittels. Er bestimmt sich nach höchstwahrscheinlichen Gründen des Verhältnisses seiner Arznei zur Krankheit, und wiederholte Erfahrungen geben ihm erst Gewißheit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T10:30:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Überschriebene „e“ über den Vokalen „a“, „o“ und „u“ werden als moderne Umlaute transkribiert.
  • Bindestriche werden nicht als =, sondern als - transkribiert.
  • Das Anführungszeichen „ wird am Ende eines Zitats als “ transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/oest_kinder_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/oest_kinder_1787/238
Zitationshilfe: Oest, Johann Friedrich: Versuch einer Beantwortung der pädagogischen Frage: Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt, und der Selbstschwächung insonderheit verwahren, oder, wofern sie schon davon angesteckt waren, wie man sie davon heilen könne? Wien, 1787, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oest_kinder_1787/238>, abgerufen am 21.11.2024.