Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Affekte aus: vor einem so undankbaren Publikum werde sie nie wieder spielen! Es erfolgte enormer Tumult und allgemeine Aufregung. Bei abgekühltem Blute sah sie ihre Uebereilung wohl ein, aber das Publikum, dessen Liebling sie bisher gewesen, verlangte eine eklatante Satisfaction und öffentliche Abbitte. Bei jenem Vorfalle mit der Tochter war ich nicht im Theater, als es aber hieß: heute Abend wird die Bethmann abbitten! so säumte ich nicht, mit anderen Freunden einen Platz im vollgedrängten Parterre zu gewinnen. Vor dem Anfange führten wir uns zu Gemüthe, wie jetzt wohl der armen Frau zu Muthe sein möge, und beschlossen, gleich zu klatschen. Als der Vorhang aufging, stand die kleine zierliche Figmr in einem braunen Seidenkleide neben einem Tischchen mit zwei Lichtern. Es erfolgte eine athemlose Stille der Erwartung; aber schon als sie in sichtlicher Bewegung einen Schritt vortrat, und sich mit Grazie gegen das Publikum verneigte, begann von allen Seiten, ohne daß wir anzufangen brauchten, ein gewaltiger Applaus, der gar nicht enden wollte. Dann sprach sie ermuthigt mit ihrer süßen Silberstimme einige entschuldigende Worte, der Friede war geschlossen, und sie spielte an diesem Abende die deutsche Hausfrau von Kotzebue mit hinreißender Innigkeit. Die theatralische Laufbahn der Frau Stich-Crelinger konnte ich von Anfang bis zu Ende verfolgen. Sie trat zuerst als Fräulein Düring bei uns auf, und blieb bis zuletzt ein Mitglied der Berliner Bühne. Vor der Bethmann hatte sie eine schöne schlanke Figur und eine regelmäßige Gesichtsbildung voraus, aber ihre Stimme besaß nicht den eigenthümlichen Wohllaut, der uns bei jener entzückte. In ihrer langen Thätigkeit stieg sie von den Affekte aus: vor einem so undankbaren Publikum werde sie nie wieder spielen! Es erfolgte enormer Tumult und allgemeine Aufregung. Bei abgekühltem Blute sah sie ihre Uebereilung wohl ein, aber das Publikum, dessen Liebling sie bisher gewesen, verlangte eine eklatante Satisfaction und öffentliche Abbitte. Bei jenem Vorfalle mit der Tochter war ich nicht im Theater, als es aber hieß: heute Abend wird die Bethmann abbitten! so säumte ich nicht, mit anderen Freunden einen Platz im vollgedrängten Parterre zu gewinnen. Vor dem Anfange führten wir uns zu Gemüthe, wie jetzt wohl der armen Frau zu Muthe sein möge, und beschlossen, gleich zu klatschen. Als der Vorhang aufging, stand die kleine zierliche Figmr in einem braunen Seidenkleide neben einem Tischchen mit zwei Lichtern. Es erfolgte eine athemlose Stille der Erwartung; aber schon als sie in sichtlicher Bewegung einen Schritt vortrat, und sich mit Grazie gegen das Publikum verneigte, begann von allen Seiten, ohne daß wir anzufangen brauchten, ein gewaltiger Applaus, der gar nicht enden wollte. Dann sprach sie ermuthigt mit ihrer süßen Silberstimme einige entschuldigende Worte, der Friede war geschlossen, und sie spielte an diesem Abende die deutsche Hausfrau von Kotzebue mit hinreißender Innigkeit. Die theatralische Laufbahn der Frau Stich-Crelinger konnte ich von Anfang bis zu Ende verfolgen. Sie trat zuerst als Fräulein Düring bei uns auf, und blieb bis zuletzt ein Mitglied der Berliner Bühne. Vor der Bethmann hatte sie eine schöne schlanke Figur und eine regelmäßige Gesichtsbildung voraus, aber ihre Stimme besaß nicht den eigenthümlichen Wohllaut, der uns bei jener entzückte. In ihrer langen Thätigkeit stieg sie von den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0112" n="104"/> Affekte aus: vor einem so undankbaren Publikum werde sie nie wieder spielen! Es erfolgte enormer Tumult und allgemeine Aufregung. Bei abgekühltem Blute sah sie ihre Uebereilung wohl ein, aber das Publikum, dessen Liebling sie bisher gewesen, verlangte eine eklatante Satisfaction und öffentliche Abbitte. Bei jenem Vorfalle mit der Tochter war ich nicht im Theater, als es aber hieß: heute Abend wird die Bethmann abbitten! so säumte ich nicht, mit anderen Freunden einen Platz im vollgedrängten Parterre zu gewinnen. Vor dem Anfange führten wir uns zu Gemüthe, wie jetzt wohl der armen Frau zu Muthe sein möge, und beschlossen, gleich zu klatschen. Als der Vorhang aufging, stand die kleine zierliche Figmr in einem braunen Seidenkleide neben einem Tischchen mit zwei Lichtern. Es erfolgte eine athemlose Stille der Erwartung; aber schon als sie in sichtlicher Bewegung einen Schritt vortrat, und sich mit Grazie gegen das Publikum verneigte, begann von allen Seiten, ohne daß wir anzufangen brauchten, ein gewaltiger Applaus, der gar nicht enden wollte. Dann sprach sie ermuthigt mit ihrer süßen Silberstimme einige entschuldigende Worte, der Friede war geschlossen, und sie spielte an diesem Abende die deutsche Hausfrau von Kotzebue mit hinreißender Innigkeit. </p><lb/> <p>Die theatralische Laufbahn der Frau Stich-Crelinger konnte ich von Anfang bis zu Ende verfolgen. Sie trat zuerst als Fräulein Düring bei uns auf, und blieb bis zuletzt ein Mitglied der Berliner Bühne. Vor der Bethmann hatte sie eine schöne schlanke Figur und eine regelmäßige Gesichtsbildung voraus, aber ihre Stimme besaß nicht den eigenthümlichen Wohllaut, der uns bei jener entzückte. In ihrer langen Thätigkeit stieg sie von den </p> </div> </body> </text> </TEI> [104/0112]
Affekte aus: vor einem so undankbaren Publikum werde sie nie wieder spielen! Es erfolgte enormer Tumult und allgemeine Aufregung. Bei abgekühltem Blute sah sie ihre Uebereilung wohl ein, aber das Publikum, dessen Liebling sie bisher gewesen, verlangte eine eklatante Satisfaction und öffentliche Abbitte. Bei jenem Vorfalle mit der Tochter war ich nicht im Theater, als es aber hieß: heute Abend wird die Bethmann abbitten! so säumte ich nicht, mit anderen Freunden einen Platz im vollgedrängten Parterre zu gewinnen. Vor dem Anfange führten wir uns zu Gemüthe, wie jetzt wohl der armen Frau zu Muthe sein möge, und beschlossen, gleich zu klatschen. Als der Vorhang aufging, stand die kleine zierliche Figmr in einem braunen Seidenkleide neben einem Tischchen mit zwei Lichtern. Es erfolgte eine athemlose Stille der Erwartung; aber schon als sie in sichtlicher Bewegung einen Schritt vortrat, und sich mit Grazie gegen das Publikum verneigte, begann von allen Seiten, ohne daß wir anzufangen brauchten, ein gewaltiger Applaus, der gar nicht enden wollte. Dann sprach sie ermuthigt mit ihrer süßen Silberstimme einige entschuldigende Worte, der Friede war geschlossen, und sie spielte an diesem Abende die deutsche Hausfrau von Kotzebue mit hinreißender Innigkeit.
Die theatralische Laufbahn der Frau Stich-Crelinger konnte ich von Anfang bis zu Ende verfolgen. Sie trat zuerst als Fräulein Düring bei uns auf, und blieb bis zuletzt ein Mitglied der Berliner Bühne. Vor der Bethmann hatte sie eine schöne schlanke Figur und eine regelmäßige Gesichtsbildung voraus, aber ihre Stimme besaß nicht den eigenthümlichen Wohllaut, der uns bei jener entzückte. In ihrer langen Thätigkeit stieg sie von den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |