Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Bericht über die Schlacht erschienen sei, wüßte ich nicht anzugeben. Der Grosvater Eichmann kaufte sich eine runde Schnupftabaksdose, worauf ein sauber kolorirter und lakirter Plan der Schlacht zu sehn war. Diesen benutzten wir anfangs in Ermangelung anderer Hülfsmittel, so oft wir zu dem Grosvater hinunterkamen. Da er aber sehr stark schnupfte, und bei seiner Korpulenz eine weiche, fleischige, feuchte Hand besaß, so konnte der dünne Lack nicht lange widerstehn. Es verschwand ein Dorf und ein Armeecorps nach dem andern. Zuletzt wurde der vielbewunderte Deckel so unscheinbar, daß nur noch Leipzig als ein rother Punkt in der Mitte übrig blieb.

Indessen hatten sich doch die verschiedenen Stellungen so ziemlich dem Gedächtnisse eingeprägt, und wir wußten über manches einzelne gute Rechenschaft zu geben. Es stellte sich mit großer Wahrscheinlichkeit heraus, daß Napoleon, als er von Dresden nach Leipzig zog, die Absicht hatte, die östreichische Armee, welche unter dem Fürsten von Schwarzenberg von Süden heranzog, anzugreifen und zu schlagen, ehe die Nordarmee unter dem Kronprinzen von Schweden und Blücher herankäme. Diese beschleunigten jedoch ihren Zug, und standen am 16. Oktober schon auf dem Kampfplatze. Dadurch erlangten die Verbündeten ein bedeutendes numerisches Uebergewicht; man schätzte sie auf 300,000 Mann, denen Napoleon nicht mehr als 180,000 Mann entgegenstellen konnte. Seine Angriffe waren jedoch am 16. Oktober so heftig, daß er die Verbündeten an einigen Punkten zurückdrängte. Am Abend wurde auf seinen Befehl in Leipzig mit allen Glocken geläutet.

Die Waffenruhe des 17. Oktober soll Napoleon in der That zu Unterhandlungen mit den Verbündeten benutzt

Bericht über die Schlacht erschienen sei, wüßte ich nicht anzugeben. Der Grosvater Eichmann kaufte sich eine runde Schnupftabaksdose, worauf ein sauber kolorirter und lakirter Plan der Schlacht zu sehn war. Diesen benutzten wir anfangs in Ermangelung anderer Hülfsmittel, so oft wir zu dem Grosvater hinunterkamen. Da er aber sehr stark schnupfte, und bei seiner Korpulenz eine weiche, fleischige, feuchte Hand besaß, so konnte der dünne Lack nicht lange widerstehn. Es verschwand ein Dorf und ein Armeecorps nach dem andern. Zuletzt wurde der vielbewunderte Deckel so unscheinbar, daß nur noch Leipzig als ein rother Punkt in der Mitte übrig blieb.

Indessen hatten sich doch die verschiedenen Stellungen so ziemlich dem Gedächtnisse eingeprägt, und wir wußten über manches einzelne gute Rechenschaft zu geben. Es stellte sich mit großer Wahrscheinlichkeit heraus, daß Napoléon, als er von Dresden nach Leipzig zog, die Absicht hatte, die östreichische Armee, welche unter dem Fürsten von Schwarzenberg von Süden heranzog, anzugreifen und zu schlagen, ehe die Nordarmee unter dem Kronprinzen von Schweden und Blücher herankäme. Diese beschleunigten jedoch ihren Zug, und standen am 16. Oktober schon auf dem Kampfplatze. Dadurch erlangten die Verbündeten ein bedeutendes numerisches Uebergewicht; man schätzte sie auf 300,000 Mann, denen Napoléon nicht mehr als 180,000 Mann entgegenstellen konnte. Seine Angriffe waren jedoch am 16. Oktober so heftig, daß er die Verbündeten an einigen Punkten zurückdrängte. Am Abend wurde auf seinen Befehl in Leipzig mit allen Glocken geläutet.

Die Waffenruhe des 17. Oktober soll Napoléon in der That zu Unterhandlungen mit den Verbündeten benutzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0417" n="405"/>
Bericht über die Schlacht erschienen sei, wüßte ich nicht anzugeben. Der Grosvater Eichmann kaufte sich eine runde Schnupftabaksdose, worauf ein sauber kolorirter und lakirter Plan der Schlacht zu sehn war. Diesen benutzten wir anfangs in Ermangelung anderer Hülfsmittel, so oft wir zu dem Grosvater hinunterkamen. Da er aber sehr stark schnupfte, und bei seiner Korpulenz eine weiche, fleischige, feuchte Hand besaß, so konnte der dünne Lack nicht lange widerstehn. Es verschwand ein Dorf und ein Armeecorps nach dem andern. Zuletzt wurde der vielbewunderte Deckel so unscheinbar, daß nur noch Leipzig als ein rother Punkt in der Mitte übrig blieb. </p><lb/>
          <p>Indessen hatten sich doch die verschiedenen Stellungen so ziemlich dem Gedächtnisse eingeprägt, und wir wußten über manches einzelne gute Rechenschaft zu geben. Es stellte sich mit großer Wahrscheinlichkeit heraus, daß Napoléon, als er von Dresden nach Leipzig zog, die Absicht hatte, die östreichische Armee, welche unter dem Fürsten von Schwarzenberg von Süden heranzog, anzugreifen und zu schlagen, ehe die Nordarmee unter dem Kronprinzen von Schweden und Blücher herankäme. Diese beschleunigten jedoch ihren Zug, und standen am 16. Oktober schon auf dem Kampfplatze. Dadurch erlangten die Verbündeten ein bedeutendes numerisches Uebergewicht; man schätzte sie auf 300,000 Mann, denen Napoléon nicht mehr als 180,000 Mann entgegenstellen konnte. Seine Angriffe waren jedoch am 16. Oktober so heftig, daß er die Verbündeten an einigen Punkten zurückdrängte. Am Abend wurde auf seinen Befehl in Leipzig mit allen Glocken geläutet. </p><lb/>
          <p>Die Waffenruhe des 17. Oktober soll Napoléon in der That zu Unterhandlungen mit den Verbündeten benutzt
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0417] Bericht über die Schlacht erschienen sei, wüßte ich nicht anzugeben. Der Grosvater Eichmann kaufte sich eine runde Schnupftabaksdose, worauf ein sauber kolorirter und lakirter Plan der Schlacht zu sehn war. Diesen benutzten wir anfangs in Ermangelung anderer Hülfsmittel, so oft wir zu dem Grosvater hinunterkamen. Da er aber sehr stark schnupfte, und bei seiner Korpulenz eine weiche, fleischige, feuchte Hand besaß, so konnte der dünne Lack nicht lange widerstehn. Es verschwand ein Dorf und ein Armeecorps nach dem andern. Zuletzt wurde der vielbewunderte Deckel so unscheinbar, daß nur noch Leipzig als ein rother Punkt in der Mitte übrig blieb. Indessen hatten sich doch die verschiedenen Stellungen so ziemlich dem Gedächtnisse eingeprägt, und wir wußten über manches einzelne gute Rechenschaft zu geben. Es stellte sich mit großer Wahrscheinlichkeit heraus, daß Napoléon, als er von Dresden nach Leipzig zog, die Absicht hatte, die östreichische Armee, welche unter dem Fürsten von Schwarzenberg von Süden heranzog, anzugreifen und zu schlagen, ehe die Nordarmee unter dem Kronprinzen von Schweden und Blücher herankäme. Diese beschleunigten jedoch ihren Zug, und standen am 16. Oktober schon auf dem Kampfplatze. Dadurch erlangten die Verbündeten ein bedeutendes numerisches Uebergewicht; man schätzte sie auf 300,000 Mann, denen Napoléon nicht mehr als 180,000 Mann entgegenstellen konnte. Seine Angriffe waren jedoch am 16. Oktober so heftig, daß er die Verbündeten an einigen Punkten zurückdrängte. Am Abend wurde auf seinen Befehl in Leipzig mit allen Glocken geläutet. Die Waffenruhe des 17. Oktober soll Napoléon in der That zu Unterhandlungen mit den Verbündeten benutzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/417
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/417>, abgerufen am 22.11.2024.