Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

ward nun das Linnesche System in der Ursprache durchgenommen. Sie schrieb mir mit ihrer herrlichen, karaktervollen Hand die 24 Linneschen Klassen von Monandria bis Cryptogamia auf einen großen Bogen, der mir viele Jahre als Augenweide und Musterblatt diente, bis er sich mit so manchen andern Papieren zuletzt verloren hat. Jene 24 Klassen wurden indessen bald auf 23 reducirt, weil man bereits anfing, die 13te Isocandria zu überspringen, und von Dodecandria gleich zu Polyandria überging.

Die wahre Lust fing aber erst an, als wir kleine botanische Excursionen machten, theils allein, theils in Gesellschaft eines jungen Bouche aus der Nachbarschaft der Blumenstraße, der neben seiner Handelsgärtnerei tüchtig Botanik trieb, und in der Umgegend Berlins sehr gut Bescheid wußte. Das Erscheinen der neuen Gattungen und Arten im Laufe des Sommers gewährte einen reinen Genuß, das Bestimmen der noch unbekannten erforderte Aufmerksamkeit. Das Einlegen und Pressen in einer alten Nicolaischen Serviettenpresse, das Umlegen in trocknes Papier, das richtige Aufschreiben der Namen auf kleine Zettel, zuletzt das Einordnen in das System und das Aufbewahren in großen Mappen, - dies alles verrichtete ich mit der fröhlichsten Aemsigkeit: denn schon damals lag unausgesprochen in meiner Seele der Gedanke, daß die Arbeit das Glück des Lebens sei.

Unsere Excursionen vom großen Garten aus gingen meist östlich und südlich vom Frankfurter bis zum Hallischen Thore. Diese Gegend kam mir damals eben so trostlos und von Gott verlassen vor, wie sie mir noch jetzt erscheint, und wenn ich an manche Stellen jener botani-

ward nun das Linnésche System in der Ursprache durchgenommen. Sie schrieb mir mit ihrer herrlichen, karaktervollen Hand die 24 Linnéschen Klassen von Monandria bis Cryptogamia auf einen großen Bogen, der mir viele Jahre als Augenweide und Musterblatt diente, bis er sich mit so manchen andern Papieren zuletzt verloren hat. Jene 24 Klassen wurden indessen bald auf 23 reducirt, weil man bereits anfing, die 13te Isocandria zu überspringen, und von Dodecandria gleich zu Polyandria überging.

Die wahre Lust fing aber erst an, als wir kleine botanische Excursionen machten, theils allein, theils in Gesellschaft eines jungen Bouché aus der Nachbarschaft der Blumenstraße, der neben seiner Handelsgärtnerei tüchtig Botanik trieb, und in der Umgegend Berlins sehr gut Bescheid wußte. Das Erscheinen der neuen Gattungen und Arten im Laufe des Sommers gewährte einen reinen Genuß, das Bestimmen der noch unbekannten erforderte Aufmerksamkeit. Das Einlegen und Pressen in einer alten Nicolaischen Serviettenpresse, das Umlegen in trocknes Papier, das richtige Aufschreiben der Namen auf kleine Zettel, zuletzt das Einordnen in das System und das Aufbewahren in großen Mappen, – dies alles verrichtete ich mit der fröhlichsten Aemsigkeit: denn schon damals lag unausgesprochen in meiner Seele der Gedanke, daß die Arbeit das Glück des Lebens sei.

Unsere Excursionen vom großen Garten aus gingen meist östlich und südlich vom Frankfurter bis zum Hallischen Thore. Diese Gegend kam mir damals eben so trostlos und von Gott verlassen vor, wie sie mir noch jetzt erscheint, und wenn ich an manche Stellen jener botani-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0269" n="257"/>
ward nun das Linnésche System in der Ursprache durchgenommen. Sie schrieb mir mit ihrer herrlichen, karaktervollen Hand die 24 Linnéschen Klassen von Monandria bis Cryptogamia auf einen großen Bogen, der mir viele Jahre als Augenweide und Musterblatt diente, bis er sich mit so manchen andern Papieren zuletzt verloren hat. Jene 24 Klassen wurden indessen bald auf 23 reducirt, weil man bereits anfing, die 13te Isocandria zu überspringen, und von Dodecandria gleich zu Polyandria überging. </p><lb/>
          <p>Die wahre Lust fing aber erst an, als wir kleine botanische Excursionen machten, theils allein, theils in Gesellschaft eines jungen Bouché aus der Nachbarschaft der Blumenstraße, der neben seiner Handelsgärtnerei tüchtig Botanik trieb, und in der Umgegend Berlins sehr gut Bescheid wußte. Das Erscheinen der neuen Gattungen und Arten im Laufe des Sommers gewährte einen reinen Genuß, das Bestimmen der noch unbekannten erforderte Aufmerksamkeit. Das Einlegen und Pressen in einer alten Nicolaischen Serviettenpresse, das Umlegen in trocknes Papier, das richtige Aufschreiben der Namen auf kleine Zettel, zuletzt das Einordnen in das System und das Aufbewahren in großen Mappen, &#x2013; dies alles verrichtete ich mit der fröhlichsten Aemsigkeit: denn schon damals lag unausgesprochen in meiner Seele der Gedanke, daß die Arbeit das Glück des Lebens sei. </p><lb/>
          <p>Unsere Excursionen vom großen Garten aus gingen meist östlich und südlich vom Frankfurter bis zum Hallischen Thore. Diese Gegend kam mir damals eben so trostlos und von Gott verlassen vor, wie sie mir noch jetzt erscheint, und wenn ich an manche Stellen jener botani-
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0269] ward nun das Linnésche System in der Ursprache durchgenommen. Sie schrieb mir mit ihrer herrlichen, karaktervollen Hand die 24 Linnéschen Klassen von Monandria bis Cryptogamia auf einen großen Bogen, der mir viele Jahre als Augenweide und Musterblatt diente, bis er sich mit so manchen andern Papieren zuletzt verloren hat. Jene 24 Klassen wurden indessen bald auf 23 reducirt, weil man bereits anfing, die 13te Isocandria zu überspringen, und von Dodecandria gleich zu Polyandria überging. Die wahre Lust fing aber erst an, als wir kleine botanische Excursionen machten, theils allein, theils in Gesellschaft eines jungen Bouché aus der Nachbarschaft der Blumenstraße, der neben seiner Handelsgärtnerei tüchtig Botanik trieb, und in der Umgegend Berlins sehr gut Bescheid wußte. Das Erscheinen der neuen Gattungen und Arten im Laufe des Sommers gewährte einen reinen Genuß, das Bestimmen der noch unbekannten erforderte Aufmerksamkeit. Das Einlegen und Pressen in einer alten Nicolaischen Serviettenpresse, das Umlegen in trocknes Papier, das richtige Aufschreiben der Namen auf kleine Zettel, zuletzt das Einordnen in das System und das Aufbewahren in großen Mappen, – dies alles verrichtete ich mit der fröhlichsten Aemsigkeit: denn schon damals lag unausgesprochen in meiner Seele der Gedanke, daß die Arbeit das Glück des Lebens sei. Unsere Excursionen vom großen Garten aus gingen meist östlich und südlich vom Frankfurter bis zum Hallischen Thore. Diese Gegend kam mir damals eben so trostlos und von Gott verlassen vor, wie sie mir noch jetzt erscheint, und wenn ich an manche Stellen jener botani-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/269
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/269>, abgerufen am 24.11.2024.