Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 1. Leipzig, 1846.den dritten ausgenommen, weil das zu diesem gehörige Knopfloch ausgerissen war. Ein beschmuztes, bis zur Schmalheit eines Strickes zusammengedrehtes Halstuch von weißer Leinwand befand sich unter dem spitzen Kinn, die dürren Beine umgaben weit umschlotternde Beinkleider, welche nur bis zum Knöchel reichten, grauwollne Socken und ein paar buntgestickte Schuh, an derem einen sich der Lederbesatz an der rechten Seite widerspenstig von dem bunten Zeug getrennt hatte, so daß er noch wie eine zweite verschobene oder zu breite Sohle erschien -- dies war das vollständige Bild eines Mannes, dessen Vermögen man nicht mehr nach Tausenden, sondern nach Millionen zählte, welcher neben dieser Fabrik, die er selbst bewohnte und verwaltete, noch im Ausland große Fabriken besaß, und dessen Reichthum Tausende von Menschen, denen er Arbeit und Elend zugleich gab, zu weißen Sklaven erniedrigte. Das war der Mann, welcher eine von solcher ahnungslosen reinen Kindlichkeit, einem so heitern Vertrauen für die Menschen und das Leben erfüllte, mit einer so warm für alle Menschen, für all' ihr Glück und ihre Noth schlagendem Herzen begabte Tochter besaß, wie Pauline. "Guten Abend, mein Kind!" sagte er munter und zärtlich, als Pauline rasch aus dem Wagen in die Hausflur sprang, und sich in die Arme des harrenden Vaters warf. "Guten Abend, mein liebes Kind! -- Aber Du siehst mir den dritten ausgenommen, weil das zu diesem gehörige Knopfloch ausgerissen war. Ein beschmuztes, bis zur Schmalheit eines Strickes zusammengedrehtes Halstuch von weißer Leinwand befand sich unter dem spitzen Kinn, die dürren Beine umgaben weit umschlotternde Beinkleider, welche nur bis zum Knöchel reichten, grauwollne Socken und ein paar buntgestickte Schuh, an derem einen sich der Lederbesatz an der rechten Seite widerspenstig von dem bunten Zeug getrennt hatte, so daß er noch wie eine zweite verschobene oder zu breite Sohle erschien — dies war das vollständige Bild eines Mannes, dessen Vermögen man nicht mehr nach Tausenden, sondern nach Millionen zählte, welcher neben dieser Fabrik, die er selbst bewohnte und verwaltete, noch im Ausland große Fabriken besaß, und dessen Reichthum Tausende von Menschen, denen er Arbeit und Elend zugleich gab, zu weißen Sklaven erniedrigte. Das war der Mann, welcher eine von solcher ahnungslosen reinen Kindlichkeit, einem so heitern Vertrauen für die Menschen und das Leben erfüllte, mit einer so warm für alle Menschen, für all’ ihr Glück und ihre Noth schlagendem Herzen begabte Tochter besaß, wie Pauline. „Guten Abend, mein Kind!“ sagte er munter und zärtlich, als Pauline rasch aus dem Wagen in die Hausflur sprang, und sich in die Arme des harrenden Vaters warf. „Guten Abend, mein liebes Kind! — Aber Du siehst mir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0132" n="122"/> den dritten ausgenommen, weil das zu diesem gehörige Knopfloch ausgerissen war. Ein beschmuztes, bis zur Schmalheit eines Strickes zusammengedrehtes Halstuch von weißer Leinwand befand sich unter dem spitzen Kinn, die dürren Beine umgaben weit umschlotternde Beinkleider, welche nur bis zum Knöchel reichten, grauwollne Socken und ein paar buntgestickte Schuh, an derem einen sich der Lederbesatz an der rechten Seite widerspenstig von dem bunten Zeug getrennt hatte, so daß er noch wie eine zweite verschobene oder zu breite Sohle erschien — dies war das vollständige Bild eines Mannes, dessen Vermögen man nicht mehr nach Tausenden, sondern nach Millionen zählte, welcher neben dieser Fabrik, die er selbst bewohnte und verwaltete, noch im Ausland große Fabriken besaß, und dessen Reichthum Tausende von Menschen, denen er Arbeit und Elend zugleich gab, zu weißen Sklaven erniedrigte. Das war der Mann, welcher eine von solcher ahnungslosen reinen Kindlichkeit, einem so heitern Vertrauen für die Menschen und das Leben erfüllte, mit einer so warm für alle Menschen, für all’ ihr Glück und ihre Noth schlagendem Herzen begabte Tochter besaß, wie Pauline.</p> <p>„Guten Abend, mein Kind!“ sagte er munter und zärtlich, als Pauline rasch aus dem Wagen in die Hausflur sprang, und sich in die Arme des harrenden Vaters warf. „Guten Abend, mein liebes Kind! — Aber Du siehst mir </p> </div> </body> </text> </TEI> [122/0132]
den dritten ausgenommen, weil das zu diesem gehörige Knopfloch ausgerissen war. Ein beschmuztes, bis zur Schmalheit eines Strickes zusammengedrehtes Halstuch von weißer Leinwand befand sich unter dem spitzen Kinn, die dürren Beine umgaben weit umschlotternde Beinkleider, welche nur bis zum Knöchel reichten, grauwollne Socken und ein paar buntgestickte Schuh, an derem einen sich der Lederbesatz an der rechten Seite widerspenstig von dem bunten Zeug getrennt hatte, so daß er noch wie eine zweite verschobene oder zu breite Sohle erschien — dies war das vollständige Bild eines Mannes, dessen Vermögen man nicht mehr nach Tausenden, sondern nach Millionen zählte, welcher neben dieser Fabrik, die er selbst bewohnte und verwaltete, noch im Ausland große Fabriken besaß, und dessen Reichthum Tausende von Menschen, denen er Arbeit und Elend zugleich gab, zu weißen Sklaven erniedrigte. Das war der Mann, welcher eine von solcher ahnungslosen reinen Kindlichkeit, einem so heitern Vertrauen für die Menschen und das Leben erfüllte, mit einer so warm für alle Menschen, für all’ ihr Glück und ihre Noth schlagendem Herzen begabte Tochter besaß, wie Pauline.
„Guten Abend, mein Kind!“ sagte er munter und zärtlich, als Pauline rasch aus dem Wagen in die Hausflur sprang, und sich in die Arme des harrenden Vaters warf. „Guten Abend, mein liebes Kind! — Aber Du siehst mir
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