Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

den als einzig in ihrer Art gerühmt; sie sollte selbst mit der Pariser Oper wetteifern. Die Vorliebe des Königs Friedrich Wilhelms III. für ein gutes Ballet hatte auch diesen Zweig der scenischen Kunst sehr vervollkomnet, aber wir konnten an der rechtwinkligen Ausrenkung der Beine, an den halsbrechenden Sprüngen, an der Windmühlenbewegung und den lächerlichen Entrechats nicht das mindeste Wohlgefallen finden; ein pantomimisches Ballet war uns das höchste von Langerweile.

Die Oper mußte damals, nach dem Muster der altfranzösischen Einrichtung immer mit einem Ballet ausgestattet sein. Dies paßte wohl bei den Spontinischen und andern Opern, wo die Balletmusik von dem Komponisten selbst herrührt, als aber die Direktion anfing, vielleicht mit Rücksicht auf die Vorliebe des Königs, in die Gluckschen und Mozartschen Opern fremde Ballette einzulegen, da erhob sich bei dem jüngeren Publikum eine energische Opposition. Wenn im 2. Akte des Figaro der reizende, geheimnisvolle Kastagnettentanz zu Ende ging, und alle Seelen in dem Wohllaute der Töne dahinschwammen, so erscholl plötzlich eine widerwärtige neue Musik, und die rechtwinkligen Figurantinnen gaukelten aus den Kulissen hervor. Das Zischen bei den kunstreichsten Bocksprüngen der beliebtesten Solotänzerinnen kämpfte mit dem Klatschen der bezahlten und unbezahlten Claqueurs, und erregte die widerwärtigsten Störungen. Rellstab als musikalischer Recensent bemühte sich am folgenden Tage in der Vossischen Zeitung, der Direktion zu Gemüthe zu führen, daß das Zischen nicht der Person, sondern der fremdartigen Musik gelte. Es dauerte mehrere Jahre, bis diese Unsitte, die uns weidlich gequält, endlich abgestellt wurde.



den als einzig in ihrer Art gerühmt; sie sollte selbst mit der Pariser Oper wetteifern. Die Vorliebe des Königs Friedrich Wilhelms III. für ein gutes Ballet hatte auch diesen Zweig der scenischen Kunst sehr vervollkomnet, aber wir konnten an der rechtwinkligen Ausrenkung der Beine, an den halsbrechenden Sprüngen, an der Windmühlenbewegung und den lächerlichen Entrechats nicht das mindeste Wohlgefallen finden; ein pantomimisches Ballet war uns das höchste von Langerweile.

Die Oper mußte damals, nach dem Muster der altfranzösischen Einrichtung immer mit einem Ballet ausgestattet sein. Dies paßte wohl bei den Spontinischen und andern Opern, wo die Balletmusik von dem Komponisten selbst herrührt, als aber die Direktion anfing, vielleicht mit Rücksicht auf die Vorliebe des Königs, in die Gluckschen und Mozartschen Opern fremde Ballette einzulegen, da erhob sich bei dem jüngeren Publikum eine energische Opposition. Wenn im 2. Akte des Figaro der reizende, geheimnisvolle Kastagnettentanz zu Ende ging, und alle Seelen in dem Wohllaute der Töne dahinschwammen, so erscholl plötzlich eine widerwärtige neue Musik, und die rechtwinkligen Figurantinnen gaukelten aus den Kulissen hervor. Das Zischen bei den kunstreichsten Bocksprüngen der beliebtesten Solotänzerinnen kämpfte mit dem Klatschen der bezahlten und unbezahlten Claqueurs, und erregte die widerwärtigsten Störungen. Rellstab als musikalischer Recensent bemühte sich am folgenden Tage in der Vossischen Zeitung, der Direktion zu Gemüthe zu führen, daß das Zischen nicht der Person, sondern der fremdartigen Musik gelte. Es dauerte mehrere Jahre, bis diese Unsitte, die uns weidlich gequält, endlich abgestellt wurde.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="92"/>
den als einzig in ihrer Art gerühmt; sie sollte selbst mit der Pariser Oper wetteifern. Die Vorliebe des Königs Friedrich Wilhelms III. für ein gutes Ballet hatte auch diesen Zweig der scenischen Kunst sehr vervollkomnet, aber wir konnten an der rechtwinkligen Ausrenkung der Beine, an den halsbrechenden Sprüngen, an der Windmühlenbewegung und den lächerlichen Entrechats nicht das mindeste Wohlgefallen finden; ein pantomimisches Ballet war uns das höchste von Langerweile. </p><lb/>
        <p>Die Oper mußte damals, nach dem Muster der altfranzösischen Einrichtung immer mit einem Ballet ausgestattet sein. Dies paßte wohl bei den Spontinischen und andern Opern, wo die Balletmusik von dem Komponisten selbst herrührt, als aber die Direktion anfing, vielleicht mit Rücksicht auf die Vorliebe des Königs, in die Gluckschen und Mozartschen Opern fremde Ballette einzulegen, da erhob sich bei dem jüngeren Publikum eine energische Opposition. Wenn im 2. Akte des Figaro der reizende, geheimnisvolle Kastagnettentanz zu Ende ging, und alle Seelen in dem Wohllaute der Töne dahinschwammen, so erscholl plötzlich eine widerwärtige neue Musik, und die rechtwinkligen Figurantinnen gaukelten aus den Kulissen hervor. Das Zischen bei den kunstreichsten Bocksprüngen der beliebtesten Solotänzerinnen kämpfte mit dem Klatschen der bezahlten und unbezahlten Claqueurs, und erregte die widerwärtigsten Störungen. Rellstab als musikalischer Recensent bemühte sich am folgenden Tage in der Vossischen Zeitung, der Direktion zu Gemüthe zu führen, daß das Zischen nicht der Person, sondern der fremdartigen Musik gelte. Es dauerte mehrere Jahre, bis diese Unsitte, die uns weidlich gequält, endlich abgestellt wurde.             <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0100] den als einzig in ihrer Art gerühmt; sie sollte selbst mit der Pariser Oper wetteifern. Die Vorliebe des Königs Friedrich Wilhelms III. für ein gutes Ballet hatte auch diesen Zweig der scenischen Kunst sehr vervollkomnet, aber wir konnten an der rechtwinkligen Ausrenkung der Beine, an den halsbrechenden Sprüngen, an der Windmühlenbewegung und den lächerlichen Entrechats nicht das mindeste Wohlgefallen finden; ein pantomimisches Ballet war uns das höchste von Langerweile. Die Oper mußte damals, nach dem Muster der altfranzösischen Einrichtung immer mit einem Ballet ausgestattet sein. Dies paßte wohl bei den Spontinischen und andern Opern, wo die Balletmusik von dem Komponisten selbst herrührt, als aber die Direktion anfing, vielleicht mit Rücksicht auf die Vorliebe des Königs, in die Gluckschen und Mozartschen Opern fremde Ballette einzulegen, da erhob sich bei dem jüngeren Publikum eine energische Opposition. Wenn im 2. Akte des Figaro der reizende, geheimnisvolle Kastagnettentanz zu Ende ging, und alle Seelen in dem Wohllaute der Töne dahinschwammen, so erscholl plötzlich eine widerwärtige neue Musik, und die rechtwinkligen Figurantinnen gaukelten aus den Kulissen hervor. Das Zischen bei den kunstreichsten Bocksprüngen der beliebtesten Solotänzerinnen kämpfte mit dem Klatschen der bezahlten und unbezahlten Claqueurs, und erregte die widerwärtigsten Störungen. Rellstab als musikalischer Recensent bemühte sich am folgenden Tage in der Vossischen Zeitung, der Direktion zu Gemüthe zu führen, daß das Zischen nicht der Person, sondern der fremdartigen Musik gelte. Es dauerte mehrere Jahre, bis diese Unsitte, die uns weidlich gequält, endlich abgestellt wurde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/100
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/100>, abgerufen am 24.11.2024.