Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].
Das Verhältniß zu ihrem Vater wurde in den letzten Jahren getrübt. Der Schriftsteller Rochlitz in Leipzig hatte ihr eine aufrichtige Neigung zugewendet, die von ihr auf das wärmste erwiedert ward. Er bewarb sich bei dem Vater um ihre Hand, gab aber dabei mit allzugroßem Selbstgefühle zu verstehn, daß er hoffe durch seine belletristischen Arbeiten der Buchhandlung einen neuen, höheren Aufschwung zu geben. Das verdroß den alten Herrn ganz gewaltig, und er wollte nichts von einer Verbindung hören, in der doch seine Tochter ihr Lebensglück zu finden dachte. Sie verzehrte sich in langsamem Grame und starb drei Jahre vor ihrem Vater, am 2. Juli 1808. Wir wohnten damals in dem Gartenhause in der Lehmgasse, und der Sarg stand in dem großen hellen Gartensaale. Es war in der Rosenzeit; mein Vater ging mit uns durch die blühenden Hecken und füllte mehrere Körbe mit Rosen. Wir trugen sie in den Saal und die bleiche Entschlafene, die wir in der letzten Zeit beinahe gar nicht mehr gesehn, ward ganz von den Kindern des Frühlings eingefaßt. Ein so wohlthuender Anblick vergißt sich nie wieder.
Das Verhältniß zu ihrem Vater wurde in den letzten Jahren getrübt. Der Schriftsteller Rochlitz in Leipzig hatte ihr eine aufrichtige Neigung zugewendet, die von ihr auf das wärmste erwiedert ward. Er bewarb sich bei dem Vater um ihre Hand, gab aber dabei mit allzugroßem Selbstgefühle zu verstehn, daß er hoffe durch seine belletristischen Arbeiten der Buchhandlung einen neuen, höheren Aufschwung zu geben. Das verdroß den alten Herrn ganz gewaltig, und er wollte nichts von einer Verbindung hören, in der doch seine Tochter ihr Lebensglück zu finden dachte. Sie verzehrte sich in langsamem Grame und starb drei Jahre vor ihrem Vater, am 2. Juli 1808. Wir wohnten damals in dem Gartenhause in der Lehmgasse, und der Sarg stand in dem großen hellen Gartensaale. Es war in der Rosenzeit; mein Vater ging mit uns durch die blühenden Hecken und füllte mehrere Körbe mit Rosen. Wir trugen sie in den Saal und die bleiche Entschlafene, die wir in der letzten Zeit beinahe gar nicht mehr gesehn, ward ganz von den Kindern des Frühlings eingefaßt. Ein so wohlthuender Anblick vergißt sich nie wieder. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="11"/><lb/> gebracht wurde. Ja, die Drohung der Wärterin, „Tante Lottchen wird gleich klopfen“, genügte zuweilen schon, um uns zu beschwichtigen. Niemals aber erinnre ich mich, daß sie uns, wenn wir zu ihr hinaufgeführt wurden, noch nachträglich Vorwürfe gemacht hätte: denn sie wird wohl gewußt haben, wie vorübergehend die Kinderunarten sind, und wie schädlich es ist, solchen Kleinigkeiten durch allzulanges Nachstrafen eine größere Wichtigkeit zu geben als sie verdienen. </p><lb/> <p>Das Verhältniß zu ihrem Vater wurde in den letzten Jahren getrübt. Der Schriftsteller Rochlitz in Leipzig hatte ihr eine aufrichtige Neigung zugewendet, die von ihr auf das wärmste erwiedert ward. Er bewarb sich bei dem Vater um ihre Hand, gab aber dabei mit allzugroßem Selbstgefühle zu verstehn, daß er hoffe durch seine belletristischen Arbeiten der Buchhandlung einen neuen, höheren Aufschwung zu geben. Das verdroß den alten Herrn ganz gewaltig, und er wollte nichts von einer Verbindung hören, in der doch seine Tochter ihr Lebensglück zu finden dachte. Sie verzehrte sich in langsamem Grame und starb drei Jahre vor ihrem Vater, am 2. Juli 1808. </p><lb/> <p>Wir wohnten damals in dem Gartenhause in der Lehmgasse, und der Sarg stand in dem großen hellen Gartensaale. Es war in der Rosenzeit; mein Vater ging mit uns durch die blühenden Hecken und füllte mehrere Körbe mit Rosen. Wir trugen sie in den Saal und die bleiche Entschlafene, die wir in der letzten Zeit beinahe gar nicht mehr gesehn, ward ganz von den Kindern des Frühlings eingefaßt. Ein so wohlthuender Anblick vergißt sich nie wieder.<lb/></p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [11/0023]
gebracht wurde. Ja, die Drohung der Wärterin, „Tante Lottchen wird gleich klopfen“, genügte zuweilen schon, um uns zu beschwichtigen. Niemals aber erinnre ich mich, daß sie uns, wenn wir zu ihr hinaufgeführt wurden, noch nachträglich Vorwürfe gemacht hätte: denn sie wird wohl gewußt haben, wie vorübergehend die Kinderunarten sind, und wie schädlich es ist, solchen Kleinigkeiten durch allzulanges Nachstrafen eine größere Wichtigkeit zu geben als sie verdienen.
Das Verhältniß zu ihrem Vater wurde in den letzten Jahren getrübt. Der Schriftsteller Rochlitz in Leipzig hatte ihr eine aufrichtige Neigung zugewendet, die von ihr auf das wärmste erwiedert ward. Er bewarb sich bei dem Vater um ihre Hand, gab aber dabei mit allzugroßem Selbstgefühle zu verstehn, daß er hoffe durch seine belletristischen Arbeiten der Buchhandlung einen neuen, höheren Aufschwung zu geben. Das verdroß den alten Herrn ganz gewaltig, und er wollte nichts von einer Verbindung hören, in der doch seine Tochter ihr Lebensglück zu finden dachte. Sie verzehrte sich in langsamem Grame und starb drei Jahre vor ihrem Vater, am 2. Juli 1808.
Wir wohnten damals in dem Gartenhause in der Lehmgasse, und der Sarg stand in dem großen hellen Gartensaale. Es war in der Rosenzeit; mein Vater ging mit uns durch die blühenden Hecken und füllte mehrere Körbe mit Rosen. Wir trugen sie in den Saal und die bleiche Entschlafene, die wir in der letzten Zeit beinahe gar nicht mehr gesehn, ward ganz von den Kindern des Frühlings eingefaßt. Ein so wohlthuender Anblick vergißt sich nie wieder.
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