Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].der auf die Straße hinabsprang, um ein noch nasses Exemplar heraufzuholen. Wie oft wurde damals in unsrer Familie der Wunsch laut: wenn das der Grosvater Nicolai erlebt hätte! wie würde der sich freuen! Wir vergegenwärtigten uns dann mit Schmerzen, daß er, ein so patriotischer Preuße, gerade im Jahre 1811 habe scheiden müssen, wo die schmähliche Knechtung des Vaterlandes ihren tiefsten Stand erreicht hatte. Zuweilen hörten wir von den Hausleuten und Dienstboten allerlei wundersame Gerüchte, die von der Erregtheit des Volkes bis in seine untersten Schichten Zeugniß gaben. Mit völliger Ueberzeugung wurde uns, fast unter dem Siegel des Geheimnisses mitgetheilt, die edle Königin Luise, die Gemalin Friedrich Wilhelms III., die im Jahre 1810 am gebrochenen Herzen über das Unglück des Landes gestorben sein sollte, sei nicht todt; sie habe sich vor den Verfolgungen des grausamen Napoleon, der ihr den Tod geschworen, weil sie seine Liebe verschmäht, heimlich nach England gerettet, und werde nächstens wieder erscheinen, um an der Seite des Königs den großen Kampf auszukämpfen. Es sei ja ganz offenbar, daß der König, ein so kräftiger Mann, nicht wieder geheirathet habe, weil er seine rechte Frau nächstens erwarte. Auch der tapfre Schill, so hieß es weiter, sei keineswegs in Stralsund umgekommen, auch er verweile in dem freien England, und werde sehr bald an der Seite der Königin Luise mit einer großen englischen Flotte zu unserer Hülfe heranziehn. Als ich eines Abends spät in das Gesindezimmer trat, fand ich unsre Dienstmagd in der Apokalypse lesend. Auf meine Frage, ob ihr die Schrift gefalle? antwortete sie: o ja; sie lese oft darin, und wolle jetzt eben die Stelle der auf die Straße hinabsprang, um ein noch nasses Exemplar heraufzuholen. Wie oft wurde damals in unsrer Familie der Wunsch laut: wenn das der Grosvater Nicolai erlebt hätte! wie würde der sich freuen! Wir vergegenwärtigten uns dann mit Schmerzen, daß er, ein so patriotischer Preuße, gerade im Jahre 1811 habe scheiden müssen, wo die schmähliche Knechtung des Vaterlandes ihren tiefsten Stand erreicht hatte. Zuweilen hörten wir von den Hausleuten und Dienstboten allerlei wundersame Gerüchte, die von der Erregtheit des Volkes bis in seine untersten Schichten Zeugniß gaben. Mit völliger Ueberzeugung wurde uns, fast unter dem Siegel des Geheimnisses mitgetheilt, die edle Königin Luise, die Gemalin Friedrich Wilhelms III., die im Jahre 1810 am gebrochenen Herzen über das Unglück des Landes gestorben sein sollte, sei nicht todt; sie habe sich vor den Verfolgungen des grausamen Napoléon, der ihr den Tod geschworen, weil sie seine Liebe verschmäht, heimlich nach England gerettet, und werde nächstens wieder erscheinen, um an der Seite des Königs den großen Kampf auszukämpfen. Es sei ja ganz offenbar, daß der König, ein so kräftiger Mann, nicht wieder geheirathet habe, weil er seine rechte Frau nächstens erwarte. Auch der tapfre Schill, so hieß es weiter, sei keineswegs in Stralsund umgekommen, auch er verweile in dem freien England, und werde sehr bald an der Seite der Königin Luise mit einer großen englischen Flotte zu unserer Hülfe heranziehn. Als ich eines Abends spät in das Gesindezimmer trat, fand ich unsre Dienstmagd in der Apokalypse lesend. 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Auch der tapfre Schill, so hieß es weiter, sei keineswegs in Stralsund umgekommen, auch er verweile in dem freien England, und werde sehr bald an der Seite der Königin Luise mit einer großen englischen Flotte zu unserer Hülfe heranziehn. </p><lb/> <p>Als ich eines Abends spät in das Gesindezimmer trat, fand ich unsre Dienstmagd in der Apokalypse lesend. Auf meine Frage, ob ihr die Schrift gefalle? antwortete sie: o ja; sie lese oft darin, und wolle jetzt eben die Stelle </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [390/0402]
der auf die Straße hinabsprang, um ein noch nasses Exemplar heraufzuholen. Wie oft wurde damals in unsrer Familie der Wunsch laut: wenn das der Grosvater Nicolai erlebt hätte! wie würde der sich freuen! Wir vergegenwärtigten uns dann mit Schmerzen, daß er, ein so patriotischer Preuße, gerade im Jahre 1811 habe scheiden müssen, wo die schmähliche Knechtung des Vaterlandes ihren tiefsten Stand erreicht hatte.
Zuweilen hörten wir von den Hausleuten und Dienstboten allerlei wundersame Gerüchte, die von der Erregtheit des Volkes bis in seine untersten Schichten Zeugniß gaben. Mit völliger Ueberzeugung wurde uns, fast unter dem Siegel des Geheimnisses mitgetheilt, die edle Königin Luise, die Gemalin Friedrich Wilhelms III., die im Jahre 1810 am gebrochenen Herzen über das Unglück des Landes gestorben sein sollte, sei nicht todt; sie habe sich vor den Verfolgungen des grausamen Napoléon, der ihr den Tod geschworen, weil sie seine Liebe verschmäht, heimlich nach England gerettet, und werde nächstens wieder erscheinen, um an der Seite des Königs den großen Kampf auszukämpfen. Es sei ja ganz offenbar, daß der König, ein so kräftiger Mann, nicht wieder geheirathet habe, weil er seine rechte Frau nächstens erwarte. Auch der tapfre Schill, so hieß es weiter, sei keineswegs in Stralsund umgekommen, auch er verweile in dem freien England, und werde sehr bald an der Seite der Königin Luise mit einer großen englischen Flotte zu unserer Hülfe heranziehn.
Als ich eines Abends spät in das Gesindezimmer trat, fand ich unsre Dienstmagd in der Apokalypse lesend. Auf meine Frage, ob ihr die Schrift gefalle? antwortete sie: o ja; sie lese oft darin, und wolle jetzt eben die Stelle
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