Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorwort.

Ich war immer der Meinung, dass es, um in filosofischen Dingen das Wort zu ergreifen, eines gewissen Kauderwelsches von ausländischen Termini bedürfe, einer vertrakten Geberde, die dem Beschauer so fürchterlich erscheine, dass er ein für allemal auf alles eigene Denken vergässe, eines gewissen steifen Nimbus, wie er sich um Universitäts-Kateder als undurchdringliche Schicht lagert und in dem Lokenrest zerzauster und halbnakter Professoren-Köpfe ruht; - da las ich Stirner; Stirner, diesen Lazarus unter den Filosofen, der plözlich wieder auferstanden ist, und uns gezeigt hat, dass Denken unter Umständen mehr ist, als Mikroskopiren, Schädelmessen, Gehirne-Wiegen und experimentelle Psichologie-Treiben; Stirner, der Schriftsteller, der in seiner knappen, konzisen, flinken und oft burschikosen Form bewiesen hat, dass Leichtigkeit und Flüssigkeit des Vortrags ein Vorteil sei für die Behandlung abstrakter Disziplinen gegenüber dem zähen Asfalt-Brei aus dem Munde patentirter Sanskritisten. - Ihm verdanke ich vor Allem die Aufmunterung zu der vorliegenden Schrift. Und deswegen habe ich in Dankbarkeit seinen Namen dem Werkchen vorgesezt.

Dass ich auch inhaltlich in manchen Dingen von Stirner beeinflusst worden bin, wird der Kundige bald erspähn.

Im Uebrigen möchte ich hier den prinzipiellen Unterschied des Ausgangspunktes in beiden Sistemen betonen: Stirner seufzte unter dem elendigen Joch der Reakzion der Vierziger Jahre. Und seine formellen Lehrmeister im Denken waren: Hegel, Fichte, Ludwig Feuerbach. Wir Heutigen und Jüngeren kennen diese Grossmeister vom Stuhl der reinen Begriffe kaum mehr als lebenden Geistesgehalt. Wir stehen, nach der Richtung der Erforschung des Menschen, unter dem Zeichen

Vorwort.

Ich war immer der Meinung, dass es, um in filosofischen Dingen das Wort zu ergreifen, eines gewissen Kauderwelsches von ausländischen Termini bedürfe, einer vertrakten Geberde, die dem Beschauer so fürchterlich erscheine, dass er ein für allemal auf alles eigene Denken vergässe, eines gewissen steifen Nimbus, wie er sich um Universitäts-Kateder als undurchdringliche Schicht lagert und in dem Lokenrest zerzauster und halbnakter Professoren-Köpfe ruht; – da las ich Stirner; Stirner, diesen Lazarus unter den Filosofen, der plözlich wieder auferstanden ist, und uns gezeigt hat, dass Denken unter Umständen mehr ist, als Mikroskopiren, Schädelmessen, Gehirne-Wiegen und experimentelle Psichologie-Treiben; Stirner, der Schriftsteller, der in seiner knappen, konzisen, flinken und oft burschikosen Form bewiesen hat, dass Leichtigkeit und Flüssigkeit des Vortrags ein Vorteil sei für die Behandlung abstrakter Disziplinen gegenüber dem zähen Asfalt-Brei aus dem Munde patentirter Sanskritisten. – Ihm verdanke ich vor Allem die Aufmunterung zu der vorliegenden Schrift. Und deswegen habe ich in Dankbarkeit seinen Namen dem Werkchen vorgesezt.

Dass ich auch inhaltlich in manchen Dingen von Stirner beeinflusst worden bin, wird der Kundige bald erspähn.

Im Uebrigen möchte ich hier den prinzipiellen Unterschied des Ausgangspunktes in beiden Sistemen betonen: Stirner seufzte unter dem elendigen Joch der Reakzion der Vierziger Jahre. Und seine formellen Lehrmeister im Denken waren: Hegel, Fichte, Ludwig Feuerbach. Wir Heutigen und Jüngeren kennen diese Grossmeister vom Stuhl der reinen Begriffe kaum mehr als lebenden Geistesgehalt. Wir stehen, nach der Richtung der Erforschung des Menschen, unter dem Zeichen

<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0007"/>
      <div type="preface" n="1">
        <head>Vorwort.</head><lb/>
        <p>Ich war immer der Meinung, dass es, um in filosofischen Dingen das Wort zu ergreifen, eines gewissen Kauderwelsches von ausländischen Termini bedürfe, einer vertrakten Geberde, die dem Beschauer so fürchterlich erscheine, dass er ein für allemal auf alles eigene Denken vergässe, eines gewissen steifen Nimbus, wie er sich um Universitäts-Kateder als undurchdringliche Schicht lagert und in dem Lokenrest zerzauster und halbnakter Professoren-Köpfe ruht; &#x2013; da las ich <hi rendition="#g">Stirner</hi>; <hi rendition="#g">Stirner</hi>, diesen Lazarus unter den Filosofen, der plözlich wieder auferstanden ist, und uns gezeigt hat, dass <hi rendition="#g">Denken</hi> unter Umständen mehr ist, als <hi rendition="#g">Mikroskopiren</hi>, <hi rendition="#g">Schädelmessen</hi>, <hi rendition="#g">Gehirne-Wiegen</hi> und <hi rendition="#g">experimentelle Psichologie-Treiben</hi>; <hi rendition="#g">Stirner</hi>, der Schriftsteller, der in seiner knappen, konzisen, flinken und oft burschikosen Form bewiesen hat, dass Leichtigkeit und Flüssigkeit des Vortrags ein Vorteil sei für die Behandlung abstrakter Disziplinen gegenüber dem zähen Asfalt-Brei aus dem Munde patentirter Sanskritisten. &#x2013; Ihm verdanke ich vor Allem die Aufmunterung zu der vorliegenden Schrift. Und deswegen habe ich in Dankbarkeit seinen Namen dem Werkchen vorgesezt.</p>
        <p>Dass ich auch inhaltlich in manchen Dingen von <hi rendition="#g">Stirner</hi> beeinflusst worden bin, wird der Kundige bald erspähn.</p>
        <p>Im Uebrigen möchte ich hier den prinzipiellen Unterschied des Ausgangspunktes in beiden Sistemen betonen: <hi rendition="#g">Stirner</hi> seufzte unter dem elendigen Joch der Reakzion der Vierziger Jahre. Und seine formellen Lehrmeister im Denken waren: <hi rendition="#g">Hegel</hi>, <hi rendition="#g">Fichte</hi>, Ludwig <hi rendition="#g">Feuerbach</hi>. Wir Heutigen und Jüngeren kennen diese Grossmeister vom Stuhl der reinen Begriffe kaum mehr als lebenden Geistesgehalt. Wir stehen, nach der Richtung der Erforschung des Menschen, unter dem Zeichen
</p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0007] Vorwort. Ich war immer der Meinung, dass es, um in filosofischen Dingen das Wort zu ergreifen, eines gewissen Kauderwelsches von ausländischen Termini bedürfe, einer vertrakten Geberde, die dem Beschauer so fürchterlich erscheine, dass er ein für allemal auf alles eigene Denken vergässe, eines gewissen steifen Nimbus, wie er sich um Universitäts-Kateder als undurchdringliche Schicht lagert und in dem Lokenrest zerzauster und halbnakter Professoren-Köpfe ruht; – da las ich Stirner; Stirner, diesen Lazarus unter den Filosofen, der plözlich wieder auferstanden ist, und uns gezeigt hat, dass Denken unter Umständen mehr ist, als Mikroskopiren, Schädelmessen, Gehirne-Wiegen und experimentelle Psichologie-Treiben; Stirner, der Schriftsteller, der in seiner knappen, konzisen, flinken und oft burschikosen Form bewiesen hat, dass Leichtigkeit und Flüssigkeit des Vortrags ein Vorteil sei für die Behandlung abstrakter Disziplinen gegenüber dem zähen Asfalt-Brei aus dem Munde patentirter Sanskritisten. – Ihm verdanke ich vor Allem die Aufmunterung zu der vorliegenden Schrift. Und deswegen habe ich in Dankbarkeit seinen Namen dem Werkchen vorgesezt. Dass ich auch inhaltlich in manchen Dingen von Stirner beeinflusst worden bin, wird der Kundige bald erspähn. Im Uebrigen möchte ich hier den prinzipiellen Unterschied des Ausgangspunktes in beiden Sistemen betonen: Stirner seufzte unter dem elendigen Joch der Reakzion der Vierziger Jahre. Und seine formellen Lehrmeister im Denken waren: Hegel, Fichte, Ludwig Feuerbach. Wir Heutigen und Jüngeren kennen diese Grossmeister vom Stuhl der reinen Begriffe kaum mehr als lebenden Geistesgehalt. Wir stehen, nach der Richtung der Erforschung des Menschen, unter dem Zeichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-04-29T10:04:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-04-29T10:04:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-04-29T10:04:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/7
Zitationshilfe: Panizza, Oskar: Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit. Leipzig, 1895, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/panizza_illusionismus_1895/7>, abgerufen am 21.11.2024.