in der Hand einen runden, grauen Filzhut und ein Spazierstöckchen mit blitzendem Knopf von Stahl, sah er gar ritterlich aus. Niemand kannte ihn, gleichwohl ward Alles still, weil Alle mit Verwunderung nach dem Fremdling aufschauten und der Kindtaufvater endlich zu- erst auf ihn zuging, füglich zu fragen: was er wohl wollte. Eva hatte im Nebenstübchen zu thun gehabt -- da wundert sie sich, daß es auf einmal drinn, wo die Gäste sitzen, so still geworden -- sie geht hinein, um zuzuschauen, was es drinn wohl giebt. Wie sie nun zwischen die Thür kommt und sieht den schönen Fremd- ling, den Alle anstaunen und der jetzt den Kindtauf- vater nur mit betrübter Stimme antwortet: "Ach, kennt mich denn keine Menschenseele mehr?" da bleibt unsre Mutter Eva erst ganz erstarrt zwischen der Thür stehen, dann schreit sie auf, schreit "Johanneslein!" und stürzt, ohne nur weiter ein einzig Wort hervor zu bringen, auf den Fremdling zu -- der nun Allen kein Fremder mehr ist. Da springen nun Alle auf, umringen ihn mit lau- ten fröhlichen Grüßen -- aber noch hat er für Niemand weiter Zeit. Nur sein Mütterlein herzt und küßt er; gar kein Ende will er damit finden. Auch Mutter Eva kann noch immer kein Wort herausbringen -- sie weint ganz laut, daß die hellen Thränen über ihr Gesicht herabrinnen. Der Sohn ist gar so hoch aufgewachsen,
in der Hand einen runden, grauen Filzhut und ein Spazierſtoͤckchen mit blitzendem Knopf von Stahl, ſah er gar ritterlich aus. Niemand kannte ihn, gleichwohl ward Alles ſtill, weil Alle mit Verwunderung nach dem Fremdling aufſchauten und der Kindtaufvater endlich zu- erſt auf ihn zuging, fuͤglich zu fragen: was er wohl wollte. Eva hatte im Nebenſtuͤbchen zu thun gehabt — da wundert ſie ſich, daß es auf einmal drinn, wo die Gaͤſte ſitzen, ſo ſtill geworden — ſie geht hinein, um zuzuſchauen, was es drinn wohl giebt. Wie ſie nun zwiſchen die Thuͤr kommt und ſieht den ſchoͤnen Fremd- ling, den Alle anſtaunen und der jetzt den Kindtauf- vater nur mit betruͤbter Stimme antwortet: „Ach, kennt mich denn keine Menſchenſeele mehr?“ da bleibt unſre Mutter Eva erſt ganz erſtarrt zwiſchen der Thuͤr ſtehen, dann ſchreit ſie auf, ſchreit „Johanneslein!“ und ſtuͤrzt, ohne nur weiter ein einzig Wort hervor zu bringen, auf den Fremdling zu — der nun Allen kein Fremder mehr iſt. Da ſpringen nun Alle auf, umringen ihn mit lau- ten froͤhlichen Gruͤßen — aber noch hat er fuͤr Niemand weiter Zeit. Nur ſein Muͤtterlein herzt und kuͤßt er; gar kein Ende will er damit finden. Auch Mutter Eva kann noch immer kein Wort herausbringen — ſie weint ganz laut, daß die hellen Thraͤnen uͤber ihr Geſicht herabrinnen. Der Sohn iſt gar ſo hoch aufgewachſen,
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in der Hand einen runden, grauen Filzhut und ein
Spazierſtoͤckchen mit blitzendem Knopf von Stahl, ſah
er gar ritterlich aus. Niemand kannte ihn, gleichwohl
ward Alles ſtill, weil Alle mit Verwunderung nach dem
Fremdling aufſchauten und der Kindtaufvater endlich zu-
erſt auf ihn zuging, fuͤglich zu fragen: was er wohl
wollte. Eva hatte im Nebenſtuͤbchen zu thun gehabt —
da wundert ſie ſich, daß es auf einmal drinn, wo die
Gaͤſte ſitzen, ſo ſtill geworden — ſie geht hinein, um
zuzuſchauen, was es drinn wohl giebt. Wie ſie nun
zwiſchen die Thuͤr kommt und ſieht den ſchoͤnen Fremd-
ling, den Alle anſtaunen und der jetzt den Kindtauf-
vater nur mit betruͤbter Stimme antwortet: „Ach, kennt
mich denn keine Menſchenſeele mehr?“ da bleibt unſre
Mutter Eva erſt ganz erſtarrt zwiſchen der Thuͤr ſtehen,
dann ſchreit ſie auf, ſchreit „Johanneslein!“ und ſtuͤrzt,
ohne nur weiter ein einzig Wort hervor zu bringen, auf
den Fremdling zu — der nun Allen kein Fremder mehr
iſt. Da ſpringen nun Alle auf, umringen ihn mit lau-
ten froͤhlichen Gruͤßen — aber noch hat er fuͤr Niemand
weiter Zeit. Nur ſein Muͤtterlein herzt und kuͤßt er;
gar kein Ende will er damit finden. Auch Mutter Eva
kann noch immer kein Wort herausbringen — ſie weint
ganz laut, daß die hellen Thraͤnen uͤber ihr Geſicht
herabrinnen. Der Sohn iſt gar ſo hoch aufgewachſen,
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/51>, abgerufen am 04.12.2024.
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