Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Einen unbeschreiblichen, fast möchte ich sagen einzigen Genuß gewährten die Vorträge des Fürsten Anton von Radzivil. Er war gerade damals mit der Komposition des Faust beschäftigt, die noch jetzt unter den geistlichweltlichen Werken einen ehrenvollen Platz einnimmt. Mit ihm fand Frau von der Recke die reichlichsten Anknüpfungspunkte des Gespräches, da sie in den Jahren 1791 u. 1792 mit ihrer Schwester der Herzogin längere Zeit in Warschau lebte, wegen eines ärgerlichen Prozesses zwischen dem letzten Herzoge von Kurland und seinen Landständen; die Sache kam bei der Krone Polen, als dem obersten Lehnsherrn zum Austrag, und die Stände wurden abgewiesen. Die Krone Polen bestand nun schon lange nicht mehr, Kurland war an Rußland gefallen, von den großen polnischen Geschlechtern hatten die Radzivil sich nach Berlin gewendet. Der Fürst Anton lebte mit einer preussischen Prinzessin, einer Muhme König Friedrich Wilhelms III., in der glücklichsten Ehe, und sah sich von einer blühenden, hoffnungsreichen Familie umgeben. Seine beiden Söhne ließ er das Werdersche Gymnasium besuchen, damit sie nicht in vornehmer Abgeschlossenheit verharren, sondern frühzeitig lernen sollten, sich in die Welt zu schicken. Den Vater Radzivil durfte man als das vollendete Muster eines feingebildeten Edelmannes betrachten. Von hoher kräftiger Gestalt that die mit den Jahren zunehmende Korpulenz der Elasticität seiner Bewegungen keinen Eintrag. Seine ausgesuchte Höflichkeit machte nicht den Eindruck kalter Herablassung, sondern sie trug den Stempel eines aus dem Herzen kommenden Wohlwollens. Wenn wir des Abends vor der Theestunde zu Tiedge kamen, Einen unbeschreiblichen, fast möchte ich sagen einzigen Genuß gewährten die Vorträge des Fürsten Anton von Radzivil. Er war gerade damals mit der Komposition des Faust beschäftigt, die noch jetzt unter den geistlichweltlichen Werken einen ehrenvollen Platz einnimmt. Mit ihm fand Frau von der Recke die reichlichsten Anknüpfungspunkte des Gespräches, da sie in den Jahren 1791 u. 1792 mit ihrer Schwester der Herzogin längere Zeit in Warschau lebte, wegen eines ärgerlichen Prozesses zwischen dem letzten Herzoge von Kurland und seinen Landständen; die Sache kam bei der Krone Polen, als dem obersten Lehnsherrn zum Austrag, und die Stände wurden abgewiesen. Die Krone Polen bestand nun schon lange nicht mehr, Kurland war an Rußland gefallen, von den großen polnischen Geschlechtern hatten die Radzivil sich nach Berlin gewendet. Der Fürst Anton lebte mit einer preussischen Prinzessin, einer Muhme König Friedrich Wilhelms III., in der glücklichsten Ehe, und sah sich von einer blühenden, hoffnungsreichen Familie umgeben. Seine beiden Söhne ließ er das Werdersche Gymnasium besuchen, damit sie nicht in vornehmer Abgeschlossenheit verharren, sondern frühzeitig lernen sollten, sich in die Welt zu schicken. Den Vater Radzivil durfte man als das vollendete Muster eines feingebildeten Edelmannes betrachten. Von hoher kräftiger Gestalt that die mit den Jahren zunehmende Korpulenz der Elasticität seiner Bewegungen keinen Eintrag. Seine ausgesuchte Höflichkeit machte nicht den Eindruck kalter Herablassung, sondern sie trug den Stempel eines aus dem Herzen kommenden Wohlwollens. Wenn wir des Abends vor der Theestunde zu Tiedge kamen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0031" n="23"/> </p><lb/> <p>Einen unbeschreiblichen, fast möchte ich sagen einzigen Genuß gewährten die Vorträge des Fürsten Anton von Radzivil. Er war gerade damals mit der Komposition des Faust beschäftigt, die noch jetzt unter den geistlichweltlichen Werken einen ehrenvollen Platz einnimmt. 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Einen unbeschreiblichen, fast möchte ich sagen einzigen Genuß gewährten die Vorträge des Fürsten Anton von Radzivil. Er war gerade damals mit der Komposition des Faust beschäftigt, die noch jetzt unter den geistlichweltlichen Werken einen ehrenvollen Platz einnimmt. Mit ihm fand Frau von der Recke die reichlichsten Anknüpfungspunkte des Gespräches, da sie in den Jahren 1791 u. 1792 mit ihrer Schwester der Herzogin längere Zeit in Warschau lebte, wegen eines ärgerlichen Prozesses zwischen dem letzten Herzoge von Kurland und seinen Landständen; die Sache kam bei der Krone Polen, als dem obersten Lehnsherrn zum Austrag, und die Stände wurden abgewiesen. Die Krone Polen bestand nun schon lange nicht mehr, Kurland war an Rußland gefallen, von den großen polnischen Geschlechtern hatten die Radzivil sich nach Berlin gewendet. Der Fürst Anton lebte mit einer preussischen Prinzessin, einer Muhme König Friedrich Wilhelms III., in der glücklichsten Ehe, und sah sich von einer blühenden, hoffnungsreichen Familie umgeben. Seine beiden Söhne ließ er das Werdersche Gymnasium besuchen, damit sie nicht in vornehmer Abgeschlossenheit verharren, sondern frühzeitig lernen sollten, sich in die Welt zu schicken.
Den Vater Radzivil durfte man als das vollendete Muster eines feingebildeten Edelmannes betrachten. Von hoher kräftiger Gestalt that die mit den Jahren zunehmende Korpulenz der Elasticität seiner Bewegungen keinen Eintrag. Seine ausgesuchte Höflichkeit machte nicht den Eindruck kalter Herablassung, sondern sie trug den Stempel eines aus dem Herzen kommenden Wohlwollens. Wenn wir des Abends vor der Theestunde zu Tiedge kamen,
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