Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Sobald ich etwas herangewachsen war, hielt mein Vater mit großer Sorgfalt darauf, daß ich dem Pathen Göckingk, der als Wittwer in Berlin lebte, alljährlich zu seinem Geburtstage Glück wünschte. Diese Besuche hatten anfangs für meine angeborne Blödigkeit etwas beängstigendes. Oft entschloß sich mein Vater, nach seiner unbeschreiblichen Gutherzigkeit, mit mir zu gehn, um seinen Glückwunsch mit dem meinigen zu verbinden. Als ich aber erfuhr, daß mein Pathe ein berühmter Dichter sei, so wuchs mit meiner Verehrung auch mein Vertrauen, und ich ging gern zu ihm. Die bei ihm verlebten Stunden gewähren mir noch jetzt die angenehmste Erinnerung. Seine Gedichte freilich, die ich bald in des Grosvaters Bibliothek aufstöberte, wollten mir auf Göthe und Schiller nicht recht schmecken. Die tändelnden Liebeslieder und die Epigramme erfreuten wohl durch einen fließenden Wohllaut, erhoben sich aber nicht über das Gewöhnliche. In den Episteln herrschte, ungefähr wie in den horazischen, der gesunde Menschenverstand, die Verachtung des Reichthums, die Zufriedenheit mit einem kleinen Besitze, das Glück eines unbefleckten Bewußtseins. Diese Gedichte, welche jetzt kaum noch gelesen werden, fanden bei den Zeitgenossen vielfachen Beifall als der Ausdruck eines ehrenwerthen vorurteilsfreien Karakters. Göckingks Aeußeres steht mir sehr lebhaft vor Augen. Sein Gesicht war nichts weniger als schön; die Nase zu schwer und der Mund eingefallen, aber die Augen blitzten ein jugendliches Feuer, und die schönsten silberhellen Locken umflossen reichlich die wohlgebildete Stirn. Die Finger der rechten Hand waren von der Gicht krumm gezogen, und ein Sturz aus dem Wagen hatte das linke Sobald ich etwas herangewachsen war, hielt mein Vater mit großer Sorgfalt darauf, daß ich dem Pathen Göckingk, der als Wittwer in Berlin lebte, alljährlich zu seinem Geburtstage Glück wünschte. Diese Besuche hatten anfangs für meine angeborne Blödigkeit etwas beängstigendes. Oft entschloß sich mein Vater, nach seiner unbeschreiblichen Gutherzigkeit, mit mir zu gehn, um seinen Glückwunsch mit dem meinigen zu verbinden. Als ich aber erfuhr, daß mein Pathe ein berühmter Dichter sei, so wuchs mit meiner Verehrung auch mein Vertrauen, und ich ging gern zu ihm. Die bei ihm verlebten Stunden gewähren mir noch jetzt die angenehmste Erinnerung. Seine Gedichte freilich, die ich bald in des Grosvaters Bibliothek aufstöberte, wollten mir auf Göthe und Schiller nicht recht schmecken. Die tändelnden Liebeslieder und die Epigramme erfreuten wohl durch einen fließenden Wohllaut, erhoben sich aber nicht über das Gewöhnliche. In den Episteln herrschte, ungefähr wie in den horazischen, der gesunde Menschenverstand, die Verachtung des Reichthums, die Zufriedenheit mit einem kleinen Besitze, das Glück eines unbefleckten Bewußtseins. Diese Gedichte, welche jetzt kaum noch gelesen werden, fanden bei den Zeitgenossen vielfachen Beifall als der Ausdruck eines ehrenwerthen vorurteilsfreien Karakters. Göckingks Aeußeres steht mir sehr lebhaft vor Augen. Sein Gesicht war nichts weniger als schön; die Nase zu schwer und der Mund eingefallen, aber die Augen blitzten ein jugendliches Feuer, und die schönsten silberhellen Locken umflossen reichlich die wohlgebildete Stirn. Die Finger der rechten Hand waren von der Gicht krumm gezogen, und ein Sturz aus dem Wagen hatte das linke <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0218" n="206"/> </p><lb/> <p>Sobald ich etwas herangewachsen war, hielt mein Vater mit großer Sorgfalt darauf, daß ich dem Pathen Göckingk, der als Wittwer in Berlin lebte, alljährlich zu seinem Geburtstage Glück wünschte. Diese Besuche hatten anfangs für meine angeborne Blödigkeit etwas beängstigendes. Oft entschloß sich mein Vater, nach seiner unbeschreiblichen Gutherzigkeit, mit mir zu gehn, um seinen Glückwunsch mit dem meinigen zu verbinden. Als ich aber erfuhr, daß mein Pathe ein berühmter Dichter sei, so wuchs mit meiner Verehrung auch mein Vertrauen, und ich ging gern zu ihm. Die bei ihm verlebten Stunden gewähren mir noch jetzt die angenehmste Erinnerung. </p><lb/> <p>Seine Gedichte freilich, die ich bald in des Grosvaters Bibliothek aufstöberte, wollten mir auf Göthe und Schiller nicht recht schmecken. Die tändelnden Liebeslieder und die Epigramme erfreuten wohl durch einen fließenden Wohllaut, erhoben sich aber nicht über das Gewöhnliche. In den Episteln herrschte, ungefähr wie in den horazischen, der gesunde Menschenverstand, die Verachtung des Reichthums, die Zufriedenheit mit einem kleinen Besitze, das Glück eines unbefleckten Bewußtseins. Diese Gedichte, welche jetzt kaum noch gelesen werden, fanden bei den Zeitgenossen vielfachen Beifall als der Ausdruck eines ehrenwerthen vorurteilsfreien Karakters. </p><lb/> <p>Göckingks Aeußeres steht mir sehr lebhaft vor Augen. Sein Gesicht war nichts weniger als schön; die Nase zu schwer und der Mund eingefallen, aber die Augen blitzten ein jugendliches Feuer, und die schönsten silberhellen Locken umflossen reichlich die wohlgebildete Stirn. Die Finger der rechten Hand waren von der Gicht krumm gezogen, und ein Sturz aus dem Wagen hatte das linke </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [206/0218]
Sobald ich etwas herangewachsen war, hielt mein Vater mit großer Sorgfalt darauf, daß ich dem Pathen Göckingk, der als Wittwer in Berlin lebte, alljährlich zu seinem Geburtstage Glück wünschte. Diese Besuche hatten anfangs für meine angeborne Blödigkeit etwas beängstigendes. Oft entschloß sich mein Vater, nach seiner unbeschreiblichen Gutherzigkeit, mit mir zu gehn, um seinen Glückwunsch mit dem meinigen zu verbinden. Als ich aber erfuhr, daß mein Pathe ein berühmter Dichter sei, so wuchs mit meiner Verehrung auch mein Vertrauen, und ich ging gern zu ihm. Die bei ihm verlebten Stunden gewähren mir noch jetzt die angenehmste Erinnerung.
Seine Gedichte freilich, die ich bald in des Grosvaters Bibliothek aufstöberte, wollten mir auf Göthe und Schiller nicht recht schmecken. Die tändelnden Liebeslieder und die Epigramme erfreuten wohl durch einen fließenden Wohllaut, erhoben sich aber nicht über das Gewöhnliche. In den Episteln herrschte, ungefähr wie in den horazischen, der gesunde Menschenverstand, die Verachtung des Reichthums, die Zufriedenheit mit einem kleinen Besitze, das Glück eines unbefleckten Bewußtseins. Diese Gedichte, welche jetzt kaum noch gelesen werden, fanden bei den Zeitgenossen vielfachen Beifall als der Ausdruck eines ehrenwerthen vorurteilsfreien Karakters.
Göckingks Aeußeres steht mir sehr lebhaft vor Augen. Sein Gesicht war nichts weniger als schön; die Nase zu schwer und der Mund eingefallen, aber die Augen blitzten ein jugendliches Feuer, und die schönsten silberhellen Locken umflossen reichlich die wohlgebildete Stirn. Die Finger der rechten Hand waren von der Gicht krumm gezogen, und ein Sturz aus dem Wagen hatte das linke
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |