Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.hatte sich die Wangen roth geschlafen, und ihr rechtes Händchen ruhte auf ihren goldnen Locken -- so glich sie einer rosigen frischen Apfelblüthe mit goldenen Fäden. Der Vater neigte sich auf das Bettchen, ganz verloren in den hol den Anblick des theuern, einzigen Lieblings -- eine Thräne fiel aus des Vaters Augen. Ach diese Thräne! Wie viel Sorgen und Schmerzen lagen nicht darin, wie viel bange Fragen an das Schicksal ohne Antwort, wie viel stumme Gebete gen Himmel. Er zog seine Hand an die andere Seite des Bettchens, er reichte ihr über dasselbe hinweg seine Hand. "Das ist eine heilige Stelle, an der wir stehen," sagte er, "ich kenne keine heiligere. Ich verlasse Dich, weil wir jetzt nicht ohne Selbstvorwürfe, Heuchelei oder Bitterkeit und Kummer neben einander zu leben vermögen -- wir werden so eher wieder Frieden finden, und vielleicht kommt noch ein Tag, der uns wieder durch Vereinigung glücklich macht. -- Aber unsere Anna! Von ihr scheide ich mit schwerem Herzen. Du mußt ihr nun Beides sein -- Vater und Mutter zugleich. Ach Amalie -- nimm mir die Liebe unsres Kindes nicht! Laß es mein Bild rein und treu bewahren, bis ich es wieder einmal selbst an das Vaterherz drücken darf. Laß es fromm und gut werden, und störe den heitern Frieden seiner Unschuldsjahre nicht. Versprichst Du mir, Alles das wenigstens zu versuchen?" hatte sich die Wangen roth geschlafen, und ihr rechtes Händchen ruhte auf ihren goldnen Locken — so glich sie einer rosigen frischen Apfelblüthe mit goldenen Fäden. Der Vater neigte sich auf das Bettchen, ganz verloren in den hol den Anblick des theuern, einzigen Lieblings — eine Thräne fiel aus des Vaters Augen. Ach diese Thräne! Wie viel Sorgen und Schmerzen lagen nicht darin, wie viel bange Fragen an das Schicksal ohne Antwort, wie viel stumme Gebete gen Himmel. Er zog seine Hand an die andere Seite des Bettchens, er reichte ihr über dasselbe hinweg seine Hand. „Das ist eine heilige Stelle, an der wir stehen,“ sagte er, „ich kenne keine heiligere. Ich verlasse Dich, weil wir jetzt nicht ohne Selbstvorwürfe, Heuchelei oder Bitterkeit und Kummer neben einander zu leben vermögen — wir werden so eher wieder Frieden finden, und vielleicht kommt noch ein Tag, der uns wieder durch Vereinigung glücklich macht. — Aber unsere Anna! Von ihr scheide ich mit schwerem Herzen. Du mußt ihr nun Beides sein — Vater und Mutter zugleich. Ach Amalie — nimm mir die Liebe unsres Kindes nicht! Laß es mein Bild rein und treu bewahren, bis ich es wieder einmal selbst an das Vaterherz drücken darf. Laß es fromm und gut werden, und störe den heitern Frieden seiner Unschuldsjahre nicht. Versprichst Du mir, Alles das wenigstens zu versuchen?“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="103"/> hatte sich die Wangen roth geschlafen, und ihr rechtes Händchen ruhte auf ihren goldnen Locken — so glich sie einer rosigen frischen Apfelblüthe mit goldenen Fäden. Der Vater neigte sich auf das Bettchen, ganz verloren in den hol den Anblick des theuern, einzigen Lieblings — eine Thräne fiel aus des Vaters Augen.</p> <p>Ach diese Thräne! Wie viel Sorgen und Schmerzen lagen nicht darin, wie viel bange Fragen an das Schicksal ohne Antwort, wie viel stumme Gebete gen Himmel.</p> <p>Er zog seine Hand an die andere Seite des Bettchens, er reichte ihr über dasselbe hinweg seine Hand.</p> <p>„Das ist eine heilige Stelle, an der wir stehen,“ sagte er, „ich kenne keine heiligere. Ich verlasse Dich, weil wir jetzt nicht ohne Selbstvorwürfe, Heuchelei oder Bitterkeit und Kummer neben einander zu leben vermögen — wir werden so eher wieder Frieden finden, und vielleicht kommt noch ein Tag, der uns wieder durch Vereinigung glücklich macht. — Aber unsere Anna! Von ihr scheide ich mit schwerem Herzen. Du mußt ihr nun Beides sein — Vater und Mutter zugleich. Ach Amalie — nimm mir die Liebe unsres Kindes nicht! Laß es mein Bild rein und treu bewahren, bis ich es wieder einmal selbst an das Vaterherz drücken darf. Laß es fromm und gut werden, und störe den heitern Frieden seiner Unschuldsjahre nicht. Versprichst Du mir, Alles das wenigstens zu versuchen?“</p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0113]
hatte sich die Wangen roth geschlafen, und ihr rechtes Händchen ruhte auf ihren goldnen Locken — so glich sie einer rosigen frischen Apfelblüthe mit goldenen Fäden. Der Vater neigte sich auf das Bettchen, ganz verloren in den hol den Anblick des theuern, einzigen Lieblings — eine Thräne fiel aus des Vaters Augen.
Ach diese Thräne! Wie viel Sorgen und Schmerzen lagen nicht darin, wie viel bange Fragen an das Schicksal ohne Antwort, wie viel stumme Gebete gen Himmel.
Er zog seine Hand an die andere Seite des Bettchens, er reichte ihr über dasselbe hinweg seine Hand.
„Das ist eine heilige Stelle, an der wir stehen,“ sagte er, „ich kenne keine heiligere. Ich verlasse Dich, weil wir jetzt nicht ohne Selbstvorwürfe, Heuchelei oder Bitterkeit und Kummer neben einander zu leben vermögen — wir werden so eher wieder Frieden finden, und vielleicht kommt noch ein Tag, der uns wieder durch Vereinigung glücklich macht. — Aber unsere Anna! Von ihr scheide ich mit schwerem Herzen. Du mußt ihr nun Beides sein — Vater und Mutter zugleich. Ach Amalie — nimm mir die Liebe unsres Kindes nicht! Laß es mein Bild rein und treu bewahren, bis ich es wieder einmal selbst an das Vaterherz drücken darf. Laß es fromm und gut werden, und störe den heitern Frieden seiner Unschuldsjahre nicht. Versprichst Du mir, Alles das wenigstens zu versuchen?“
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Zitationshilfe: | Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss01_1846/113>, abgerufen am 16.02.2025. |