Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].unübertroffen. Als ein besonderes Verdienst rechneten wir es ihm an, daß alle die gewöhnlichen Unarten so vieler Virtuosen ihm gänzlich fremd waren. Er ließ sich nie zweimal zum Spielen bitten, er versuchte nie durch lange Unterhandlung den Platz einem andern abzutreten, er wurde nicht ärgerlich, wenn während des Gesanges ein unmusikalischer Bediente mit Messerklirren den Abendtisch deckte, er schützte niemals Indisposition oder Schnupfen vor, noch blätterte er eine Viertelstunde lang in dem Hefte, ehe er anfing. Nachdem wir bekannt geworden, besuchte ich ihn bald in seiner Wohnung in der Letzten (jetzt Dorotheen-) Straße. Da sah es freilich sehr wüst aus, und meine pedantische Ordnungsliebe ward auf harte Proben gestellt. Er wohnte zusammen mit zwei Landsleuten aus Köln, dem Philologen (später Professor) Kreuser, und dem Juristen Leidel, die beide die Berliner Universität besuchten. In der Vorderstube stand ein Klavier und vor dem Sopha ein großer runder Tisch, der den drei Freunden abwechselnd zum Frühstücken, Arbeiten, Briefe schreiben und Tabackschneiden diente. Die Unordnung darauf überstieg alle Beschreibung; man konnte sie mehr als lyrisch nennen. Seine beiden Stubengenossen behandelte Klein mit einer komischen Tyrannei. Hatte er ein Lied komponirt, so mußte Leidel, der eine schöne Tenorstimme besaß, alsbald herbei, um es frisch vom Blatte zu singen. Dieser saß meist in der Nebenstube über den Pandekten, und hatte keine Lust, aber Kleins Persönlichkeit war so überwiegend, daß Leidel halb lachend gezwungen war, die nothwendigsten Arbeiten liegen zu lassen, um Kleins Laune zu befriedigen. Kreuser hatte keine Stimme, deshalb er- unübertroffen. Als ein besonderes Verdienst rechneten wir es ihm an, daß alle die gewöhnlichen Unarten so vieler Virtuosen ihm gänzlich fremd waren. Er ließ sich nie zweimal zum Spielen bitten, er versuchte nie durch lange Unterhandlung den Platz einem andern abzutreten, er wurde nicht ärgerlich, wenn während des Gesanges ein unmusikalischer Bediente mit Messerklirren den Abendtisch deckte, er schützte niemals Indisposition oder Schnupfen vor, noch blätterte er eine Viertelstunde lang in dem Hefte, ehe er anfing. Nachdem wir bekannt geworden, besuchte ich ihn bald in seiner Wohnung in der Letzten (jetzt Dorotheen-) Straße. Da sah es freilich sehr wüst aus, und meine pedantische Ordnungsliebe ward auf harte Proben gestellt. Er wohnte zusammen mit zwei Landsleuten aus Köln, dem Philologen (später Professor) Kreuser, und dem Juristen Leidel, die beide die Berliner Universität besuchten. In der Vorderstube stand ein Klavier und vor dem Sopha ein großer runder Tisch, der den drei Freunden abwechselnd zum Frühstücken, Arbeiten, Briefe schreiben und Tabackschneiden diente. Die Unordnung darauf überstieg alle Beschreibung; man konnte sie mehr als lyrisch nennen. Seine beiden Stubengenossen behandelte Klein mit einer komischen Tyrannei. Hatte er ein Lied komponirt, so mußte Leidel, der eine schöne Tenorstimme besaß, alsbald herbei, um es frisch vom Blatte zu singen. Dieser saß meist in der Nebenstube über den Pandekten, und hatte keine Lust, aber Kleins Persönlichkeit war so überwiegend, daß Leidel halb lachend gezwungen war, die nothwendigsten Arbeiten liegen zu lassen, um Kleins Laune zu befriedigen. Kreuser hatte keine Stimme, deshalb er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0204" n="196"/> unübertroffen. Als ein besonderes Verdienst rechneten wir es ihm an, daß alle die gewöhnlichen Unarten so vieler Virtuosen ihm gänzlich fremd waren. Er ließ sich nie zweimal zum Spielen bitten, er versuchte nie durch lange Unterhandlung den Platz einem andern abzutreten, er wurde nicht ärgerlich, wenn während des Gesanges ein unmusikalischer Bediente mit Messerklirren den Abendtisch deckte, er schützte niemals Indisposition oder Schnupfen vor, noch blätterte er eine Viertelstunde lang in dem Hefte, ehe er anfing. </p><lb/> <p>Nachdem wir bekannt geworden, besuchte ich ihn bald in seiner Wohnung in der Letzten (jetzt Dorotheen-) Straße. Da sah es freilich sehr wüst aus, und meine pedantische Ordnungsliebe ward auf harte Proben gestellt. Er wohnte zusammen mit zwei Landsleuten aus Köln, dem Philologen (später Professor) Kreuser, und dem Juristen Leidel, die beide die Berliner Universität besuchten. In der Vorderstube stand ein Klavier und vor dem Sopha ein großer runder Tisch, der den drei Freunden abwechselnd zum Frühstücken, Arbeiten, Briefe schreiben und Tabackschneiden diente. Die Unordnung darauf überstieg alle Beschreibung; man konnte sie mehr als lyrisch nennen. Seine beiden Stubengenossen behandelte Klein mit einer komischen Tyrannei. Hatte er ein Lied komponirt, so mußte Leidel, der eine schöne Tenorstimme besaß, alsbald herbei, um es frisch vom Blatte zu singen. Dieser saß meist in der Nebenstube über den Pandekten, und hatte keine Lust, aber Kleins Persönlichkeit war so überwiegend, daß Leidel halb lachend gezwungen war, die nothwendigsten Arbeiten liegen zu lassen, um Kleins Laune zu befriedigen. Kreuser hatte keine Stimme, deshalb er- </p> </div> </body> </text> </TEI> [196/0204]
unübertroffen. Als ein besonderes Verdienst rechneten wir es ihm an, daß alle die gewöhnlichen Unarten so vieler Virtuosen ihm gänzlich fremd waren. Er ließ sich nie zweimal zum Spielen bitten, er versuchte nie durch lange Unterhandlung den Platz einem andern abzutreten, er wurde nicht ärgerlich, wenn während des Gesanges ein unmusikalischer Bediente mit Messerklirren den Abendtisch deckte, er schützte niemals Indisposition oder Schnupfen vor, noch blätterte er eine Viertelstunde lang in dem Hefte, ehe er anfing.
Nachdem wir bekannt geworden, besuchte ich ihn bald in seiner Wohnung in der Letzten (jetzt Dorotheen-) Straße. Da sah es freilich sehr wüst aus, und meine pedantische Ordnungsliebe ward auf harte Proben gestellt. Er wohnte zusammen mit zwei Landsleuten aus Köln, dem Philologen (später Professor) Kreuser, und dem Juristen Leidel, die beide die Berliner Universität besuchten. In der Vorderstube stand ein Klavier und vor dem Sopha ein großer runder Tisch, der den drei Freunden abwechselnd zum Frühstücken, Arbeiten, Briefe schreiben und Tabackschneiden diente. Die Unordnung darauf überstieg alle Beschreibung; man konnte sie mehr als lyrisch nennen. Seine beiden Stubengenossen behandelte Klein mit einer komischen Tyrannei. Hatte er ein Lied komponirt, so mußte Leidel, der eine schöne Tenorstimme besaß, alsbald herbei, um es frisch vom Blatte zu singen. Dieser saß meist in der Nebenstube über den Pandekten, und hatte keine Lust, aber Kleins Persönlichkeit war so überwiegend, daß Leidel halb lachend gezwungen war, die nothwendigsten Arbeiten liegen zu lassen, um Kleins Laune zu befriedigen. Kreuser hatte keine Stimme, deshalb er-
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