Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.für Thalheim lagen zwei Briefe bereit, der eine von Amalien, der andere von Bernhard, seinem Bruder. Er wunderte sich, daß ihm dieser geschrieben, denn der Briefwechsel zwischen diesen beiden Brüdern war immer unbedeutend gewesen und hatte sich nur auf einfache Notizen beschränkt, damit sie nur nicht ganz außer Verbindung kämen -- aber hierher hatte er ihm ja nicht einmal seine Adresse gegeben. Weil ihm dies Schreiben so befremdlich vorkam, so öffnete er dies zuerst und warf einen hastigen Blick hinein -- und wieder und wieder -- und sah schärfer hin, denn vor seinen Augen flimmerte es und die Buchstaben schwankten alle unruhig auf dem Papier vor ihm hin und her -- sie schienen alle zu zerfallenden, morschen, schwarzen Kreuzen zu werden, die auf einem Kirchhof schief untereinander stehen und im Mondlicht am Charfreitag, wo alle Gräber sich erschrocken aufspalten, darauf ruhelos hin und wieder wanken, sich neigen und beugen -- und doch immer schwarze Kreuze bleiben, Kreuze auf einem Kirchhof -- so sagten auch ihm die Buchstaben immer dasselbe, obwohl er es ihnen nicht zugeben, durchaus nicht glauben wollte -- sie stellten sich doch immer wieder so vor ihm zusammen, daß er lesen mußte: "Dein Kind ist todt -- Dein einziges Kind Deine Anna!" Er saß da in sich zusammengesunken -- er wagte kaum zu athmen, am Wenigsten zu denken. für Thalheim lagen zwei Briefe bereit, der eine von Amalien, der andere von Bernhard, seinem Bruder. Er wunderte sich, daß ihm dieser geschrieben, denn der Briefwechsel zwischen diesen beiden Brüdern war immer unbedeutend gewesen und hatte sich nur auf einfache Notizen beschränkt, damit sie nur nicht ganz außer Verbindung kämen — aber hierher hatte er ihm ja nicht einmal seine Adresse gegeben. Weil ihm dies Schreiben so befremdlich vorkam, so öffnete er dies zuerst und warf einen hastigen Blick hinein — und wieder und wieder — und sah schärfer hin, denn vor seinen Augen flimmerte es und die Buchstaben schwankten alle unruhig auf dem Papier vor ihm hin und her — sie schienen alle zu zerfallenden, morschen, schwarzen Kreuzen zu werden, die auf einem Kirchhof schief untereinander stehen und im Mondlicht am Charfreitag, wo alle Gräber sich erschrocken aufspalten, darauf ruhelos hin und wieder wanken, sich neigen und beugen — und doch immer schwarze Kreuze bleiben, Kreuze auf einem Kirchhof — so sagten auch ihm die Buchstaben immer dasselbe, obwohl er es ihnen nicht zugeben, durchaus nicht glauben wollte — sie stellten sich doch immer wieder so vor ihm zusammen, daß er lesen mußte: „Dein Kind ist todt — Dein einziges Kind Deine Anna!“ Er saß da in sich zusammengesunken — er wagte kaum zu athmen, am Wenigsten zu denken. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0151" n="145"/> für Thalheim lagen zwei Briefe bereit, der eine von Amalien, der andere von Bernhard, seinem Bruder. Er wunderte sich, daß ihm dieser geschrieben, denn der Briefwechsel zwischen diesen beiden Brüdern war immer unbedeutend gewesen und hatte sich nur auf einfache Notizen beschränkt, damit sie nur nicht ganz außer Verbindung kämen — aber hierher hatte er ihm ja nicht einmal seine Adresse gegeben. Weil ihm dies Schreiben so befremdlich vorkam, so öffnete er dies zuerst und warf einen hastigen Blick hinein — und wieder und wieder — und sah schärfer hin, denn vor seinen Augen flimmerte es und die Buchstaben schwankten alle unruhig auf dem Papier vor ihm hin und her — sie schienen alle zu zerfallenden, morschen, schwarzen Kreuzen zu werden, die auf einem Kirchhof schief untereinander stehen und im Mondlicht am Charfreitag, wo alle Gräber sich erschrocken aufspalten, darauf ruhelos hin und wieder wanken, sich neigen und beugen — und doch immer schwarze Kreuze bleiben, Kreuze auf einem Kirchhof — so sagten auch ihm die Buchstaben immer dasselbe, obwohl er es ihnen nicht zugeben, durchaus nicht glauben wollte — sie stellten sich doch immer wieder so vor ihm zusammen, daß er lesen mußte:</p> <p>„Dein Kind ist todt — Dein einziges Kind Deine Anna!“</p> <p>Er saß da in sich zusammengesunken — er wagte kaum zu athmen, am Wenigsten zu denken.</p> </div> </body> </text> </TEI> [145/0151]
für Thalheim lagen zwei Briefe bereit, der eine von Amalien, der andere von Bernhard, seinem Bruder. Er wunderte sich, daß ihm dieser geschrieben, denn der Briefwechsel zwischen diesen beiden Brüdern war immer unbedeutend gewesen und hatte sich nur auf einfache Notizen beschränkt, damit sie nur nicht ganz außer Verbindung kämen — aber hierher hatte er ihm ja nicht einmal seine Adresse gegeben. Weil ihm dies Schreiben so befremdlich vorkam, so öffnete er dies zuerst und warf einen hastigen Blick hinein — und wieder und wieder — und sah schärfer hin, denn vor seinen Augen flimmerte es und die Buchstaben schwankten alle unruhig auf dem Papier vor ihm hin und her — sie schienen alle zu zerfallenden, morschen, schwarzen Kreuzen zu werden, die auf einem Kirchhof schief untereinander stehen und im Mondlicht am Charfreitag, wo alle Gräber sich erschrocken aufspalten, darauf ruhelos hin und wieder wanken, sich neigen und beugen — und doch immer schwarze Kreuze bleiben, Kreuze auf einem Kirchhof — so sagten auch ihm die Buchstaben immer dasselbe, obwohl er es ihnen nicht zugeben, durchaus nicht glauben wollte — sie stellten sich doch immer wieder so vor ihm zusammen, daß er lesen mußte:
„Dein Kind ist todt — Dein einziges Kind Deine Anna!“
Er saß da in sich zusammengesunken — er wagte kaum zu athmen, am Wenigsten zu denken.
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