Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

wöhnlichen Eistemperatur. Einige Bemerkungen, die Buchardin hierüber machte, habe ich nicht vergessen. Die Russen, sagte er, hätten selbst sehr viel Leute verloren, weil man die Regimenter gezwungen, trotz der tödtenden Kälte immerfort in Reihe und Glied zu marschiren, um dem Feinde sogleich die Spitze bieten zu können, obgleich meilenweit kein Franzose zu sehn war. In andern Zeiten sei es gebräuchlich, daß wenn man nicht im Angesichte des Feindes marschire, die Leute es sich bequem machten, bei einem lässigen Hinschlendern leichten Sinnes blieben, und mehr Strapazen ertragen könnten. Als Napoleon den Versuch gemacht habe, von Moskau aus gegen Süden vorzudringen, um durch ein besser bebautes reiches Land seinen Rückweg nach Volhynien zu nehmen, so sei es allerdings in der Ordnung gewesen, ihn durch die Schlacht bei Malo-Jaroslawez auf den alten ausgesogenen Weg über Wilna und Witepsk zurückzudrängen, doch werde man sich auch leicht denken können, mit welchen Schwierigkeiten und Entbehrungen die Russen zu kämpfen gehabt, als sie dem Feinde durch ein dünn bevölkertes, und von den Franzosen doppelt verheertes Land nachrücken mußten. Ihm selbst sei es fast unbegreiflich, woher die großen Kosackenschwärme, die den Feind unablässig verfolgten, auf den unabsehbaren Schneefeldern ihren Unterhalt genommen: denn wenn auch mancher von ihnen zwei oder drei französische goldene Generalsuniformen unter dem Sattel gehabt, so lasse sich doch von einer Generalsuniform nicht satt werden.

Bald zogen die Russen weiter nach Westen, und auf den Obersten Buchardin folgte preußische Einquartirung; ein Major von Gleißenberg vom Bülowschen Corps mit vielen

wöhnlichen Eistemperatur. Einige Bemerkungen, die Buchardin hierüber machte, habe ich nicht vergessen. Die Russen, sagte er, hätten selbst sehr viel Leute verloren, weil man die Regimenter gezwungen, trotz der tödtenden Kälte immerfort in Reihe und Glied zu marschiren, um dem Feinde sogleich die Spitze bieten zu können, obgleich meilenweit kein Franzose zu sehn war. In andern Zeiten sei es gebräuchlich, daß wenn man nicht im Angesichte des Feindes marschire, die Leute es sich bequem machten, bei einem lässigen Hinschlendern leichten Sinnes blieben, und mehr Strapazen ertragen könnten. Als Napoléon den Versuch gemacht habe, von Moskau aus gegen Süden vorzudringen, um durch ein besser bebautes reiches Land seinen Rückweg nach Volhynien zu nehmen, so sei es allerdings in der Ordnung gewesen, ihn durch die Schlacht bei Malo-Jaroslawez auf den alten ausgesogenen Weg über Wilna und Witepsk zurückzudrängen, doch werde man sich auch leicht denken können, mit welchen Schwierigkeiten und Entbehrungen die Russen zu kämpfen gehabt, als sie dem Feinde durch ein dünn bevölkertes, und von den Franzosen doppelt verheertes Land nachrücken mußten. Ihm selbst sei es fast unbegreiflich, woher die großen Kosackenschwärme, die den Feind unablässig verfolgten, auf den unabsehbaren Schneefeldern ihren Unterhalt genommen: denn wenn auch mancher von ihnen zwei oder drei französische goldene Generalsuniformen unter dem Sattel gehabt, so lasse sich doch von einer Generalsuniform nicht satt werden.

Bald zogen die Russen weiter nach Westen, und auf den Obersten Buchardin folgte preußische Einquartirung; ein Major von Gleißenberg vom Bülowschen Corps mit vielen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0355" n="343"/>
wöhnlichen Eistemperatur. Einige Bemerkungen, die Buchardin hierüber machte, habe ich nicht vergessen. Die Russen, sagte er, hätten selbst sehr viel Leute verloren, weil man die Regimenter gezwungen, trotz der tödtenden Kälte immerfort in Reihe und Glied zu marschiren, um dem Feinde sogleich die Spitze bieten zu können, obgleich meilenweit kein Franzose zu sehn war. In andern Zeiten sei es gebräuchlich, daß wenn man nicht im Angesichte des Feindes marschire, die Leute es sich bequem machten, bei einem lässigen Hinschlendern leichten Sinnes blieben, und mehr Strapazen ertragen könnten. Als Napoléon den Versuch gemacht habe, von Moskau aus gegen Süden vorzudringen, um durch ein besser bebautes reiches Land seinen Rückweg nach Volhynien zu nehmen, so sei es allerdings in der Ordnung gewesen, ihn durch die Schlacht bei Malo-Jaroslawez auf den alten ausgesogenen Weg über Wilna und Witepsk zurückzudrängen, doch werde man sich auch leicht denken können, mit welchen Schwierigkeiten und Entbehrungen die Russen zu kämpfen gehabt, als sie dem Feinde durch ein dünn bevölkertes, und von den Franzosen doppelt verheertes Land nachrücken mußten. Ihm selbst sei es fast unbegreiflich, woher die großen Kosackenschwärme, die den Feind unablässig verfolgten, auf den unabsehbaren Schneefeldern ihren Unterhalt genommen: denn wenn auch mancher von ihnen zwei oder drei französische goldene Generalsuniformen unter dem Sattel gehabt, so lasse sich doch von einer Generalsuniform nicht satt werden. </p><lb/>
          <p>Bald zogen die Russen weiter nach Westen, und auf den Obersten Buchardin folgte preußische Einquartirung; ein Major von Gleißenberg vom Bülowschen Corps mit vielen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0355] wöhnlichen Eistemperatur. Einige Bemerkungen, die Buchardin hierüber machte, habe ich nicht vergessen. Die Russen, sagte er, hätten selbst sehr viel Leute verloren, weil man die Regimenter gezwungen, trotz der tödtenden Kälte immerfort in Reihe und Glied zu marschiren, um dem Feinde sogleich die Spitze bieten zu können, obgleich meilenweit kein Franzose zu sehn war. In andern Zeiten sei es gebräuchlich, daß wenn man nicht im Angesichte des Feindes marschire, die Leute es sich bequem machten, bei einem lässigen Hinschlendern leichten Sinnes blieben, und mehr Strapazen ertragen könnten. Als Napoléon den Versuch gemacht habe, von Moskau aus gegen Süden vorzudringen, um durch ein besser bebautes reiches Land seinen Rückweg nach Volhynien zu nehmen, so sei es allerdings in der Ordnung gewesen, ihn durch die Schlacht bei Malo-Jaroslawez auf den alten ausgesogenen Weg über Wilna und Witepsk zurückzudrängen, doch werde man sich auch leicht denken können, mit welchen Schwierigkeiten und Entbehrungen die Russen zu kämpfen gehabt, als sie dem Feinde durch ein dünn bevölkertes, und von den Franzosen doppelt verheertes Land nachrücken mußten. Ihm selbst sei es fast unbegreiflich, woher die großen Kosackenschwärme, die den Feind unablässig verfolgten, auf den unabsehbaren Schneefeldern ihren Unterhalt genommen: denn wenn auch mancher von ihnen zwei oder drei französische goldene Generalsuniformen unter dem Sattel gehabt, so lasse sich doch von einer Generalsuniform nicht satt werden. Bald zogen die Russen weiter nach Westen, und auf den Obersten Buchardin folgte preußische Einquartirung; ein Major von Gleißenberg vom Bülowschen Corps mit vielen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/355
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/355>, abgerufen am 22.11.2024.