Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.Dir der Wurm auch noch verhungert an der Brust, wie die Andern, die auf dem Kirchhof liegen -- da seh' ich nicht mehr mit ruhig zu." Pauline hörte das Alles mit Grausen -- Schrecken und Angst erfaßte sie -- sie riß hastig den Geldbeutel aus ihrer Tasche, nahm das Geld, was sich darm befand, heraus, ein paar Thaler in kleiner Münze, und warf es zum Wagen heraus: "Nehmt, nehmt, wenn Ihr wirklich so arm seid, und seid nicht böse, wenn es nicht mehr ist!" rief sie hinaus mit ihrer kindlichen, von noch nie empfundnem Schauer bebenden Stimme. Sie hörte nur noch, wie die Leute mit einem thierischen Freudengeschrei sich nach dem Gelde bückten, dann darum schlugen und zankten. Sie drückte den Sammthut fester an ihre Ohren, um nur diese rohen Stimmen nicht länger zu vernehmen. "Sind wir denn noch nicht vor dem Haus?" rief sie vor Angst ungeduldig dem Kutscher zu. "Wir wellen doch schneller fahren." Ein Betrunkner wankte noch vorbei und sang ein freches Lied. -- "Fahr zu, Kutscher!" rief Pauline außer sich. "Nun, was ist's denn weiter?" sagte der Kutscher kopfschüttelnd. "Das Fabrikvolk ist einmal nicht anders, so hört man's alle Tage, das werden Sie schon noch gewohnt werden." Dir der Wurm auch noch verhungert an der Brust, wie die Andern, die auf dem Kirchhof liegen — da seh’ ich nicht mehr mit ruhig zu.“ Pauline hörte das Alles mit Grausen — Schrecken und Angst erfaßte sie — sie riß hastig den Geldbeutel aus ihrer Tasche, nahm das Geld, was sich darm befand, heraus, ein paar Thaler in kleiner Münze, und warf es zum Wagen heraus: „Nehmt, nehmt, wenn Ihr wirklich so arm seid, und seid nicht böse, wenn es nicht mehr ist!“ rief sie hinaus mit ihrer kindlichen, von noch nie empfundnem Schauer bebenden Stimme. Sie hörte nur noch, wie die Leute mit einem thierischen Freudengeschrei sich nach dem Gelde bückten, dann darum schlugen und zankten. Sie drückte den Sammthut fester an ihre Ohren, um nur diese rohen Stimmen nicht länger zu vernehmen. „Sind wir denn noch nicht vor dem Haus?“ rief sie vor Angst ungeduldig dem Kutscher zu. „Wir wellen doch schneller fahren.“ Ein Betrunkner wankte noch vorbei und sang ein freches Lied. — „Fahr zu, Kutscher!“ rief Pauline außer sich. „Nun, was ist’s denn weiter?“ sagte der Kutscher kopfschüttelnd. „Das Fabrikvolk ist einmal nicht anders, so hört man’s alle Tage, das werden Sie schon noch gewohnt werden.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0130" n="120"/> Dir der Wurm auch noch verhungert an der Brust, wie die Andern, die auf dem Kirchhof liegen — da seh’ ich nicht mehr mit ruhig zu.“</p> <p>Pauline hörte das Alles mit Grausen — Schrecken und Angst erfaßte sie — sie riß hastig den Geldbeutel aus ihrer Tasche, nahm das Geld, was sich darm befand, heraus, ein paar Thaler in kleiner Münze, und warf es zum Wagen heraus:</p> <p>„Nehmt, nehmt, wenn Ihr wirklich so arm seid, und seid nicht böse, wenn es nicht mehr ist!“ rief sie hinaus mit ihrer kindlichen, von noch nie empfundnem Schauer bebenden Stimme.</p> <p>Sie hörte nur noch, wie die Leute mit einem thierischen Freudengeschrei sich nach dem Gelde bückten, dann darum schlugen und zankten. Sie drückte den Sammthut fester an ihre Ohren, um nur diese rohen Stimmen nicht länger zu vernehmen. „Sind wir denn noch nicht vor dem Haus?“ rief sie vor Angst ungeduldig dem Kutscher zu. „Wir wellen doch schneller fahren.“</p> <p>Ein Betrunkner wankte noch vorbei und sang ein freches Lied. — „Fahr zu, Kutscher!“ rief Pauline außer sich.</p> <p>„Nun, was ist’s denn weiter?“ sagte der Kutscher kopfschüttelnd. „Das Fabrikvolk ist einmal nicht anders, so hört man’s alle Tage, das werden Sie schon noch gewohnt werden.“</p> </div> </body> </text> </TEI> [120/0130]
Dir der Wurm auch noch verhungert an der Brust, wie die Andern, die auf dem Kirchhof liegen — da seh’ ich nicht mehr mit ruhig zu.“
Pauline hörte das Alles mit Grausen — Schrecken und Angst erfaßte sie — sie riß hastig den Geldbeutel aus ihrer Tasche, nahm das Geld, was sich darm befand, heraus, ein paar Thaler in kleiner Münze, und warf es zum Wagen heraus:
„Nehmt, nehmt, wenn Ihr wirklich so arm seid, und seid nicht böse, wenn es nicht mehr ist!“ rief sie hinaus mit ihrer kindlichen, von noch nie empfundnem Schauer bebenden Stimme.
Sie hörte nur noch, wie die Leute mit einem thierischen Freudengeschrei sich nach dem Gelde bückten, dann darum schlugen und zankten. Sie drückte den Sammthut fester an ihre Ohren, um nur diese rohen Stimmen nicht länger zu vernehmen. „Sind wir denn noch nicht vor dem Haus?“ rief sie vor Angst ungeduldig dem Kutscher zu. „Wir wellen doch schneller fahren.“
Ein Betrunkner wankte noch vorbei und sang ein freches Lied. — „Fahr zu, Kutscher!“ rief Pauline außer sich.
„Nun, was ist’s denn weiter?“ sagte der Kutscher kopfschüttelnd. „Das Fabrikvolk ist einmal nicht anders, so hört man’s alle Tage, das werden Sie schon noch gewohnt werden.“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Repository TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-08-23T11:52:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christoph Leijser, Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-08-23T11:52:15Z)
HATHI TRUST Digital Library: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-08-23T11:52:15Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |