Traugott rufen, ihr beizustehen und Alle, wenn es sein müsse, jetzt wäre es aber besser, wenn Alle zur Ruhe gin- gen und man sie allein lasse. Der Pfarrer fand den Rath vernünftig, er nahm seine Frau am Arm und wünschte Allen eine gute Nacht, so gut wie sie eben heute möglich sein werde. Wenn es geschehen solle, daß Mut- ter Eva aber nach ihm, dem Pfarrer, verlangen sollte, so möge man es ihn zugleich wissen lassen, er werde dann augenblicklich kommen und wenn es mitten in der Nacht sei. Traugott ging mit Käthen hinab zu den Kindern, Suschen brauche nur oben mit einem Stuhlbein zu po- chen sagten sie, so hörten sie's schon und kämen herauf, wenn sie Beistand brauchte. So waren die Vier zusam- men gegangen und hatten nicht bemerkt, wie unser Schul- meister oben an der Treppe stehen geblieben und so nicht mit ihnen hinabgegangen war. Er schlich sich nach einem Weilchen wieder in die Krankenkammer hinein und als Suschen ihn stumm aber verwundert fragend ansah, ant- wortete er ganz leise:
"Suschen! ich kann Sie nicht allein lassen! ich be- greife die Andern nicht, daß sie's thun, sie meinen aber wohl, es stehe nicht so schlimm um Mutter Eva -- mir hat es aber der Chirurg gesagt, daß sie nicht mehr lange zu leben hat -- es ist schrecklich, schauerlich, bei einem Sterbebett allein zu sein. Lassen Sie mich noch hier bleiben."
Traugott rufen, ihr beizuſtehen und Alle, wenn es ſein muͤſſe, jetzt waͤre es aber beſſer, wenn Alle zur Ruhe gin- gen und man ſie allein laſſe. Der Pfarrer fand den Rath vernuͤnftig, er nahm ſeine Frau am Arm und wuͤnſchte Allen eine gute Nacht, ſo gut wie ſie eben heute moͤglich ſein werde. Wenn es geſchehen ſolle, daß Mut- ter Eva aber nach ihm, dem Pfarrer, verlangen ſollte, ſo moͤge man es ihn zugleich wiſſen laſſen, er werde dann augenblicklich kommen und wenn es mitten in der Nacht ſei. Traugott ging mit Kaͤthen hinab zu den Kindern, Suschen brauche nur oben mit einem Stuhlbein zu po- chen ſagten ſie, ſo hoͤrten ſie’s ſchon und kaͤmen herauf, wenn ſie Beiſtand brauchte. So waren die Vier zuſam- men gegangen und hatten nicht bemerkt, wie unſer Schul- meiſter oben an der Treppe ſtehen geblieben und ſo nicht mit ihnen hinabgegangen war. Er ſchlich ſich nach einem Weilchen wieder in die Krankenkammer hinein und als Suschen ihn ſtumm aber verwundert fragend anſah, ant- wortete er ganz leiſe:
„Suschen! ich kann Sie nicht allein laſſen! ich be- greife die Andern nicht, daß ſie’s thun, ſie meinen aber wohl, es ſtehe nicht ſo ſchlimm um Mutter Eva — mir hat es aber der Chirurg geſagt, daß ſie nicht mehr lange zu leben hat — es iſt ſchrecklich, ſchauerlich, bei einem Sterbebett allein zu ſein. Laſſen Sie mich noch hier bleiben.”
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Traugott rufen, ihr beizuſtehen und Alle, wenn es ſein
muͤſſe, jetzt waͤre es aber beſſer, wenn Alle zur Ruhe gin-
gen und man ſie allein laſſe. Der Pfarrer fand den
Rath vernuͤnftig, er nahm ſeine Frau am Arm und
wuͤnſchte Allen eine gute Nacht, ſo gut wie ſie eben heute
moͤglich ſein werde. Wenn es geſchehen ſolle, daß Mut-
ter Eva aber nach ihm, dem Pfarrer, verlangen ſollte,
ſo moͤge man es ihn zugleich wiſſen laſſen, er werde dann
augenblicklich kommen und wenn es mitten in der Nacht
ſei. Traugott ging mit Kaͤthen hinab zu den Kindern,
Suschen brauche nur oben mit einem Stuhlbein zu po-
chen ſagten ſie, ſo hoͤrten ſie’s ſchon und kaͤmen herauf,
wenn ſie Beiſtand brauchte. So waren die Vier zuſam-
men gegangen und hatten nicht bemerkt, wie unſer Schul-
meiſter oben an der Treppe ſtehen geblieben und ſo nicht
mit ihnen hinabgegangen war. Er ſchlich ſich nach einem
Weilchen wieder in die Krankenkammer hinein und als
Suschen ihn ſtumm aber verwundert fragend anſah, ant-
wortete er ganz leiſe:
„Suschen! ich kann Sie nicht allein laſſen! ich be-
greife die Andern nicht, daß ſie’s thun, ſie meinen aber
wohl, es ſtehe nicht ſo ſchlimm um Mutter Eva — mir
hat es aber der Chirurg geſagt, daß ſie nicht mehr lange
zu leben hat — es iſt ſchrecklich, ſchauerlich, bei einem
Sterbebett allein zu ſein. Laſſen Sie mich noch hier bleiben.”
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/298>, abgerufen am 22.11.2024.
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