dort war, allerdings nur für Güterzüge, eine Zwischen- station errichtet und jene "Restauration" erbaut worden, welche unser Schenkenwirth vorhin beschrieb. Nun war es wohl natürlich, daß die Dorfbewohner sich auch freu- ten, die seltsamen, fliegenden und brausenden Wagen- züge ohne Pferde zu sehen, von denen sie bisher nur immer hatten so viel erzählen hören. Es war auch von festlichen Aufzügen die Rede, welche die Städter ver- anstalteten, warum sollten nun da die Bewohner des Landes zurückbleiben? Unser Schullehrer war der Erste, der es im Dorfe zur Sprache brachte, doch auch zum Pfingstfest an den Bahnhof zu ziehen und das neue Wunder selber anzustaunen und zu begrüßen. Jhm selbst war es weniger um das Wunder zu thun, das er ver- wirklicht vor sich sah, als vielmehr um die Gefühle der Freude und Begeisterung, die er dabei in seiner Umgebung und besonders bei den Schulkindern anzuregen und in ihren jungen Herzen wie sanfte, fromme Glockentöne -- die dann lange Zeit, vielleicht ein ganzes Leben hindurch nachhallen -- zu wecken gedachte. Solch' eine Ge- legenheit ließ er sich niemals entgehen. So trug er denn zuerst dem Pfarrer die Sache vor. Der Pfarrer war ein Mann in den Funfzigen, ein Diener des Herrn in Wahrheit. Er hatte sich nie angemaßt, auf seinem Dorfe etwa den Papst spielen zu wollen und sich wie ein
dort war, allerdings nur fuͤr Guͤterzuͤge, eine Zwiſchen- ſtation errichtet und jene „Reſtauration“ erbaut worden, welche unſer Schenkenwirth vorhin beſchrieb. Nun war es wohl natuͤrlich, daß die Dorfbewohner ſich auch freu- ten, die ſeltſamen, fliegenden und brauſenden Wagen- zuͤge ohne Pferde zu ſehen, von denen ſie bisher nur immer hatten ſo viel erzaͤhlen hoͤren. Es war auch von feſtlichen Aufzuͤgen die Rede, welche die Staͤdter ver- anſtalteten, warum ſollten nun da die Bewohner des Landes zuruͤckbleiben? Unſer Schullehrer war der Erſte, der es im Dorfe zur Sprache brachte, doch auch zum Pfingſtfeſt an den Bahnhof zu ziehen und das neue Wunder ſelber anzuſtaunen und zu begruͤßen. Jhm ſelbſt war es weniger um das Wunder zu thun, das er ver- wirklicht vor ſich ſah, als vielmehr um die Gefuͤhle der Freude und Begeiſterung, die er dabei in ſeiner Umgebung und beſonders bei den Schulkindern anzuregen und in ihren jungen Herzen wie ſanfte, fromme Glockentoͤne — die dann lange Zeit, vielleicht ein ganzes Leben hindurch nachhallen — zu wecken gedachte. Solch’ eine Ge- legenheit ließ er ſich niemals entgehen. So trug er denn zuerſt dem Pfarrer die Sache vor. Der Pfarrer war ein Mann in den Funfzigen, ein Diener des Herrn in Wahrheit. Er hatte ſich nie angemaßt, auf ſeinem Dorfe etwa den Papſt ſpielen zu wollen und ſich wie ein
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dort war, allerdings nur fuͤr Guͤterzuͤge, eine Zwiſchen-
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welche unſer Schenkenwirth vorhin beſchrieb. Nun war
es wohl natuͤrlich, daß die Dorfbewohner ſich auch freu-
ten, die ſeltſamen, fliegenden und brauſenden Wagen-
zuͤge ohne Pferde zu ſehen, von denen ſie bisher nur
immer hatten ſo viel erzaͤhlen hoͤren. Es war auch von
feſtlichen Aufzuͤgen die Rede, welche die Staͤdter ver-
anſtalteten, warum ſollten nun da die Bewohner des
Landes zuruͤckbleiben? Unſer Schullehrer war der Erſte,
der es im Dorfe zur Sprache brachte, doch auch zum
Pfingſtfeſt an den Bahnhof zu ziehen und das neue
Wunder ſelber anzuſtaunen und zu begruͤßen. Jhm ſelbſt
war es weniger um das Wunder zu thun, das er ver-
wirklicht vor ſich ſah, als vielmehr um die Gefuͤhle der
Freude und Begeiſterung, die er dabei in ſeiner Umgebung
und beſonders bei den Schulkindern anzuregen und in
ihren jungen Herzen wie ſanfte, fromme Glockentoͤne —
die dann lange Zeit, vielleicht ein ganzes Leben hindurch
nachhallen — zu wecken gedachte. Solch’ eine Ge-
legenheit ließ er ſich niemals entgehen. So trug er
denn zuerſt dem Pfarrer die Sache vor. Der Pfarrer
war ein Mann in den Funfzigen, ein Diener des Herrn
in Wahrheit. Er hatte ſich nie angemaßt, auf ſeinem
Dorfe etwa den Papſt ſpielen zu wollen und ſich wie ein
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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