Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

hiebei seine Heftigkeit nicht genug mäßigen. Wenige Jahre darauf vernahm man, der hochbegabte feindenkende Mann sei im Irrsinne gestorben.

Von geringerer geistiger Bedeutung war ein Verwandter von Martins, der Studiosus medicinae (spätere Medizinalrath) Sundelin. Ihm bewahre ich ein liebevolles Andenken, weil er durch seine gemüthvolle Heiterkeit, und seine allerliebsten zur Guitarre vorgetragenen Lieder unsere Abende bei August verschönte. Er setzte uns anfangs in Erstaunen durch interessante Erzählungen von seinen merkwürdigen Lebensereignissen, bis wir dahinter kamen, daß nicht alles, was er uns mittheilte, baare Münze sei. So gab er uns einst einen ganz genauen Bericht über eine lange Audienz, die er in Sagan beim Kaiser Napoleon I. wollte gehabt haben, um die Einquartirungsverhältnisse der Stadt zu regeln. Es zeigte sich aber nachher, daß das Ganze nichts als eine poetische Schöpfung seiner Phantasie war, an die er vielleicht während des Erzählens selbst glaubte.

Ein anderes Mal erfreute er uns durch ein allerliebstes häusliches Idyll: wie er am Morgen im Bette auf der Guitarre geklimpert, wie eine Spinne sich von dem schrägen Balken, der in seiner bescheidenen Dachstube dicht über dem Bette hinging, herabgelassen und auf dem Resonanzboden Platz genommen, wo sie mit offenbarem Wohlgefallen verweilt habe. Bei einer unwillkührlichen Bewegung des Instrumentes sei sie wieder in die Höhe gestiegen, aber mitten in der Luft hängen geblieben, und habe vor Vergnügen alle acht Beine von sich gestreckt. Seitdem vergehe kein Morgen, wo die Spinne ihm nicht Gesellschaft leiste. Entzückt von dieser thierischen Musik-

hiebei seine Heftigkeit nicht genug mäßigen. Wenige Jahre darauf vernahm man, der hochbegabte feindenkende Mann sei im Irrsinne gestorben.

Von geringerer geistiger Bedeutung war ein Verwandter von Martins, der Studiosus medicinae (spätere Medizinalrath) Sundelin. Ihm bewahre ich ein liebevolles Andenken, weil er durch seine gemüthvolle Heiterkeit, und seine allerliebsten zur Guitarre vorgetragenen Lieder unsere Abende bei August verschönte. Er setzte uns anfangs in Erstaunen durch interessante Erzählungen von seinen merkwürdigen Lebensereignissen, bis wir dahinter kamen, daß nicht alles, was er uns mittheilte, baare Münze sei. So gab er uns einst einen ganz genauen Bericht über eine lange Audienz, die er in Sagan beim Kaiser Napoléon I. wollte gehabt haben, um die Einquartirungsverhältnisse der Stadt zu regeln. Es zeigte sich aber nachher, daß das Ganze nichts als eine poetische Schöpfung seiner Phantasie war, an die er vielleicht während des Erzählens selbst glaubte.

Ein anderes Mal erfreute er uns durch ein allerliebstes häusliches Idyll: wie er am Morgen im Bette auf der Guitarre geklimpert, wie eine Spinne sich von dem schrägen Balken, der in seiner bescheidenen Dachstube dicht über dem Bette hinging, herabgelassen und auf dem Resonanzboden Platz genommen, wo sie mit offenbarem Wohlgefallen verweilt habe. Bei einer unwillkührlichen Bewegung des Instrumentes sei sie wieder in die Höhe gestiegen, aber mitten in der Luft hängen geblieben, und habe vor Vergnügen alle acht Beine von sich gestreckt. Seitdem vergehe kein Morgen, wo die Spinne ihm nicht Gesellschaft leiste. Entzückt von dieser thierischen Musik-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0157" n="149"/>
hiebei seine Heftigkeit nicht genug mäßigen. Wenige Jahre darauf vernahm man, der hochbegabte feindenkende Mann sei im Irrsinne gestorben. </p><lb/>
        <p>Von geringerer geistiger Bedeutung war ein Verwandter von Martins, der Studiosus medicinae (spätere Medizinalrath) Sundelin. Ihm bewahre ich ein liebevolles Andenken, weil er durch seine gemüthvolle Heiterkeit, und seine allerliebsten zur Guitarre vorgetragenen Lieder unsere Abende bei August verschönte. Er setzte uns anfangs in Erstaunen durch interessante Erzählungen von seinen merkwürdigen Lebensereignissen, bis wir dahinter kamen, daß nicht alles, was er uns mittheilte, baare Münze sei. So gab er uns einst einen ganz genauen Bericht über eine lange Audienz, die er in Sagan beim Kaiser Napoléon I. wollte gehabt haben, um die Einquartirungsverhältnisse der Stadt zu regeln. Es zeigte sich aber nachher, daß das Ganze nichts als eine poetische Schöpfung seiner Phantasie war, an die er vielleicht während des Erzählens selbst glaubte. </p><lb/>
        <p>Ein anderes Mal erfreute er uns durch ein allerliebstes häusliches Idyll: wie er am Morgen im Bette auf der Guitarre geklimpert, wie eine Spinne sich von dem schrägen Balken, der in seiner bescheidenen Dachstube dicht über dem Bette hinging, herabgelassen und auf dem Resonanzboden Platz genommen, wo sie mit offenbarem Wohlgefallen verweilt habe. Bei einer unwillkührlichen Bewegung des Instrumentes sei sie wieder in die Höhe gestiegen, aber mitten in der Luft hängen geblieben, und habe vor Vergnügen alle acht Beine von sich gestreckt. Seitdem vergehe kein Morgen, wo die Spinne ihm nicht Gesellschaft leiste. Entzückt von dieser thierischen Musik-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0157] hiebei seine Heftigkeit nicht genug mäßigen. Wenige Jahre darauf vernahm man, der hochbegabte feindenkende Mann sei im Irrsinne gestorben. Von geringerer geistiger Bedeutung war ein Verwandter von Martins, der Studiosus medicinae (spätere Medizinalrath) Sundelin. Ihm bewahre ich ein liebevolles Andenken, weil er durch seine gemüthvolle Heiterkeit, und seine allerliebsten zur Guitarre vorgetragenen Lieder unsere Abende bei August verschönte. Er setzte uns anfangs in Erstaunen durch interessante Erzählungen von seinen merkwürdigen Lebensereignissen, bis wir dahinter kamen, daß nicht alles, was er uns mittheilte, baare Münze sei. So gab er uns einst einen ganz genauen Bericht über eine lange Audienz, die er in Sagan beim Kaiser Napoléon I. wollte gehabt haben, um die Einquartirungsverhältnisse der Stadt zu regeln. Es zeigte sich aber nachher, daß das Ganze nichts als eine poetische Schöpfung seiner Phantasie war, an die er vielleicht während des Erzählens selbst glaubte. Ein anderes Mal erfreute er uns durch ein allerliebstes häusliches Idyll: wie er am Morgen im Bette auf der Guitarre geklimpert, wie eine Spinne sich von dem schrägen Balken, der in seiner bescheidenen Dachstube dicht über dem Bette hinging, herabgelassen und auf dem Resonanzboden Platz genommen, wo sie mit offenbarem Wohlgefallen verweilt habe. Bei einer unwillkührlichen Bewegung des Instrumentes sei sie wieder in die Höhe gestiegen, aber mitten in der Luft hängen geblieben, und habe vor Vergnügen alle acht Beine von sich gestreckt. Seitdem vergehe kein Morgen, wo die Spinne ihm nicht Gesellschaft leiste. Entzückt von dieser thierischen Musik-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/157
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/157>, abgerufen am 19.05.2024.