Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Ehe der russische Feldzug begann, versammelte Napoleon noch einmal seine gekrönten Vasallen in Dresden (Mai 1812), und wenn irgend ein Moment der äußeren Machtentfaltung als der höchste in seiner glänzenden meteorischen Laufbahn bezeichnet werden kann, so ist es dieser. Er schritt hier über die Häupter der Kaiser und Könige hinweg. Der Kaiser Franz von Oestreich war erschienen, um seine Tochter Marie Luise wieder zu sehn, und um seinen Enkel, den König von Rom kennen zu lernen. Von der östreichischen Kaiserin Luise Beatrix, einer Prinzessin von Modena, wußte man, daß sie den Emporkömmling Napoleon auf's tiefste haßte; trotzdem mußte sie sich bequemen, im Theater neben ihm zu sitzen. Der König von Preußen kam in Begleitung seines Sohnes, des Kronprinzen und des Staatskanzlers von Hardenberg. Mit ingrimmiger Wuth erfüllte uns das Gerücht, der Staatskanzler sei nur deshalb mit nach Dresden gegangen, um die Verlobung unseres Kronprinzen, der damals 16 Jahre zählte, mit einer französischen Prinzessin einzuleiten. Nachdem der Versuch, den preußischen Staat ganz aufzulösen, durch Hardenbergs kühnes Vorgehen misglückt war, so wollte Napoleon nun Preußen, so wie früher Oestreich, durch die sanfteren Familienbande an sich fesseln.

Ganz im geheimen erzählte man sich, die Dresdner hätten den französischen Kaiser sehr schweigsam empfangen, den preußischen König aber mit lautem Jubel, und am Abende mit einer freiwilligen Illumination begrüßt. Der König von Sachsen, den Napoleon spöttisch "mon cher Papa" nannte, wußte in seiner geistigen Nullität nicht, wie er sich bei diesem sonderbaren Vorfalle benehmen sollte, und die Sache blieb eben auf sich beruhn. In eine

Ehe der russische Feldzug begann, versammelte Napoléon noch einmal seine gekrönten Vasallen in Dresden (Mai 1812), und wenn irgend ein Moment der äußeren Machtentfaltung als der höchste in seiner glänzenden meteorischen Laufbahn bezeichnet werden kann, so ist es dieser. Er schritt hier über die Häupter der Kaiser und Könige hinweg. Der Kaiser Franz von Oestreich war erschienen, um seine Tochter Marie Luise wieder zu sehn, und um seinen Enkel, den König von Rom kennen zu lernen. Von der östreichischen Kaiserin Luise Beatrix, einer Prinzessin von Modena, wußte man, daß sie den Emporkömmling Napoléon auf’s tiefste haßte; trotzdem mußte sie sich bequemen, im Theater neben ihm zu sitzen. Der König von Preußen kam in Begleitung seines Sohnes, des Kronprinzen und des Staatskanzlers von Hardenberg. Mit ingrimmiger Wuth erfüllte uns das Gerücht, der Staatskanzler sei nur deshalb mit nach Dresden gegangen, um die Verlobung unseres Kronprinzen, der damals 16 Jahre zählte, mit einer französischen Prinzessin einzuleiten. Nachdem der Versuch, den preußischen Staat ganz aufzulösen, durch Hardenbergs kühnes Vorgehen misglückt war, so wollte Napoléon nun Preußen, so wie früher Oestreich, durch die sanfteren Familienbande an sich fesseln.

Ganz im geheimen erzählte man sich, die Dresdner hätten den französischen Kaiser sehr schweigsam empfangen, den preußischen König aber mit lautem Jubel, und am Abende mit einer freiwilligen Illumination begrüßt. Der König von Sachsen, den Napoléon spöttisch „mon cher Papa“ nannte, wußte in seiner geistigen Nullität nicht, wie er sich bei diesem sonderbaren Vorfalle benehmen sollte, und die Sache blieb eben auf sich beruhn. In eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p>
            <pb facs="#f0323" n="311"/>
          </p><lb/>
          <p>Ehe der russische Feldzug begann, versammelte Napoléon noch einmal seine gekrönten Vasallen in Dresden (Mai 1812), und wenn irgend ein Moment der äußeren Machtentfaltung als der höchste in seiner glänzenden meteorischen Laufbahn bezeichnet werden kann, so ist es dieser. Er schritt hier über die Häupter der Kaiser und Könige hinweg. Der Kaiser Franz von Oestreich war erschienen, um seine Tochter Marie Luise wieder zu sehn, und um seinen Enkel, den König von Rom kennen zu lernen. Von der östreichischen Kaiserin Luise Beatrix, einer Prinzessin von Modena, wußte man, daß sie den Emporkömmling Napoléon auf&#x2019;s tiefste haßte; trotzdem mußte sie sich bequemen, im Theater neben ihm zu sitzen. Der König von Preußen kam in Begleitung seines Sohnes, des Kronprinzen und des Staatskanzlers von Hardenberg. Mit ingrimmiger Wuth erfüllte uns das Gerücht, der Staatskanzler sei nur deshalb mit nach Dresden gegangen, um die Verlobung unseres Kronprinzen, der damals 16 Jahre zählte, mit einer französischen Prinzessin einzuleiten. Nachdem der Versuch, den preußischen Staat ganz aufzulösen, durch Hardenbergs kühnes Vorgehen misglückt war, so wollte Napoléon nun Preußen, so wie früher Oestreich, durch die sanfteren Familienbande an sich fesseln. </p><lb/>
          <p>Ganz im geheimen erzählte man sich, die Dresdner hätten den französischen Kaiser sehr schweigsam empfangen, den preußischen König aber mit lautem Jubel, und am Abende mit einer freiwilligen Illumination begrüßt. Der König von Sachsen, den Napoléon spöttisch &#x201E;mon cher Papa&#x201C; nannte, wußte in seiner geistigen Nullität nicht, wie er sich bei diesem sonderbaren Vorfalle benehmen sollte, und die Sache blieb eben auf sich beruhn. In eine
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0323] Ehe der russische Feldzug begann, versammelte Napoléon noch einmal seine gekrönten Vasallen in Dresden (Mai 1812), und wenn irgend ein Moment der äußeren Machtentfaltung als der höchste in seiner glänzenden meteorischen Laufbahn bezeichnet werden kann, so ist es dieser. Er schritt hier über die Häupter der Kaiser und Könige hinweg. Der Kaiser Franz von Oestreich war erschienen, um seine Tochter Marie Luise wieder zu sehn, und um seinen Enkel, den König von Rom kennen zu lernen. Von der östreichischen Kaiserin Luise Beatrix, einer Prinzessin von Modena, wußte man, daß sie den Emporkömmling Napoléon auf’s tiefste haßte; trotzdem mußte sie sich bequemen, im Theater neben ihm zu sitzen. Der König von Preußen kam in Begleitung seines Sohnes, des Kronprinzen und des Staatskanzlers von Hardenberg. Mit ingrimmiger Wuth erfüllte uns das Gerücht, der Staatskanzler sei nur deshalb mit nach Dresden gegangen, um die Verlobung unseres Kronprinzen, der damals 16 Jahre zählte, mit einer französischen Prinzessin einzuleiten. Nachdem der Versuch, den preußischen Staat ganz aufzulösen, durch Hardenbergs kühnes Vorgehen misglückt war, so wollte Napoléon nun Preußen, so wie früher Oestreich, durch die sanfteren Familienbande an sich fesseln. Ganz im geheimen erzählte man sich, die Dresdner hätten den französischen Kaiser sehr schweigsam empfangen, den preußischen König aber mit lautem Jubel, und am Abende mit einer freiwilligen Illumination begrüßt. Der König von Sachsen, den Napoléon spöttisch „mon cher Papa“ nannte, wußte in seiner geistigen Nullität nicht, wie er sich bei diesem sonderbaren Vorfalle benehmen sollte, und die Sache blieb eben auf sich beruhn. In eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/323
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/323>, abgerufen am 16.07.2024.