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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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gigen Antworten dem Disponenten Herrn Ritter. Er führte also den Autor aus seiner Stube nach der Buchhandlung hinunter, und beim Rückwege über den Hof ereignete sich das Unglück.

Während des langweiligen Liegens blieb mein Vater stets heiter und guter Dinge; nicht ein einziges Mal habe ich ein Zeichen des Unmuthes oder der Ungeduld an ihm wahrgenommen. Als Kohlrausch ihm gestattete, Freunde zu sehn, wurde der Stuhl an seinem Bette von Besuchern nicht leer. Zu diesen gehörte unter andern der vom Grafen Brühl geschickte Solotänzer Schulz, der vor mehreren Jahren auch die Kniescheibe gebrochen, und nachher doch wieder den Arlekin getanzt hatte.

Eines Tages fand ich am Bette meines Vaters einen stattlichen Mann in glänzender Uniform. Er schien noch gar nicht alt zu sein, aber der kahle Kopf hing ihm auf die Brust herab, das Auge hatte nur einen matten Glanz, und mit Mühe schien er das Gespräch fortzuführen. Aus seinen freundschaftlichen Aeußerungen sah ich, daß er meinen Vater schon früher müsse gekannt haben. Es war der sächsische General von Thielemann, der im russischen Feldzuge unter Napoleon I. gedient. Die Schrecknisse des Rückzuges hatten den kräftigen Mann vor der Zeit zum Greise gemacht.

Ueber den langsamen Versuchen im Gehn kam das Frühjahr heran; der Umzug nach dem großen Garten ward in gewohnter Weise bewerkstelligt, und im Herbste konnte mein Vater den Weg von der Blumenstraße nach der Brüderstraße wie früher zu Fuße zurücklegen.

gigen Antworten dem Disponenten Herrn Ritter. Er führte also den Autor aus seiner Stube nach der Buchhandlung hinunter, und beim Rückwege über den Hof ereignete sich das Unglück.

Während des langweiligen Liegens blieb mein Vater stets heiter und guter Dinge; nicht ein einziges Mal habe ich ein Zeichen des Unmuthes oder der Ungeduld an ihm wahrgenommen. Als Kohlrausch ihm gestattete, Freunde zu sehn, wurde der Stuhl an seinem Bette von Besuchern nicht leer. Zu diesen gehörte unter andern der vom Grafen Brühl geschickte Solotänzer Schulz, der vor mehreren Jahren auch die Kniescheibe gebrochen, und nachher doch wieder den Arlekin getanzt hatte.

Eines Tages fand ich am Bette meines Vaters einen stattlichen Mann in glänzender Uniform. Er schien noch gar nicht alt zu sein, aber der kahle Kopf hing ihm auf die Brust herab, das Auge hatte nur einen matten Glanz, und mit Mühe schien er das Gespräch fortzuführen. Aus seinen freundschaftlichen Aeußerungen sah ich, daß er meinen Vater schon früher müsse gekannt haben. Es war der sächsische General von Thielemann, der im russischen Feldzuge unter Napoléon I. gedient. Die Schrecknisse des Rückzuges hatten den kräftigen Mann vor der Zeit zum Greise gemacht.

Ueber den langsamen Versuchen im Gehn kam das Frühjahr heran; der Umzug nach dem großen Garten ward in gewohnter Weise bewerkstelligt, und im Herbste konnte mein Vater den Weg von der Blumenstraße nach der Brüderstraße wie früher zu Fuße zurücklegen.

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[182/0190] gigen Antworten dem Disponenten Herrn Ritter. Er führte also den Autor aus seiner Stube nach der Buchhandlung hinunter, und beim Rückwege über den Hof ereignete sich das Unglück. Während des langweiligen Liegens blieb mein Vater stets heiter und guter Dinge; nicht ein einziges Mal habe ich ein Zeichen des Unmuthes oder der Ungeduld an ihm wahrgenommen. Als Kohlrausch ihm gestattete, Freunde zu sehn, wurde der Stuhl an seinem Bette von Besuchern nicht leer. Zu diesen gehörte unter andern der vom Grafen Brühl geschickte Solotänzer Schulz, der vor mehreren Jahren auch die Kniescheibe gebrochen, und nachher doch wieder den Arlekin getanzt hatte. Eines Tages fand ich am Bette meines Vaters einen stattlichen Mann in glänzender Uniform. Er schien noch gar nicht alt zu sein, aber der kahle Kopf hing ihm auf die Brust herab, das Auge hatte nur einen matten Glanz, und mit Mühe schien er das Gespräch fortzuführen. Aus seinen freundschaftlichen Aeußerungen sah ich, daß er meinen Vater schon früher müsse gekannt haben. Es war der sächsische General von Thielemann, der im russischen Feldzuge unter Napoléon I. gedient. Die Schrecknisse des Rückzuges hatten den kräftigen Mann vor der Zeit zum Greise gemacht. Ueber den langsamen Versuchen im Gehn kam das Frühjahr heran; der Umzug nach dem großen Garten ward in gewohnter Weise bewerkstelligt, und im Herbste konnte mein Vater den Weg von der Blumenstraße nach der Brüderstraße wie früher zu Fuße zurücklegen.

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/190>, abgerufen am 24.11.2024.