Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862].

Bild:
<< vorherige Seite

sonne so warm und freundlich in unsere nie-
drigen Fenster, dass uns Weimar wiederum
ganz angenehm und gemüthlich vorkam. Jm
seligen Vollgefühle der Jugend wandelten wir
durch die Strassen und suchten um 11 Uhr
Fräulein Laura auf, die bei ihrer Tante, Frau
von Voigt, zum Besuche wohnte. Der Empfang
war ein recht herzlicher. Alle Berliner Bekann-
ten wurden durchgesprochen, und unser ver-
fehlter Besuch bei Goethe hinlänglich beklagt.

Wenn ich nur wenigstens wüsste, sagte
ich, welchem alten Herrn wir die Ehre an-
gethan, ihn für Goethe zu halten. Er sass
links im ersten Range und hatte in der That
etwas recht würdevolles und imponirendes.

Unsere freundliche Wirthin liess sich die
Erscheinung nach allen Einzelnheiten beschrei-
ben, und meinte dann, das könne wohl nie-
mand anderes gewesen sein, als der Graf Mar-
schall, der als grosser Theaterfreund bekannt,
und immer in derselben Loge zu finden sei.
Uebrigens schien ihr der Aufenthalt nicht recht
zu behagen, und sie nannte einmal im Laufe
des Gesprächs Weimar "ein Nest."

sonne so warm und freundlich in unsere nie-
drigen Fenster, dass uns Weimar wiederum
ganz angenehm und gemüthlich vorkam. Jm
seligen Vollgefühle der Jugend wandelten wir
durch die Strassen und suchten um 11 Uhr
Fräulein Laura auf, die bei ihrer Tante, Frau
von Voigt, zum Besuche wohnte. Der Empfang
war ein recht herzlicher. Alle Berliner Bekann-
ten wurden durchgesprochen, und unser ver-
fehlter Besuch bei Goethe hinlänglich beklagt.

Wenn ich nur wenigstens wüsste, sagte
ich, welchem alten Herrn wir die Ehre an-
gethan, ihn für Goethe zu halten. Er sass
links im ersten Range und hatte in der That
etwas recht würdevolles und imponirendes.

Unsere freundliche Wirthin liess sich die
Erscheinung nach allen Einzelnheiten beschrei-
ben, und meinte dann, das könne wohl nie-
mand anderes gewesen sein, als der Graf Mar-
schall, der als grosser Theaterfreund bekannt,
und immer in derselben Loge zu finden sei.
Uebrigens schien ihr der Aufenthalt nicht recht
zu behagen, und sie nannte einmal im Laufe
des Gesprächs Weimar „ein Nest.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0031" n="26"/>
        <p xml:id="ID_118" prev="#ID_117">     sonne so warm und freundlich in unsere nie-<lb/>
drigen Fenster, dass uns Weimar wiederum<lb/>
ganz angenehm und gemüthlich vorkam. Jm<lb/>
seligen Vollgefühle der Jugend wandelten wir<lb/>
durch die Strassen und suchten um 11 Uhr<lb/>
Fräulein Laura auf, die bei ihrer Tante, Frau<lb/>
von Voigt, zum Besuche wohnte. Der Empfang<lb/>
war ein recht herzlicher. Alle Berliner Bekann-<lb/>
ten wurden durchgesprochen, und unser ver-<lb/>
fehlter Besuch bei Goethe hinlänglich beklagt.     </p><lb/>
        <p xml:id="ID_119">     Wenn ich nur wenigstens wüsste, sagte<lb/>
ich, welchem alten Herrn wir die Ehre an-<lb/>
gethan, ihn für Goethe zu halten. Er sass<lb/>
links im ersten Range und hatte in der That<lb/>
etwas recht würdevolles und imponirendes.     </p><lb/>
        <p xml:id="ID_120">     Unsere freundliche Wirthin liess sich die<lb/>
Erscheinung nach allen Einzelnheiten beschrei-<lb/>
ben, und meinte dann, das könne wohl nie-<lb/>
mand anderes gewesen sein, als der Graf Mar-<lb/>
schall, der als grosser Theaterfreund bekannt,<lb/>
und immer in derselben Loge zu finden sei.<lb/>
Uebrigens schien ihr der Aufenthalt nicht recht<lb/>
zu behagen, und sie nannte einmal im Laufe<lb/>
des Gesprächs Weimar &#x201E;ein Nest.&#x201C; </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0031] sonne so warm und freundlich in unsere nie- drigen Fenster, dass uns Weimar wiederum ganz angenehm und gemüthlich vorkam. Jm seligen Vollgefühle der Jugend wandelten wir durch die Strassen und suchten um 11 Uhr Fräulein Laura auf, die bei ihrer Tante, Frau von Voigt, zum Besuche wohnte. Der Empfang war ein recht herzlicher. Alle Berliner Bekann- ten wurden durchgesprochen, und unser ver- fehlter Besuch bei Goethe hinlänglich beklagt. Wenn ich nur wenigstens wüsste, sagte ich, welchem alten Herrn wir die Ehre an- gethan, ihn für Goethe zu halten. Er sass links im ersten Range und hatte in der That etwas recht würdevolles und imponirendes. Unsere freundliche Wirthin liess sich die Erscheinung nach allen Einzelnheiten beschrei- ben, und meinte dann, das könne wohl nie- mand anderes gewesen sein, als der Graf Mar- schall, der als grosser Theaterfreund bekannt, und immer in derselben Loge zu finden sei. Uebrigens schien ihr der Aufenthalt nicht recht zu behagen, und sie nannte einmal im Laufe des Gesprächs Weimar „ein Nest.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-08-05T13:43:06Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/31
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Ein verfehlter und ein gelungener Besuch bei Goethe. 1819 und 1827. Handschrift für Freunde. [Berlin], [1862], S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_goethe_1819/31>, abgerufen am 09.11.2024.