Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].geschichten in so geschickter Weise, daß sie beim großen Publikum vielen Beifall fanden. Die pure Unschuld der Heldinnen, den übermäßigen Edelmuth der Helden, den thränenreichen Kampf zwischen Pflicht und Liebe wußte er auf anziehende Weise in dem bestimmten Umfange von drei Bänden darzustellen. Aber seine Charaktere entbehren der tieferen psychologischen Begründung und seine Situationen der fesselnden Kraft. Sehr bald verließ ihn die Erfindungsgabe so gänzlich, daß er immer dieselben Motive wiederholte. Indessen fehlte es manchen seiner Schriften nicht an innerer Wahrheit. In dem Romane: Saint Julien beschreibt er die Schicksale einer reichen Pariser Familie, die während der ersten französischen Revolution vom Strudel des Unglücks erfaßt, eingekerkert, mit der Guillotine bedroht, ihres Vermögens beraubt, zuletzt nach Deutschland in den dürftigsten Umständen gerettet wird. Diese erfundene tragische Geschichte wurde von vielen Lesern für wahr gehalten, und Lafontaine als Herausgeber erhielt von mehreren Seiten, von ungenannten und genannten Personen nicht unbeträchtliche Geldsendungen zur Unterstützung der armen Familie Saint Julien. In seinen späteren Jahren wurde Lafontaine sehr korpulent, und schrieb seine Romane nur noch mechanisch ohne vieles Nachdenken. Einst traf Tiedge den dicken Mann in Hemdsärmeln an seinem Schreibtische sitzend und unter strömenden Thränen an einem Manuscripte arbeitend. Worüber weinst du? - Ueber das namenlose Unglück der beiden Liebenden in meinem Romane. - So gieb sie doch zusammen. - Ach, das kann ja vor dem Ende des dritten Bandes nicht geschehn! Bei näherem Umgange konnte ich bald bemerken, daß geschichten in so geschickter Weise, daß sie beim großen Publikum vielen Beifall fanden. Die pure Unschuld der Heldinnen, den übermäßigen Edelmuth der Helden, den thränenreichen Kampf zwischen Pflicht und Liebe wußte er auf anziehende Weise in dem bestimmten Umfange von drei Bänden darzustellen. Aber seine Charaktere entbehren der tieferen psychologischen Begründung und seine Situationen der fesselnden Kraft. Sehr bald verließ ihn die Erfindungsgabe so gänzlich, daß er immer dieselben Motive wiederholte. Indessen fehlte es manchen seiner Schriften nicht an innerer Wahrheit. In dem Romane: Saint Julien beschreibt er die Schicksale einer reichen Pariser Familie, die während der ersten französischen Revolution vom Strudel des Unglücks erfaßt, eingekerkert, mit der Guillotine bedroht, ihres Vermögens beraubt, zuletzt nach Deutschland in den dürftigsten Umständen gerettet wird. Diese erfundene tragische Geschichte wurde von vielen Lesern für wahr gehalten, und Lafontaine als Herausgeber erhielt von mehreren Seiten, von ungenannten und genannten Personen nicht unbeträchtliche Geldsendungen zur Unterstützung der armen Familie Saint Julien. In seinen späteren Jahren wurde Lafontaine sehr korpulent, und schrieb seine Romane nur noch mechanisch ohne vieles Nachdenken. Einst traf Tiedge den dicken Mann in Hemdsärmeln an seinem Schreibtische sitzend und unter strömenden Thränen an einem Manuscripte arbeitend. Worüber weinst du? – Ueber das namenlose Unglück der beiden Liebenden in meinem Romane. – So gieb sie doch zusammen. – Ach, das kann ja vor dem Ende des dritten Bandes nicht geschehn! Bei näherem Umgange konnte ich bald bemerken, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="10"/> geschichten in so geschickter Weise, daß sie beim großen Publikum vielen Beifall fanden. 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geschichten in so geschickter Weise, daß sie beim großen Publikum vielen Beifall fanden. Die pure Unschuld der Heldinnen, den übermäßigen Edelmuth der Helden, den thränenreichen Kampf zwischen Pflicht und Liebe wußte er auf anziehende Weise in dem bestimmten Umfange von drei Bänden darzustellen. Aber seine Charaktere entbehren der tieferen psychologischen Begründung und seine Situationen der fesselnden Kraft. Sehr bald verließ ihn die Erfindungsgabe so gänzlich, daß er immer dieselben Motive wiederholte. Indessen fehlte es manchen seiner Schriften nicht an innerer Wahrheit. In dem Romane: Saint Julien beschreibt er die Schicksale einer reichen Pariser Familie, die während der ersten französischen Revolution vom Strudel des Unglücks erfaßt, eingekerkert, mit der Guillotine bedroht, ihres Vermögens beraubt, zuletzt nach Deutschland in den dürftigsten Umständen gerettet wird. Diese erfundene tragische Geschichte wurde von vielen Lesern für wahr gehalten, und Lafontaine als Herausgeber erhielt von mehreren Seiten, von ungenannten und genannten Personen nicht unbeträchtliche Geldsendungen zur Unterstützung der armen Familie Saint Julien.
In seinen späteren Jahren wurde Lafontaine sehr korpulent, und schrieb seine Romane nur noch mechanisch ohne vieles Nachdenken. Einst traf Tiedge den dicken Mann in Hemdsärmeln an seinem Schreibtische sitzend und unter strömenden Thränen an einem Manuscripte arbeitend. Worüber weinst du? – Ueber das namenlose Unglück der beiden Liebenden in meinem Romane. – So gieb sie doch zusammen. – Ach, das kann ja vor dem Ende des dritten Bandes nicht geschehn!
Bei näherem Umgange konnte ich bald bemerken, daß
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