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Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

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§. 34.

Dalai-Lama nent sich im Plural; um Dir Plattköpfigen anzuzeigen, dass er mehr, mindestens zweimal so viel, wie Du bist. "Pluralis majestatis". Er sagt "Wir". Und Dich nent er im Singular; Dich warnend, ihn, oder vielmehr sie, die Mehrheit, nicht etwa nach rein äusserlichen Merkzeigen: Beine, Kopf, Ohren, Nase, Testikel, für eine Einheit und Dir Gleiches zu halten. Er sagt: Wir sind eine Mehrheit und Du bist Eins. Wir sind im Namen des heiligen Gottes Dir vorgesezt, wir haben direkte Verbindung mit Gott, sind also für Dich Gott. - Er probirt dieses Rechen-Exempel auf Deinen Kopf hin, auf Deine Plattköpfigkeit hin. Gelingt es, d. h. glaubst Du's, dann ist er das, was Er will, d. h. was Du glaubst. Er ist dann wirklich für Dich Gott. Und ist es tausende von Jahren. Bis Du nicht mehr willst. - Gelingt es nicht (wie in einigen neu-kreirten kleinen Stäätchen, die sich einen fremden Dalai-Lama importirten), oder gelingt es nicht mehr; ist Dein Gehirn zu gewölbt, zu resistent, oder hast Du den Schwindel schon in andern Staaten mitgemacht; oder drehst Du gar den Spiess um, nimst ihm, dem Dalai-Lama, die göttliche Krone vom Kopf, oder gar den Kopf vom Rumpf, dann ist der Dalai-Lamismus für Dich, für ihn, für seine Nachfolger, für seine Umgebung, für das ganze Volk gebrochen. Es zeigt sich dann, dass er nur einen Kopf hat, nicht mehrere, also singulär ist, wie Du auch. Er ist er; er ist nicht "Wir", noch "sie" und Du bist Du. - Also bei Dir steht's, was Er, und wieviel Personen Er, aus sich machen will. Behagt Dir die Illusion seiner Mehrheit, so magst Du sie mit machen. Behagt sie Dir nicht, und zwingt Dich Dein Dämon, Deine innere Stimme, Dein Warheitsdrang, oder wie Du es immer nennen willst, die Illusion zu zerbrechen, so rette Du Deine Seele, in diesem Fall, wie in früheren vor der Täuschung. Denn wenn es etwas Wahres gibt, so ist es zweifellos jene Kraft, die Dich immer wieder antreibt, die Nebel dieser Täuschungswelt zu zerreissen, und auf das zu pochen, von dem Du einzig weisst, dass es Dir unmittelbar gegeben ist: Deine Seele.

§. 34.

Dalai-Lama nent sich im Plural; um Dir Plattköpfigen anzuzeigen, dass er mehr, mindestens zweimal so viel, wie Du bist. „Pluralis majestatis“. Er sagt „Wir“. Und Dich nent er im Singular; Dich warnend, ihn, oder vielmehr sie, die Mehrheit, nicht etwa nach rein äusserlichen Merkzeigen: Beine, Kopf, Ohren, Nase, Testikel, für eine Einheit und Dir Gleiches zu halten. Er sagt: Wir sind eine Mehrheit und Du bist Eins. Wir sind im Namen des heiligen Gottes Dir vorgesezt, wir haben direkte Verbindung mit Gott, sind also für Dich Gott. – Er probirt dieses Rechen-Exempel auf Deinen Kopf hin, auf Deine Plattköpfigkeit hin. Gelingt es, d. h. glaubst Du’s, dann ist er das, was Er will, d. h. was Du glaubst. Er ist dann wirklich für Dich Gott. Und ist es tausende von Jahren. Bis Du nicht mehr willst. – Gelingt es nicht (wie in einigen neu-kreïrten kleinen Stäätchen, die sich einen fremden Dalaï-Lama importirten), oder gelingt es nicht mehr; ist Dein Gehirn zu gewölbt, zu resistent, oder hast Du den Schwindel schon in andern Staaten mitgemacht; oder drehst Du gar den Spiess um, nimst ihm, dem Dalaï-Lama, die göttliche Krone vom Kopf, oder gar den Kopf vom Rumpf, dann ist der Dalai-Lamismus für Dich, für ihn, für seine Nachfolger, für seine Umgebung, für das ganze Volk gebrochen. Es zeigt sich dann, dass er nur einen Kopf hat, nicht mehrere, also singulär ist, wie Du auch. Er ist er; er ist nicht „Wir“, noch „sie“ und Du bist Du. – Also bei Dir steht’s, was Er, und wieviel Personen Er, aus sich machen will. Behagt Dir die Illusion seiner Mehrheit, so magst Du sie mit machen. Behagt sie Dir nicht, und zwingt Dich Dein Dämon, Deine innere Stimme, Dein Warheitsdrang, oder wie Du es immer nennen willst, die Illusion zu zerbrechen, so rette Du Deine Seele, in diesem Fall, wie in früheren vor der Täuschung. Denn wenn es etwas Wahres gibt, so ist es zweifellos jene Kraft, die Dich immer wieder antreibt, die Nebel dieser Täuschungswelt zu zerreissen, und auf das zu pochen, von dem Du einzig weisst, dass es Dir unmittelbar gegeben ist: Deine Seele.

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[58/0059] §. 34. Dalai-Lama nent sich im Plural; um Dir Plattköpfigen anzuzeigen, dass er mehr, mindestens zweimal so viel, wie Du bist. „Pluralis majestatis“. Er sagt „Wir“. Und Dich nent er im Singular; Dich warnend, ihn, oder vielmehr sie, die Mehrheit, nicht etwa nach rein äusserlichen Merkzeigen: Beine, Kopf, Ohren, Nase, Testikel, für eine Einheit und Dir Gleiches zu halten. Er sagt: Wir sind eine Mehrheit und Du bist Eins. Wir sind im Namen des heiligen Gottes Dir vorgesezt, wir haben direkte Verbindung mit Gott, sind also für Dich Gott. – Er probirt dieses Rechen-Exempel auf Deinen Kopf hin, auf Deine Plattköpfigkeit hin. Gelingt es, d. h. glaubst Du’s, dann ist er das, was Er will, d. h. was Du glaubst. Er ist dann wirklich für Dich Gott. Und ist es tausende von Jahren. Bis Du nicht mehr willst. – Gelingt es nicht (wie in einigen neu-kreïrten kleinen Stäätchen, die sich einen fremden Dalaï-Lama importirten), oder gelingt es nicht mehr; ist Dein Gehirn zu gewölbt, zu resistent, oder hast Du den Schwindel schon in andern Staaten mitgemacht; oder drehst Du gar den Spiess um, nimst ihm, dem Dalaï-Lama, die göttliche Krone vom Kopf, oder gar den Kopf vom Rumpf, dann ist der Dalai-Lamismus für Dich, für ihn, für seine Nachfolger, für seine Umgebung, für das ganze Volk gebrochen. Es zeigt sich dann, dass er nur einen Kopf hat, nicht mehrere, also singulär ist, wie Du auch. Er ist er; er ist nicht „Wir“, noch „sie“ und Du bist Du. – Also bei Dir steht’s, was Er, und wieviel Personen Er, aus sich machen will. Behagt Dir die Illusion seiner Mehrheit, so magst Du sie mit machen. Behagt sie Dir nicht, und zwingt Dich Dein Dämon, Deine innere Stimme, Dein Warheitsdrang, oder wie Du es immer nennen willst, die Illusion zu zerbrechen, so rette Du Deine Seele, in diesem Fall, wie in früheren vor der Täuschung. Denn wenn es etwas Wahres gibt, so ist es zweifellos jene Kraft, die Dich immer wieder antreibt, die Nebel dieser Täuschungswelt zu zerreissen, und auf das zu pochen, von dem Du einzig weisst, dass es Dir unmittelbar gegeben ist: Deine Seele.

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Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/59>, abgerufen am 23.11.2024.