"Ja," bekräftigte die Pfarrerin, "da würde es in unserm Haus wieder einmal ein Bischen lebendig. Seit meine Mädchen sich beide in andere Nester verflogen, wie Mutter Eva sagt, ist es in den hübschen Tapeten- stuben ganz still und einsam; wie wollt' ich mich freuen, wenn sie wieder einmal bewohnt würden!"
Johannes dankte gerührt für so viel Güte und Liebe, nahm aber keins von allen Anerbieten an, indem er sagte: "Jch habe meinen Plan schon gemacht, diese Nacht bleib' ich bei meiner guten Mutter und morgen -- zieh' ich in die Burg."
"Jn die Burg?" riefen Alle verwundert.
Nun war die Burg nämlich die Ruine eines alten Schlosses, das ehemals auf dem Berg, der sich gleich hinter der Kirche erhob, gestanden hatte. Die Guts- herrschaft unsres Dorfes besaß es, zugleich aber noch einen stattlichen Herrenhof auf einem andern Dorf, ei- nige Stunden entfernt, wo sie auch nur hier und da im Sommer lebte. Jn der Ruine wohnte im Erdge- schoß ein alter Vogt mit seiner Frau, der die verfallene Besitzung zu hüten hatte und nebenbei die Fremden herum zu führen und wohl auch zu bewirthen, die etwa herkamen, die Burg zu sehen. Das geschah aber selten, weil sie eben keine besondern Merkwürdigkeiten bot, von der Hauptstraße für die Reisenden zu weit ablag
„Ja,“ bekraͤftigte die Pfarrerin, „da wuͤrde es in unſerm Haus wieder einmal ein Bischen lebendig. Seit meine Maͤdchen ſich beide in andere Neſter verflogen, wie Mutter Eva ſagt, iſt es in den huͤbſchen Tapeten- ſtuben ganz ſtill und einſam; wie wollt’ ich mich freuen, wenn ſie wieder einmal bewohnt wuͤrden!“
Johannes dankte geruͤhrt fuͤr ſo viel Guͤte und Liebe, nahm aber keins von allen Anerbieten an, indem er ſagte: „Jch habe meinen Plan ſchon gemacht, dieſe Nacht bleib’ ich bei meiner guten Mutter und morgen — zieh’ ich in die Burg.“
„Jn die Burg?“ riefen Alle verwundert.
Nun war die Burg naͤmlich die Ruine eines alten Schloſſes, das ehemals auf dem Berg, der ſich gleich hinter der Kirche erhob, geſtanden hatte. Die Guts- herrſchaft unſres Dorfes beſaß es, zugleich aber noch einen ſtattlichen Herrenhof auf einem andern Dorf, ei- nige Stunden entfernt, wo ſie auch nur hier und da im Sommer lebte. Jn der Ruine wohnte im Erdge- ſchoß ein alter Vogt mit ſeiner Frau, der die verfallene Beſitzung zu huͤten hatte und nebenbei die Fremden herum zu fuͤhren und wohl auch zu bewirthen, die etwa herkamen, die Burg zu ſehen. Das geſchah aber ſelten, weil ſie eben keine beſondern Merkwuͤrdigkeiten bot, von der Hauptſtraße fuͤr die Reiſenden zu weit ablag
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„Ja,“ bekraͤftigte die Pfarrerin, „da wuͤrde es in
unſerm Haus wieder einmal ein Bischen lebendig. Seit
meine Maͤdchen ſich beide in andere Neſter verflogen,
wie Mutter Eva ſagt, iſt es in den huͤbſchen Tapeten-
ſtuben ganz ſtill und einſam; wie wollt’ ich mich freuen,
wenn ſie wieder einmal bewohnt wuͤrden!“
Johannes dankte geruͤhrt fuͤr ſo viel Guͤte und Liebe,
nahm aber keins von allen Anerbieten an, indem er
ſagte: „Jch habe meinen Plan ſchon gemacht, dieſe
Nacht bleib’ ich bei meiner guten Mutter und morgen —
zieh’ ich in die Burg.“
„Jn die Burg?“ riefen Alle verwundert.
Nun war die Burg naͤmlich die Ruine eines alten
Schloſſes, das ehemals auf dem Berg, der ſich gleich
hinter der Kirche erhob, geſtanden hatte. Die Guts-
herrſchaft unſres Dorfes beſaß es, zugleich aber noch
einen ſtattlichen Herrenhof auf einem andern Dorf, ei-
nige Stunden entfernt, wo ſie auch nur hier und da
im Sommer lebte. Jn der Ruine wohnte im Erdge-
ſchoß ein alter Vogt mit ſeiner Frau, der die verfallene
Beſitzung zu huͤten hatte und nebenbei die Fremden
herum zu fuͤhren und wohl auch zu bewirthen, die etwa
herkamen, die Burg zu ſehen. Das geſchah aber ſelten,
weil ſie eben keine beſondern Merkwuͤrdigkeiten bot,
von der Hauptſtraße fuͤr die Reiſenden zu weit ablag
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/65>, abgerufen am 04.12.2024.
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