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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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im ganzen genommen wisse der eine etwa eben so viel wie der andere, Lehmann ausgenommen. Es komme also nur darauf an, daß der Lehrer das frage, was man gerade wisse, oder was man nicht wisse. Bei den Glücklichen sei das erste der Fall, bei den Unglücklichen das zweite. Ueber meine Angst vor dem Examen machte er sich weidlich lustig: es sei doch sehr unwahrscheinlich, und gewiß noch nie vorgekommen, daß man einen Primus omnium habe durchfallen lassen, selbst wenn er, wie Gutschmidt, den 30jährigen Krieg nach den Jahreszahlen berechnen wollte.

Röstell. In seiner ernsten Gemüthstimmung bekämpften sich zwei Eigenschaften, Gutmüthigkeit und Argwohn. Während er selbst der harmloseste Karakter war, den man sich denken kann, so glaubte er doch allzuleicht das Böse, was man andern nachsagte, ja er vergrößerte es noch, so daß zu seinem eignen Bedauern, jeder Mensch mit einem sittlichen Makel behaftet war, oder sich irgend eine verbrecherische Handlung vorzuwerfen hatte. Nachdem wir diese Schwachheit - denn anders konnte man es nicht nennen - an ihm gemerkt, so legte Paul es darauf an, ihn in vertraulichen Gesprächen zu den allerübertriebensten Beschuldigungen anzureizen, so daß ihm bald die ganze Welt im übelsten Lichte erschien, bis Paul durch eine lustige Wendung den Schalk herauskehrte. Röstell widmete sich dem Studium des kanonischen Rechtes; er war einige Zeit bei der preußischen Gesandtschaft im Rom beschäftigt, wo er an der Beschreibung Roms von Bunsen und Platner sich betheiligte. Jetzt lebt er als Professor in Marburg.

Uhden. Sein freundliches angenehmes Wesen machte

im ganzen genommen wisse der eine etwa eben so viel wie der andere, Lehmann ausgenommen. Es komme also nur darauf an, daß der Lehrer das frage, was man gerade wisse, oder was man nicht wisse. Bei den Glücklichen sei das erste der Fall, bei den Unglücklichen das zweite. Ueber meine Angst vor dem Examen machte er sich weidlich lustig: es sei doch sehr unwahrscheinlich, und gewiß noch nie vorgekommen, daß man einen Primus omnium habe durchfallen lassen, selbst wenn er, wie Gutschmidt, den 30jährigen Krieg nach den Jahreszahlen berechnen wollte.

Röstell. In seiner ernsten Gemüthstimmung bekämpften sich zwei Eigenschaften, Gutmüthigkeit und Argwohn. Während er selbst der harmloseste Karakter war, den man sich denken kann, so glaubte er doch allzuleicht das Böse, was man andern nachsagte, ja er vergrößerte es noch, so daß zu seinem eignen Bedauern, jeder Mensch mit einem sittlichen Makel behaftet war, oder sich irgend eine verbrecherische Handlung vorzuwerfen hatte. Nachdem wir diese Schwachheit – denn anders konnte man es nicht nennen – an ihm gemerkt, so legte Paul es darauf an, ihn in vertraulichen Gesprächen zu den allerübertriebensten Beschuldigungen anzureizen, so daß ihm bald die ganze Welt im übelsten Lichte erschien, bis Paul durch eine lustige Wendung den Schalk herauskehrte. Röstell widmete sich dem Studium des kanonischen Rechtes; er war einige Zeit bei der preußischen Gesandtschaft im Rom beschäftigt, wo er an der Beschreibung Roms von Bunsen und Platner sich betheiligte. Jetzt lebt er als Professor in Marburg.

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im ganzen genommen wisse der eine etwa eben so viel wie der andere, Lehmann ausgenommen. Es komme also nur darauf an, daß der Lehrer das frage, was man gerade wisse, oder was man nicht wisse. Bei den Glücklichen sei das erste der Fall, bei den Unglücklichen das zweite. Ueber meine Angst vor dem Examen machte er sich weidlich lustig: es sei doch sehr unwahrscheinlich, und gewiß noch nie vorgekommen, daß man einen Primus omnium habe durchfallen lassen, selbst wenn er, wie Gutschmidt, den 30jährigen Krieg nach den Jahreszahlen berechnen wollte. </p><lb/>
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[207/0215] im ganzen genommen wisse der eine etwa eben so viel wie der andere, Lehmann ausgenommen. Es komme also nur darauf an, daß der Lehrer das frage, was man gerade wisse, oder was man nicht wisse. Bei den Glücklichen sei das erste der Fall, bei den Unglücklichen das zweite. Ueber meine Angst vor dem Examen machte er sich weidlich lustig: es sei doch sehr unwahrscheinlich, und gewiß noch nie vorgekommen, daß man einen Primus omnium habe durchfallen lassen, selbst wenn er, wie Gutschmidt, den 30jährigen Krieg nach den Jahreszahlen berechnen wollte. Röstell. In seiner ernsten Gemüthstimmung bekämpften sich zwei Eigenschaften, Gutmüthigkeit und Argwohn. Während er selbst der harmloseste Karakter war, den man sich denken kann, so glaubte er doch allzuleicht das Böse, was man andern nachsagte, ja er vergrößerte es noch, so daß zu seinem eignen Bedauern, jeder Mensch mit einem sittlichen Makel behaftet war, oder sich irgend eine verbrecherische Handlung vorzuwerfen hatte. Nachdem wir diese Schwachheit – denn anders konnte man es nicht nennen – an ihm gemerkt, so legte Paul es darauf an, ihn in vertraulichen Gesprächen zu den allerübertriebensten Beschuldigungen anzureizen, so daß ihm bald die ganze Welt im übelsten Lichte erschien, bis Paul durch eine lustige Wendung den Schalk herauskehrte. Röstell widmete sich dem Studium des kanonischen Rechtes; er war einige Zeit bei der preußischen Gesandtschaft im Rom beschäftigt, wo er an der Beschreibung Roms von Bunsen und Platner sich betheiligte. Jetzt lebt er als Professor in Marburg. Uhden. Sein freundliches angenehmes Wesen machte

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/215>, abgerufen am 24.11.2024.