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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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meine Alte den Tag nicht erlebt hat, die weinte sich die
Augen aus."

"Nein, nein, versündigt Euch nicht noch an ihr"
verwieß der Richter, "das war eine brave, resolute
Frau! möglich, sie hätt' es ein Wenig arg getrieben,
bis sie sich an die Aenderung gewöhnt, aber endlich
würde sie sich darin gefunden und der ganzen Sache
noch eine gute Seite abgewonnen haben."

"Da hat sich was," erwiderte Martin unzufrieden,
"laßt Euer Reden lieber, Jhr macht mich sonst noch
wild!"

Der Schenkenwirth war jetzt zwischen die Thür ge-
treten und sagte aufgeregt zu Martin: "Ja, Gevatter,
ich stimme mit Euch, die Eisenbahn ist unser Aller Un-
glück, da mag der Kuckuk noch länger Schenkenwirth
sein! Drüben an der Eisenbahn haben sie ein absonder-
liches Haus hingebaut, wo Alles zur ebenen Erde drinn
ist und gar kein Aufsatz, nicht einmal ein stattliches,
respectables Dach ist darauf, sondern ein ganz niedriges
Ding von einem Dach mit grauem Schiefer gedeckt.
Das nennen sie fürnehm "Restauration", um uns gleich
an Ort und Stelle alle Gäste wegzuschnappen."

"Aber" begann der Schullehrer, "wie könnt Jhr
nur so engherzig sein und bei allem Großen, was in der
Welt geschieht, nur an Euren eignen Vortheil oder Nach-

meine Alte den Tag nicht erlebt hat, die weinte ſich die
Augen aus.“

„Nein, nein, verſuͤndigt Euch nicht noch an ihr“
verwieß der Richter, „das war eine brave, reſolute
Frau! moͤglich, ſie haͤtt’ es ein Wenig arg getrieben,
bis ſie ſich an die Aenderung gewoͤhnt, aber endlich
wuͤrde ſie ſich darin gefunden und der ganzen Sache
noch eine gute Seite abgewonnen haben.“

„Da hat ſich was,“ erwiderte Martin unzufrieden,
„laßt Euer Reden lieber, Jhr macht mich ſonſt noch
wild!“

Der Schenkenwirth war jetzt zwiſchen die Thuͤr ge-
treten und ſagte aufgeregt zu Martin: „Ja, Gevatter,
ich ſtimme mit Euch, die Eiſenbahn iſt unſer Aller Un-
gluͤck, da mag der Kuckuk noch laͤnger Schenkenwirth
ſein! Druͤben an der Eiſenbahn haben ſie ein abſonder-
liches Haus hingebaut, wo Alles zur ebenen Erde drinn
iſt und gar kein Aufſatz, nicht einmal ein ſtattliches,
reſpectables Dach iſt darauf, ſondern ein ganz niedriges
Ding von einem Dach mit grauem Schiefer gedeckt.
Das nennen ſie fuͤrnehm „Reſtauration“, um uns gleich
an Ort und Stelle alle Gaͤſte wegzuſchnappen.“

„Aber“ begann der Schullehrer, „wie koͤnnt Jhr
nur ſo engherzig ſein und bei allem Großen, was in der
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[8/0016] meine Alte den Tag nicht erlebt hat, die weinte ſich die Augen aus.“ „Nein, nein, verſuͤndigt Euch nicht noch an ihr“ verwieß der Richter, „das war eine brave, reſolute Frau! moͤglich, ſie haͤtt’ es ein Wenig arg getrieben, bis ſie ſich an die Aenderung gewoͤhnt, aber endlich wuͤrde ſie ſich darin gefunden und der ganzen Sache noch eine gute Seite abgewonnen haben.“ „Da hat ſich was,“ erwiderte Martin unzufrieden, „laßt Euer Reden lieber, Jhr macht mich ſonſt noch wild!“ Der Schenkenwirth war jetzt zwiſchen die Thuͤr ge- treten und ſagte aufgeregt zu Martin: „Ja, Gevatter, ich ſtimme mit Euch, die Eiſenbahn iſt unſer Aller Un- gluͤck, da mag der Kuckuk noch laͤnger Schenkenwirth ſein! Druͤben an der Eiſenbahn haben ſie ein abſonder- liches Haus hingebaut, wo Alles zur ebenen Erde drinn iſt und gar kein Aufſatz, nicht einmal ein ſtattliches, reſpectables Dach iſt darauf, ſondern ein ganz niedriges Ding von einem Dach mit grauem Schiefer gedeckt. Das nennen ſie fuͤrnehm „Reſtauration“, um uns gleich an Ort und Stelle alle Gaͤſte wegzuſchnappen.“ „Aber“ begann der Schullehrer, „wie koͤnnt Jhr nur ſo engherzig ſein und bei allem Großen, was in der Welt geſchieht, nur an Euren eignen Vortheil oder Nach-

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/16>, abgerufen am 21.11.2024.