Pappenheim, Bertha u. a.: Zur Lage der jüdischen Bevölkerung in Galizien. Reise-Eindrücke und Vorschläge zur Besserung der Verhältnisse. Frankfurt (Main), 1904.Daß die Baron Hirsch-Schulen an manchen Orten noch nicht ganz festen Fuß gefaßt haben, liegt sicher vielfach daran, daß manche Lehrer oder Leiter nicht immer und nicht überall in ihrem Privatleben, wie in ihren Privatäußerungen, vorsichtig und taktvoll genug sind, die religiösen Anschauungen der Majorität unter den Juden Galiziens zu schonen. Geradezu Anstoß erregt es, daß es in den meisten der Baron Hirsch-Schulen dem Gutdünken der Eltern anheimgegeben ist, ob die Kinder während des hebräischen Unterrichtes den Kopf bedecken sollen oder nicht, während viele Lehrer es grundsätzlich unterlassen. Es wäre viel klüger, eine allgemeine Vorschrift zu geben, derzufolge die Knaben dem hebräischen Unterrichte mit bedecktem Haupte, dem Profanunterricht mit unbedecktem Haupte beiwohnen. Auf Wunsch der Eltern sollte den Knaben auch gestattet sein, während des Profanunterrichtes eine Kopfbedeckung zu tragen. Wer so modern denkt, daß er es überflüssig findet, daß die Knaben der altorientalischen Sitte folgend, beim Gebet oder beim Studium in der heiligen Sprache das Haupt bedecken, dem kann es auch gleichgiltig sein, wenn sie es tun. Und wenn durch das Befolgen einer überflüssigen oder gleichgiltigen, jedenfalls aber unschädlichen Volkssitte, die vielen eine religiöse Vorschrift erscheint, das Vertrauen für eine so wichtige Sache, wie die Schule gewonnen werden kann, so ist es unklug, der Orthodoxie diese und ähnliche Konzessionen nicht zu machen. Ich setze als bekannt voraus, daß die Schulen der Baron Hirsch-Stiftung nur Knabenschulen sind. Für die Mädchen, nach der landesüblichen Auffassung minderwertige Geschöpfe, die nur der Fortpflanzung dienen, bestehen keine religiösen Bedenken, die christlichen polnischen Schulen zu besuchen. Es gibt nur eine kleine Jubiläumsstiftung der Baronin Klara Hirsch, aus deren Mitteln drei Haushaltungsschulen geführt werden, von denen ich zu sprechen habe, wenn ich über die Erziehung der Mädchen berichte. Bei unsern Besuchen der Stiftungsschulen war es mir eine besondere Freude und ungemein lehrreich, mit den Inspektoren der Schulen, die in der Verwaltung das Bindeglied zwischen Schule und Kuratorium bilden, zu sprechen. Diese Herren sind die begeistertsten und zugleich verständnisvollsten Pioniere der Kulturarbeit Daß die Baron Hirsch-Schulen an manchen Orten noch nicht ganz festen Fuß gefaßt haben, liegt sicher vielfach daran, daß manche Lehrer oder Leiter nicht immer und nicht überall in ihrem Privatleben, wie in ihren Privatäußerungen, vorsichtig und taktvoll genug sind, die religiösen Anschauungen der Majorität unter den Juden Galiziens zu schonen. Geradezu Anstoß erregt es, daß es in den meisten der Baron Hirsch-Schulen dem Gutdünken der Eltern anheimgegeben ist, ob die Kinder während des hebräischen Unterrichtes den Kopf bedecken sollen oder nicht, während viele Lehrer es grundsätzlich unterlassen. Es wäre viel klüger, eine allgemeine Vorschrift zu geben, derzufolge die Knaben dem hebräischen Unterrichte mit bedecktem Haupte, dem Profanunterricht mit unbedecktem Haupte beiwohnen. Auf Wunsch der Eltern sollte den Knaben auch gestattet sein, während des Profanunterrichtes eine Kopfbedeckung zu tragen. Wer so modern denkt, daß er es überflüssig findet, daß die Knaben der altorientalischen Sitte folgend, beim Gebet oder beim Studium in der heiligen Sprache das Haupt bedecken, dem kann es auch gleichgiltig sein, wenn sie es tun. Und wenn durch das Befolgen einer überflüssigen oder gleichgiltigen, jedenfalls aber unschädlichen Volkssitte, die vielen eine religiöse Vorschrift erscheint, das Vertrauen für eine so wichtige Sache, wie die Schule gewonnen werden kann, so ist es unklug, der Orthodoxie diese und ähnliche Konzessionen nicht zu machen. Ich setze als bekannt voraus, daß die Schulen der Baron Hirsch-Stiftung nur Knabenschulen sind. Für die Mädchen, nach der landesüblichen Auffassung minderwertige Geschöpfe, die nur der Fortpflanzung dienen, bestehen keine religiösen Bedenken, die christlichen polnischen Schulen zu besuchen. Es gibt nur eine kleine Jubiläumsstiftung der Baronin Klara Hirsch, aus deren Mitteln drei Haushaltungsschulen geführt werden, von denen ich zu sprechen habe, wenn ich über die Erziehung der Mädchen berichte. Bei unsern Besuchen der Stiftungsschulen war es mir eine besondere Freude und ungemein lehrreich, mit den Inspektoren der Schulen, die in der Verwaltung das Bindeglied zwischen Schule und Kuratorium bilden, zu sprechen. Diese Herren sind die begeistertsten und zugleich verständnisvollsten Pioniere der Kulturarbeit <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0013" n="13"/> <p> Daß die Baron Hirsch-Schulen an manchen Orten noch nicht ganz festen Fuß gefaßt haben, liegt sicher vielfach daran, daß manche Lehrer oder Leiter nicht immer und nicht überall in ihrem Privatleben, wie in ihren Privatäußerungen, vorsichtig und taktvoll genug sind, die religiösen Anschauungen der Majorität unter den Juden Galiziens zu schonen.</p> <p>Geradezu Anstoß erregt es, daß es in den meisten der Baron Hirsch-Schulen dem Gutdünken der Eltern anheimgegeben ist, ob die Kinder während des hebräischen Unterrichtes den Kopf bedecken sollen oder nicht, während viele Lehrer es grundsätzlich unterlassen. Es wäre viel klüger, eine allgemeine Vorschrift zu geben, derzufolge die Knaben dem hebräischen Unterrichte mit bedecktem Haupte, dem Profanunterricht mit unbedecktem Haupte beiwohnen. Auf Wunsch der Eltern sollte den Knaben auch gestattet sein, während des Profanunterrichtes eine Kopfbedeckung zu tragen.</p> <p>Wer so modern denkt, <hi rendition="#g">daß</hi> er es überflüssig findet, daß die Knaben der altorientalischen Sitte folgend, beim Gebet oder beim Studium in der heiligen Sprache das Haupt bedecken, dem kann es auch gleichgiltig sein, <hi rendition="#g">wenn</hi> sie es tun. 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Daß die Baron Hirsch-Schulen an manchen Orten noch nicht ganz festen Fuß gefaßt haben, liegt sicher vielfach daran, daß manche Lehrer oder Leiter nicht immer und nicht überall in ihrem Privatleben, wie in ihren Privatäußerungen, vorsichtig und taktvoll genug sind, die religiösen Anschauungen der Majorität unter den Juden Galiziens zu schonen.
Geradezu Anstoß erregt es, daß es in den meisten der Baron Hirsch-Schulen dem Gutdünken der Eltern anheimgegeben ist, ob die Kinder während des hebräischen Unterrichtes den Kopf bedecken sollen oder nicht, während viele Lehrer es grundsätzlich unterlassen. Es wäre viel klüger, eine allgemeine Vorschrift zu geben, derzufolge die Knaben dem hebräischen Unterrichte mit bedecktem Haupte, dem Profanunterricht mit unbedecktem Haupte beiwohnen. Auf Wunsch der Eltern sollte den Knaben auch gestattet sein, während des Profanunterrichtes eine Kopfbedeckung zu tragen.
Wer so modern denkt, daß er es überflüssig findet, daß die Knaben der altorientalischen Sitte folgend, beim Gebet oder beim Studium in der heiligen Sprache das Haupt bedecken, dem kann es auch gleichgiltig sein, wenn sie es tun. Und wenn durch das Befolgen einer überflüssigen oder gleichgiltigen, jedenfalls aber unschädlichen Volkssitte, die vielen eine religiöse Vorschrift erscheint, das Vertrauen für eine so wichtige Sache, wie die Schule gewonnen werden kann, so ist es unklug, der Orthodoxie diese und ähnliche Konzessionen nicht zu machen.
Ich setze als bekannt voraus, daß die Schulen der Baron Hirsch-Stiftung nur Knabenschulen sind.
Für die Mädchen, nach der landesüblichen Auffassung minderwertige Geschöpfe, die nur der Fortpflanzung dienen, bestehen keine religiösen Bedenken, die christlichen polnischen Schulen zu besuchen. Es gibt nur eine kleine Jubiläumsstiftung der Baronin Klara Hirsch, aus deren Mitteln drei Haushaltungsschulen geführt werden, von denen ich zu sprechen habe, wenn ich über die Erziehung der Mädchen berichte.
Bei unsern Besuchen der Stiftungsschulen war es mir eine besondere Freude und ungemein lehrreich, mit den Inspektoren der Schulen, die in der Verwaltung das Bindeglied zwischen Schule und Kuratorium bilden, zu sprechen. Diese Herren sind die begeistertsten und zugleich verständnisvollsten Pioniere der Kulturarbeit
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