Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].das Stadtthor, und fahren langsam durch die Stadt, überall dieselbe Einsamkeit. Lessing wiederholt seine Frage und erhält dieselbe zuversichtliche Antwort. Sie lassen die Stadt hinter sich und sind bereits an den letzten Häusern der Vorstadt, da öffnet sich ein Fensterladen, ein Bürger steigt im Hemde zum Fenster hinaus, und schließt von außen seine Hausthür auf. Da haben Sie ihn! ruft der Postillon, und setzt seine Pferde in Trab. Eben so wenig ist mir deutlich, ob ich aus des Grosvaters Munde oder sonst woher gehört, daß Lessing auf seinen Reisen zu sagen pflegte: das Abschiednehmen hat Gottsched erfunden; man sieht sich immer wieder! Unter den Abendgästen am Tische des Grosvaters dünkte uns Zelter eine ungewöhnliche Erscheinung. Seines Zeichens ein Maurermeister übte er dies Handwerk mit unverdrossenem Fleiße, daneben besaß er ein so bedeutendes musikalisches Talent, daß seine Liederkompositionen in aller Munde waren. Nach dem Tode von Fasch (1800) ward er Vorsteher der Singakademie und verwaltete sein Amt mit dem schönsten Erfolge. Von riesiger Gestalt, mit übergroßen Händen und einer Stentorstimme begabt, war er ganz dazu geeignet, den Kindern anfangs Schrecken einzujagen; allein er wußte seine Stimme zu mäßigen, und erzählte mit so vieler Anschaulichkeit und mit so eigenthümlichen Kraftworten, daß wir gern an seinem Munde hingen. Mit seinen großen Händen zerlegte er die Gerichte auf das zierlichste, als indessen einmal Krebse aufgesetzt wurden, sahen wir mit Entsetzen, wie er die Scheeren krachend mit den Zähnen zermalmte, und den Leib laut schlürfend aussog. Fritz erhielt dadurch eine gute Gelegenheit, sein Nachahmungstalent in der Kinderstube das Stadtthor, und fahren langsam durch die Stadt, überall dieselbe Einsamkeit. Lessing wiederholt seine Frage und erhält dieselbe zuversichtliche Antwort. Sie lassen die Stadt hinter sich und sind bereits an den letzten Häusern der Vorstadt, da öffnet sich ein Fensterladen, ein Bürger steigt im Hemde zum Fenster hinaus, und schließt von außen seine Hausthür auf. Da haben Sie ihn! ruft der Postillon, und setzt seine Pferde in Trab. Eben so wenig ist mir deutlich, ob ich aus des Grosvaters Munde oder sonst woher gehört, daß Lessing auf seinen Reisen zu sagen pflegte: das Abschiednehmen hat Gottsched erfunden; man sieht sich immer wieder! Unter den Abendgästen am Tische des Grosvaters dünkte uns Zelter eine ungewöhnliche Erscheinung. Seines Zeichens ein Maurermeister übte er dies Handwerk mit unverdrossenem Fleiße, daneben besaß er ein so bedeutendes musikalisches Talent, daß seine Liederkompositionen in aller Munde waren. Nach dem Tode von Fasch (1800) ward er Vorsteher der Singakademie und verwaltete sein Amt mit dem schönsten Erfolge. Von riesiger Gestalt, mit übergroßen Händen und einer Stentorstimme begabt, war er ganz dazu geeignet, den Kindern anfangs Schrecken einzujagen; allein er wußte seine Stimme zu mäßigen, und erzählte mit so vieler Anschaulichkeit und mit so eigenthümlichen Kraftworten, daß wir gern an seinem Munde hingen. Mit seinen großen Händen zerlegte er die Gerichte auf das zierlichste, als indessen einmal Krebse aufgesetzt wurden, sahen wir mit Entsetzen, wie er die Scheeren krachend mit den Zähnen zermalmte, und den Leib laut schlürfend aussog. Fritz erhielt dadurch eine gute Gelegenheit, sein Nachahmungstalent in der Kinderstube <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0071" n="59"/> das Stadtthor, und fahren langsam durch die Stadt, überall dieselbe Einsamkeit. Lessing wiederholt seine Frage und erhält dieselbe zuversichtliche Antwort. 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Von riesiger Gestalt, mit übergroßen Händen und einer Stentorstimme begabt, war er ganz dazu geeignet, den Kindern anfangs Schrecken einzujagen; allein er wußte seine Stimme zu mäßigen, und erzählte mit so vieler Anschaulichkeit und mit so eigenthümlichen Kraftworten, daß wir gern an seinem Munde hingen. Mit seinen großen Händen zerlegte er die Gerichte auf das zierlichste, als indessen einmal Krebse aufgesetzt wurden, sahen wir mit Entsetzen, wie er die Scheeren krachend mit den Zähnen zermalmte, und den Leib laut schlürfend aussog. Fritz erhielt dadurch eine gute Gelegenheit, sein Nachahmungstalent in der Kinderstube </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0071]
das Stadtthor, und fahren langsam durch die Stadt, überall dieselbe Einsamkeit. Lessing wiederholt seine Frage und erhält dieselbe zuversichtliche Antwort. Sie lassen die Stadt hinter sich und sind bereits an den letzten Häusern der Vorstadt, da öffnet sich ein Fensterladen, ein Bürger steigt im Hemde zum Fenster hinaus, und schließt von außen seine Hausthür auf. Da haben Sie ihn! ruft der Postillon, und setzt seine Pferde in Trab.
Eben so wenig ist mir deutlich, ob ich aus des Grosvaters Munde oder sonst woher gehört, daß Lessing auf seinen Reisen zu sagen pflegte: das Abschiednehmen hat Gottsched erfunden; man sieht sich immer wieder!
Unter den Abendgästen am Tische des Grosvaters dünkte uns Zelter eine ungewöhnliche Erscheinung. Seines Zeichens ein Maurermeister übte er dies Handwerk mit unverdrossenem Fleiße, daneben besaß er ein so bedeutendes musikalisches Talent, daß seine Liederkompositionen in aller Munde waren. Nach dem Tode von Fasch (1800) ward er Vorsteher der Singakademie und verwaltete sein Amt mit dem schönsten Erfolge. Von riesiger Gestalt, mit übergroßen Händen und einer Stentorstimme begabt, war er ganz dazu geeignet, den Kindern anfangs Schrecken einzujagen; allein er wußte seine Stimme zu mäßigen, und erzählte mit so vieler Anschaulichkeit und mit so eigenthümlichen Kraftworten, daß wir gern an seinem Munde hingen. Mit seinen großen Händen zerlegte er die Gerichte auf das zierlichste, als indessen einmal Krebse aufgesetzt wurden, sahen wir mit Entsetzen, wie er die Scheeren krachend mit den Zähnen zermalmte, und den Leib laut schlürfend aussog. Fritz erhielt dadurch eine gute Gelegenheit, sein Nachahmungstalent in der Kinderstube
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/71>, abgerufen am 18.06.2024. |