Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

mein Ziel erreichen und eine kausalrichtige, lükenlose Kette, eine Assoziazion, von dem mich inspirirenden Dämon bis in die lezte, mikroskopische Beobachtung meiner Erscheinungswelt herstellen können. Das schwierigste Problem aber, welches mir hier entgegentritt, und welches die besten Köpfe aller Zeiten beschäftigt hat, ist die Lösung des Widerspruchs zwischen Körper und Geist, der Uebertritt von Gedachtem in Ausgedehntes, der Dualismus zwischen Denken und Erscheinungswelt, das Descartes'sche Problem. Oder, ein Beispiel gestelt: wie komt es, dass ein Stich in der Körperwelt, an meinem Arm, in meinem Denken zu Bewusstsein wird (Schmerzempfindung)? Oder: wie komt ein Baum in der Aussenwelt dazu, in mir zu einer Idee des Baumes zu werden? - Von der Materje aus kann ich die Idee nicht konstruiren, sonst verfalle ich in den Fehler der Materjalisten, die die Idee kurzer Hand zur Materje schlugen; oder in den der heutigen Psichologen, die Bewusstes aus Unbewusstem konstruiren. Der Sprung von der Materie zur Idee ist aber für mein Denken unausführbar. Wir bekämen es mit Descartes und der gesamten modernen Naturwissenschaft und ihren Postulaten zu tun. Umgekehrt, die Materje von der Idee aus zu konstruiren, ist mir noch viel weniger möglich, da dies nicht nur meinem Denken, sondern aller Erfahrung und der ganz vulgären Anschauung zuwiderläuft, da Niemand glauben wird, aus der Idee eines Ofens könne ein Ofen werden. Was bleibt mir in diesem Falle einzig übrig? Ich muss Idee einer Sache und die Sache selbst in der Aussenwelt als einen Prozess in meinem Innern sezen. Also der Baum in der Aussenwelt und die Idee des Baumes in meinem Innern sind identisch, sind ein und derselbe Prozess, gehen - bildlich gesprochen - an ein und demselben Ort vor sich, und die gesamte Aussenwelt stekt in meinem Innern. - Ist dies nicht unerhört? - Gewiss nicht! Die gesamte moderne Filosofie hat seit Berkeley wiederholt ganz oder teilweise die Realität der Aussenwelt geläugnet, wie Kant, Fichte, Schopenhauer, und hat, teils auf Erfahrungsursachen gestüzt, teils als Folge spekulativer Nötigung, als lezten

mein Ziel erreichen und eine kausalrichtige, lükenlose Kette, eine Assoziazion, von dem mich inspirirenden Dämon bis in die lezte, mikroskopische Beobachtung meiner Erscheinungswelt herstellen können. Das schwierigste Problem aber, welches mir hier entgegentritt, und welches die besten Köpfe aller Zeiten beschäftigt hat, ist die Lösung des Widerspruchs zwischen Körper und Geist, der Uebertritt von Gedachtem in Ausgedehntes, der Dualismus zwischen Denken und Erscheinungswelt, das Descartes’sche Problem. Oder, ein Beispiel gestelt: wie komt es, dass ein Stich in der Körperwelt, an meinem Arm, in meinem Denken zu Bewusstsein wird (Schmerzempfindung)? Oder: wie komt ein Baum in der Aussenwelt dazu, in mir zu einer Idee des Baumes zu werden? – Von der Materje aus kann ich die Idee nicht konstruiren, sonst verfalle ich in den Fehler der Materjalisten, die die Idee kurzer Hand zur Materje schlugen; oder in den der heutigen Psichologen, die Bewusstes aus Unbewusstem konstruiren. Der Sprung von der Materie zur Idee ist aber für mein Denken unausführbar. Wir bekämen es mit Descartes und der gesamten modernen Naturwissenschaft und ihren Postulaten zu tun. Umgekehrt, die Materje von der Idee aus zu konstruiren, ist mir noch viel weniger möglich, da dies nicht nur meinem Denken, sondern aller Erfahrung und der ganz vulgären Anschauung zuwiderläuft, da Niemand glauben wird, aus der Idee eines Ofens könne ein Ofen werden. Was bleibt mir in diesem Falle einzig übrig? Ich muss Idee einer Sache und die Sache selbst in der Aussenwelt als einen Prozess in meinem Innern sezen. Also der Baum in der Aussenwelt und die Idee des Baumes in meinem Innern sind identisch, sind ein und derselbe Prozess, gehen – bildlich gesprochen – an ein und demselben Ort vor sich, und die gesamte Aussenwelt stekt in meinem Innern. – Ist dies nicht unerhört? – Gewiss nicht! Die gesamte moderne Filosofie hat seit Berkeley wiederholt ganz oder teilweise die Realität der Aussenwelt geläugnet, wie Kant, Fichte, Schopenhauer, und hat, teils auf Erfahrungsursachen gestüzt, teils als Folge spekulativer Nötigung, als lezten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="28"/>
mein Ziel erreichen und eine kausalrichtige, lükenlose Kette, <hi rendition="#g">eine</hi> Assoziazion, von dem mich inspirirenden Dämon bis in die lezte, mikroskopische Beobachtung meiner Erscheinungswelt herstellen können. Das schwierigste Problem aber, welches mir hier entgegentritt, und welches die besten Köpfe aller Zeiten beschäftigt hat, ist die Lösung des Widerspruchs zwischen Körper und Geist, der Uebertritt von Gedachtem in Ausgedehntes, der Dualismus zwischen Denken und Erscheinungswelt, das <hi rendition="#g">Descartes</hi>&#x2019;sche Problem. Oder, ein Beispiel gestelt: wie komt es, dass ein Stich in der Körperwelt, an meinem Arm, in meinem Denken zu Bewusstsein wird (Schmerzempfindung)? Oder: wie komt ein Baum in der Aussenwelt dazu, in mir zu einer Idee des Baumes zu werden? &#x2013; Von der Materje aus kann ich die Idee nicht konstruiren, sonst verfalle ich in den Fehler der Materjalisten, die die Idee kurzer Hand zur Materje schlugen; oder in den der heutigen Psichologen, die Bewusstes aus Unbewusstem konstruiren. Der Sprung von der Materie zur Idee ist aber für mein Denken unausführbar. Wir bekämen es mit <hi rendition="#g">Descartes</hi> und der gesamten modernen Naturwissenschaft und ihren Postulaten zu tun. Umgekehrt, die Materje von der Idee aus zu konstruiren, ist mir noch viel weniger möglich, da dies nicht nur meinem Denken, sondern aller Erfahrung und der ganz vulgären Anschauung zuwiderläuft, da Niemand glauben wird, aus der Idee eines Ofens könne ein Ofen werden. Was bleibt mir in diesem Falle einzig übrig? Ich muss Idee einer Sache und die Sache selbst in der Aussenwelt als <hi rendition="#g">einen</hi> Prozess in meinem Innern sezen. Also der Baum in der Aussenwelt und die Idee des Baumes in meinem Innern sind identisch, sind ein und derselbe Prozess, gehen &#x2013; bildlich gesprochen &#x2013; an ein und demselben Ort vor sich, und die gesamte Aussenwelt stekt in meinem Innern. &#x2013; Ist dies nicht unerhört? &#x2013; Gewiss nicht! Die gesamte moderne Filosofie hat seit <hi rendition="#g">Berkeley</hi> wiederholt ganz oder teilweise die Realität der Aussenwelt geläugnet, wie <hi rendition="#g">Kant</hi>, <hi rendition="#g">Fichte</hi>, <hi rendition="#g">Schopenhauer</hi>, und hat, teils auf Erfahrungsursachen gestüzt, teils als Folge spekulativer Nötigung, als lezten
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0029] mein Ziel erreichen und eine kausalrichtige, lükenlose Kette, eine Assoziazion, von dem mich inspirirenden Dämon bis in die lezte, mikroskopische Beobachtung meiner Erscheinungswelt herstellen können. Das schwierigste Problem aber, welches mir hier entgegentritt, und welches die besten Köpfe aller Zeiten beschäftigt hat, ist die Lösung des Widerspruchs zwischen Körper und Geist, der Uebertritt von Gedachtem in Ausgedehntes, der Dualismus zwischen Denken und Erscheinungswelt, das Descartes’sche Problem. Oder, ein Beispiel gestelt: wie komt es, dass ein Stich in der Körperwelt, an meinem Arm, in meinem Denken zu Bewusstsein wird (Schmerzempfindung)? Oder: wie komt ein Baum in der Aussenwelt dazu, in mir zu einer Idee des Baumes zu werden? – Von der Materje aus kann ich die Idee nicht konstruiren, sonst verfalle ich in den Fehler der Materjalisten, die die Idee kurzer Hand zur Materje schlugen; oder in den der heutigen Psichologen, die Bewusstes aus Unbewusstem konstruiren. Der Sprung von der Materie zur Idee ist aber für mein Denken unausführbar. Wir bekämen es mit Descartes und der gesamten modernen Naturwissenschaft und ihren Postulaten zu tun. Umgekehrt, die Materje von der Idee aus zu konstruiren, ist mir noch viel weniger möglich, da dies nicht nur meinem Denken, sondern aller Erfahrung und der ganz vulgären Anschauung zuwiderläuft, da Niemand glauben wird, aus der Idee eines Ofens könne ein Ofen werden. Was bleibt mir in diesem Falle einzig übrig? Ich muss Idee einer Sache und die Sache selbst in der Aussenwelt als einen Prozess in meinem Innern sezen. Also der Baum in der Aussenwelt und die Idee des Baumes in meinem Innern sind identisch, sind ein und derselbe Prozess, gehen – bildlich gesprochen – an ein und demselben Ort vor sich, und die gesamte Aussenwelt stekt in meinem Innern. – Ist dies nicht unerhört? – Gewiss nicht! Die gesamte moderne Filosofie hat seit Berkeley wiederholt ganz oder teilweise die Realität der Aussenwelt geläugnet, wie Kant, Fichte, Schopenhauer, und hat, teils auf Erfahrungsursachen gestüzt, teils als Folge spekulativer Nötigung, als lezten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-04-29T10:04:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-04-29T10:04:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-04-29T10:04:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/29
Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/29>, abgerufen am 21.11.2024.