Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

In der Wohnstube wartete Friedrich, der alte Bediente, um den Grosvater nach der Schlafstube zu begleiten. Friedrich trug, so lange ich ihn kannte, einen grünen Rock und graue Unterkleider. Obgleich er stets mürrisch war, und nicht leicht etwas ohne Brummen verrichtete, so hatten die Kinder doch eine große Zuneigung zu ihm: denn er erzählte manchmal von dem "einjährigen Kriege" (1778), den er als Füsilir mitgemacht, von dem grausamen Regenwetter, das alle Wege und Stege verdorben, und von der schlechten Kost in den Quartieren. "Der König" wurde auch von ihm wie ein Wesen höherer Art betrachtet. Einzelne Aeußerungen des Königs während dieses letzten Krieges wurden wie Orakelsprüche in der Armee herumgetragen; es ist mir aber keine einzige davon im Gedächtniß geblieben.

Neben dem alten Friedrich war die alte Luise als Hausmädchen in der Wirthschaft thätig. Schon damals hatte sie nahe an 40 Jahre in der Nicolaischen Familie zugebracht, hatte meine Mutter und deren Geschwister alle aufwachsen und dahinschwinden sehn, und klapperte nach wie vor mit ihrem Schlüsselbunde durch die weiten Räume der Wohnung. Wenn sie meinem Musiklehrer Weiße die Thür geöffnet, so rief sie zu mir in den Garten hinab: junger Herr, kommen Sie herauf, Herr Patzig ist da! So hatte nämlich der Musiklehrer meiner Mutter geheißen. Sonst mochte sich diese alte Eurykleia mit uns Kindern nicht viel abgeben, und deshalb war sie uns im Grunde gleichgültig, obgleich wir uns wohl hüteten, ihre Zanklust aufzuregen. Sie hatte sich nie verheirathen wollen, und fand ihr einziges Vergnügen darin, ihre Schwester, welche mit einem Schneidermeister in kinderloser Ehe und

In der Wohnstube wartete Friedrich, der alte Bediente, um den Grosvater nach der Schlafstube zu begleiten. Friedrich trug, so lange ich ihn kannte, einen grünen Rock und graue Unterkleider. Obgleich er stets mürrisch war, und nicht leicht etwas ohne Brummen verrichtete, so hatten die Kinder doch eine große Zuneigung zu ihm: denn er erzählte manchmal von dem „einjährigen Kriege“ (1778), den er als Füsilir mitgemacht, von dem grausamen Regenwetter, das alle Wege und Stege verdorben, und von der schlechten Kost in den Quartieren. „Der König“ wurde auch von ihm wie ein Wesen höherer Art betrachtet. Einzelne Aeußerungen des Königs während dieses letzten Krieges wurden wie Orakelsprüche in der Armee herumgetragen; es ist mir aber keine einzige davon im Gedächtniß geblieben.

Neben dem alten Friedrich war die alte Luise als Hausmädchen in der Wirthschaft thätig. Schon damals hatte sie nahe an 40 Jahre in der Nicolaischen Familie zugebracht, hatte meine Mutter und deren Geschwister alle aufwachsen und dahinschwinden sehn, und klapperte nach wie vor mit ihrem Schlüsselbunde durch die weiten Räume der Wohnung. Wenn sie meinem Musiklehrer Weiße die Thür geöffnet, so rief sie zu mir in den Garten hinab: junger Herr, kommen Sie herauf, Herr Patzig ist da! So hatte nämlich der Musiklehrer meiner Mutter geheißen. Sonst mochte sich diese alte Eurykleia mit uns Kindern nicht viel abgeben, und deshalb war sie uns im Grunde gleichgültig, obgleich wir uns wohl hüteten, ihre Zanklust aufzuregen. Sie hatte sich nie verheirathen wollen, und fand ihr einziges Vergnügen darin, ihre Schwester, welche mit einem Schneidermeister in kinderloser Ehe und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p>
            <pb facs="#f0060" n="48"/>
          </p><lb/>
          <p>In der Wohnstube wartete Friedrich, der alte Bediente, um den Grosvater nach der Schlafstube zu begleiten. Friedrich trug, so lange ich ihn kannte, einen grünen Rock und graue Unterkleider. Obgleich er stets mürrisch war, und nicht leicht etwas ohne Brummen verrichtete, so hatten die Kinder doch eine große Zuneigung zu ihm: denn er erzählte manchmal von dem &#x201E;einjährigen Kriege&#x201C; (1778), den er als Füsilir mitgemacht, von dem grausamen Regenwetter, das alle Wege und Stege verdorben, und von der schlechten Kost in den Quartieren. &#x201E;Der König&#x201C; wurde auch von ihm wie ein Wesen höherer Art betrachtet. Einzelne Aeußerungen des Königs während dieses letzten Krieges wurden wie Orakelsprüche in der Armee herumgetragen; es ist mir aber keine einzige davon im Gedächtniß geblieben. </p><lb/>
          <p>Neben dem alten Friedrich war die alte Luise als Hausmädchen in der Wirthschaft thätig. Schon damals hatte sie nahe an 40 Jahre in der Nicolaischen Familie zugebracht, hatte meine Mutter und deren Geschwister alle aufwachsen und dahinschwinden sehn, und klapperte nach wie vor mit ihrem Schlüsselbunde durch die weiten Räume der Wohnung. Wenn sie meinem Musiklehrer Weiße die Thür geöffnet, so rief sie zu mir in den Garten hinab: junger Herr, kommen Sie herauf, Herr Patzig ist da! So hatte nämlich der Musiklehrer meiner Mutter geheißen. Sonst mochte sich diese alte Eurykleia mit uns Kindern nicht viel abgeben, und deshalb war sie uns im Grunde gleichgültig, obgleich wir uns wohl hüteten, ihre Zanklust aufzuregen. Sie hatte sich nie verheirathen wollen, und fand ihr einziges Vergnügen darin, ihre Schwester, welche mit einem Schneidermeister in kinderloser Ehe und
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0060] In der Wohnstube wartete Friedrich, der alte Bediente, um den Grosvater nach der Schlafstube zu begleiten. Friedrich trug, so lange ich ihn kannte, einen grünen Rock und graue Unterkleider. Obgleich er stets mürrisch war, und nicht leicht etwas ohne Brummen verrichtete, so hatten die Kinder doch eine große Zuneigung zu ihm: denn er erzählte manchmal von dem „einjährigen Kriege“ (1778), den er als Füsilir mitgemacht, von dem grausamen Regenwetter, das alle Wege und Stege verdorben, und von der schlechten Kost in den Quartieren. „Der König“ wurde auch von ihm wie ein Wesen höherer Art betrachtet. Einzelne Aeußerungen des Königs während dieses letzten Krieges wurden wie Orakelsprüche in der Armee herumgetragen; es ist mir aber keine einzige davon im Gedächtniß geblieben. Neben dem alten Friedrich war die alte Luise als Hausmädchen in der Wirthschaft thätig. Schon damals hatte sie nahe an 40 Jahre in der Nicolaischen Familie zugebracht, hatte meine Mutter und deren Geschwister alle aufwachsen und dahinschwinden sehn, und klapperte nach wie vor mit ihrem Schlüsselbunde durch die weiten Räume der Wohnung. Wenn sie meinem Musiklehrer Weiße die Thür geöffnet, so rief sie zu mir in den Garten hinab: junger Herr, kommen Sie herauf, Herr Patzig ist da! So hatte nämlich der Musiklehrer meiner Mutter geheißen. Sonst mochte sich diese alte Eurykleia mit uns Kindern nicht viel abgeben, und deshalb war sie uns im Grunde gleichgültig, obgleich wir uns wohl hüteten, ihre Zanklust aufzuregen. Sie hatte sich nie verheirathen wollen, und fand ihr einziges Vergnügen darin, ihre Schwester, welche mit einem Schneidermeister in kinderloser Ehe und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/60
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/60>, abgerufen am 24.11.2024.