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Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.

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Cheder sind Schulen, in denen in 2 bis 4 Abteilungen mit den Kindern ein furchtbarer, einseitig geistiger Drill vorgenommen wird.

Es gibt viele Cheder, in denen Knaben und Mädchen gemeinsam unterrichtet werden, aber die meisten dieser Schulen vereinen nur Knaben. Die Knaben müssen nach der Ansicht der Väter und Rabbiner, im Gegensatz zu den Mädchen, besonders vor dem Gifte profanen Wissens behütet werden.

In engen, nie gelüfteten Räumen, zusammengedrängt wie die Schafe in einem Pferch, sitzen, stehen oder kauern die Kinder, 60, 80, 100 an der Zahl, auf oder zwischen Tischen und Bänken. Ein Mann, der zu sonst nichts taugt, ist entweder als Unternehmer oder als Beamter der Gemeinde der Lehrer "Melamed". Da er mit seinen Schülern bei einer Methode, nach der er mit jedem einzelnen Kinde besonders pauken oder "knellen" muß, unmöglich fertig werden kann, so hat er junge Unterlehrer "Belfer - Behelfer", Bürschchen von 17 bis 19 Jahren, die mit ihm in der Anwendung des Stockes oder des Kantuk, einer Peitsche mit Lederriemen, wetteifern, unter deren Leitung aber Ungehörigkeiten, und, wo Mädchen im Cheder sind, auch grober Unfug zu den häufigsten Vorkommnissen gehören sollen.

Der erste Lehrstoff ist die kommentierte Bibel, die, ohne Striche, wahllos mit den Kindern "gelernt" wird. Ich selbst hörte, wie ein etwa 9jähriger Junge eine Stelle, die seinem Verständnis noch lange hätte ferngehalten werden sollen, mit größtem Eifer las und wieder und immer wieder in sein Jargon-Deutsch übersetzte. Ich erlaubte mir dem "Melamed" gegenüber eine Bemerkung, worauf er mich derb anschnauzte und fragte, ob er mir gar die Thora "modernisieren" solle!

Es ist selbstverständlich, daß dieses "Bibelstudium" auf die ohnedies frühreifen Kinder dieselbe Wirkung übt, wie es die berüchtigten Beichtfragen auf die katholische Jugend tun. Es ist mir auch von maßgebender pädagogischer Seite bestätigt worden, daß in den Chedern vielfach der Keim zu sittlicher Verwahrlosung und Verrohung gelegt werd, dort wo die Jugend heranwächst, nicht nur ohne Aufsicht und Erziehung, sondern wo sie unter schlechten Einflüssen die Zeit der ersten Bildsamkeit verbringt.

Was für Zustände in diesen Unterrichtshöhlen in hygienischer

Cheder sind Schulen, in denen in 2 bis 4 Abteilungen mit den Kindern ein furchtbarer, einseitig geistiger Drill vorgenommen wird.

Es gibt viele Cheder, in denen Knaben und Mädchen gemeinsam unterrichtet werden, aber die meisten dieser Schulen vereinen nur Knaben. Die Knaben müssen nach der Ansicht der Väter und Rabbiner, im Gegensatz zu den Mädchen, besonders vor dem Gifte profanen Wissens behütet werden.

In engen, nie gelüfteten Räumen, zusammengedrängt wie die Schafe in einem Pferch, sitzen, stehen oder kauern die Kinder, 60, 80, 100 an der Zahl, auf oder zwischen Tischen und Bänken. Ein Mann, der zu sonst nichts taugt, ist entweder als Unternehmer oder als Beamter der Gemeinde der Lehrer „Melamed“. Da er mit seinen Schülern bei einer Methode, nach der er mit jedem einzelnen Kinde besonders pauken oder „knellen“ muß, unmöglich fertig werden kann, so hat er junge Unterlehrer „Belfer – Behelfer“, Bürschchen von 17 bis 19 Jahren, die mit ihm in der Anwendung des Stockes oder des Kantuk, einer Peitsche mit Lederriemen, wetteifern, unter deren Leitung aber Ungehörigkeiten, und, wo Mädchen im Cheder sind, auch grober Unfug zu den häufigsten Vorkommnissen gehören sollen.

Der erste Lehrstoff ist die kommentierte Bibel, die, ohne Striche, wahllos mit den Kindern „gelernt“ wird. Ich selbst hörte, wie ein etwa 9jähriger Junge eine Stelle, die seinem Verständnis noch lange hätte ferngehalten werden sollen, mit größtem Eifer las und wieder und immer wieder in sein Jargon-Deutsch übersetzte. Ich erlaubte mir dem „Melamed“ gegenüber eine Bemerkung, worauf er mich derb anschnauzte und fragte, ob er mir gar die Thora „modernisieren“ solle!

Es ist selbstverständlich, daß dieses „Bibelstudium“ auf die ohnedies frühreifen Kinder dieselbe Wirkung übt, wie es die berüchtigten Beichtfragen auf die katholische Jugend tun. Es ist mir auch von maßgebender pädagogischer Seite bestätigt worden, daß in den Chedern vielfach der Keim zu sittlicher Verwahrlosung und Verrohung gelegt werd, dort wo die Jugend heranwächst, nicht nur ohne Aufsicht und Erziehung, sondern wo sie unter schlechten Einflüssen die Zeit der ersten Bildsamkeit verbringt.

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        <p>In engen, nie gelüfteten Räumen, zusammengedrängt wie die Schafe in einem Pferch, sitzen, stehen oder kauern die Kinder, 60, 80, 100 an der Zahl, auf oder zwischen Tischen und Bänken. Ein Mann, der zu sonst nichts taugt, ist entweder als Unternehmer oder als Beamter der Gemeinde der Lehrer &#x201E;Melamed&#x201C;. Da er mit seinen Schülern bei einer Methode, nach der er mit jedem einzelnen Kinde besonders pauken oder &#x201E;knellen&#x201C; muß, unmöglich fertig werden kann, so hat er junge Unterlehrer &#x201E;Belfer &#x2013; Behelfer&#x201C;, Bürschchen von 17 bis 19 Jahren, die mit ihm in der Anwendung des Stockes oder des Kantuk, einer Peitsche mit Lederriemen, wetteifern, unter deren Leitung aber Ungehörigkeiten, und, wo Mädchen im Cheder sind, auch grober Unfug zu den häufigsten Vorkommnissen gehören sollen.</p>
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[11/0011] Cheder sind Schulen, in denen in 2 bis 4 Abteilungen mit den Kindern ein furchtbarer, einseitig geistiger Drill vorgenommen wird. Es gibt viele Cheder, in denen Knaben und Mädchen gemeinsam unterrichtet werden, aber die meisten dieser Schulen vereinen nur Knaben. Die Knaben müssen nach der Ansicht der Väter und Rabbiner, im Gegensatz zu den Mädchen, besonders vor dem Gifte profanen Wissens behütet werden. In engen, nie gelüfteten Räumen, zusammengedrängt wie die Schafe in einem Pferch, sitzen, stehen oder kauern die Kinder, 60, 80, 100 an der Zahl, auf oder zwischen Tischen und Bänken. Ein Mann, der zu sonst nichts taugt, ist entweder als Unternehmer oder als Beamter der Gemeinde der Lehrer „Melamed“. Da er mit seinen Schülern bei einer Methode, nach der er mit jedem einzelnen Kinde besonders pauken oder „knellen“ muß, unmöglich fertig werden kann, so hat er junge Unterlehrer „Belfer – Behelfer“, Bürschchen von 17 bis 19 Jahren, die mit ihm in der Anwendung des Stockes oder des Kantuk, einer Peitsche mit Lederriemen, wetteifern, unter deren Leitung aber Ungehörigkeiten, und, wo Mädchen im Cheder sind, auch grober Unfug zu den häufigsten Vorkommnissen gehören sollen. Der erste Lehrstoff ist die kommentierte Bibel, die, ohne Striche, wahllos mit den Kindern „gelernt“ wird. Ich selbst hörte, wie ein etwa 9jähriger Junge eine Stelle, die seinem Verständnis noch lange hätte ferngehalten werden sollen, mit größtem Eifer las und wieder und immer wieder in sein Jargon-Deutsch übersetzte. Ich erlaubte mir dem „Melamed“ gegenüber eine Bemerkung, worauf er mich derb anschnauzte und fragte, ob er mir gar die Thora „modernisieren“ solle! Es ist selbstverständlich, daß dieses „Bibelstudium“ auf die ohnedies frühreifen Kinder dieselbe Wirkung übt, wie es die berüchtigten Beichtfragen auf die katholische Jugend tun. Es ist mir auch von maßgebender pädagogischer Seite bestätigt worden, daß in den Chedern vielfach der Keim zu sittlicher Verwahrlosung und Verrohung gelegt werd, dort wo die Jugend heranwächst, nicht nur ohne Aufsicht und Erziehung, sondern wo sie unter schlechten Einflüssen die Zeit der ersten Bildsamkeit verbringt. Was für Zustände in diesen Unterrichtshöhlen in hygienischer

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Zitationshilfe: Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pappenheim_galizien_1904/11>, abgerufen am 21.11.2024.