Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].die Bekanntschaft des alten Voss, den wir seit langer Zeit wie einen Heros verehrten. Er ward, wie er in seiner Selbstbiographie angiebt, im Jahre 1805 "zu thatloser Mitwirkung für die erneuerte Universität" Heidelberg berufen, und verlebte nun, nach den herbsten Entbehrungen einer arbeitsvollen Jugend, ein wohlverdientes sorgenfreies Alter. Aber einen solchen Mann so geradehin zu besuchen, um vor ihm einen respektvollen Scharrfuß zu machen, fiel uns gar nicht ein. Wir beschlossen beim jungen Voss ein Kollegium über griechische Metrik zu belegen; er wohnte im Hause seines Vaters, und da hofften wir, vielleicht zufällig einmal dem alten Herrn auf der Treppe oder im Garten zu begegnen. Doch es kam viel schöner als wir gedacht. Beim ersten Besuche fanden wir den jungen Voss, den man nach Aussehn und Sprache nur für einen holsteinischen Bauern halten konnte, im dritten Stockwerke eines schmalen, aber wohnlichen Hauses (der früheren Anatomie), das mitten im dichtesten Grün eines kleinen Gartens stand. Voss notirte unsre Namen und hieß uns, nach einigen Tagen die Karten für die Plätze abholen. Weder im Garten noch auf der Treppe war etwas vom alten Herrn zu sehn, aber schon der Gedanke, mit ihm unter einem Dache gewesen zu sein, erfüllte uns mit Wonne. Beim zweiten Besuche sagte mir der junge Voss in seinem unendlich breiten holsteinischen deutsch: Mein Vater hat ihre Namen gesehn; er fragt, ob Sie ein Enkel von Friedrich Nicolai sind? Als ich dies bejahte, fuhr er fort: er wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen; ich werde Sie beide zu ihm hinunterbringen. Nun führte er uns in den ersten Stock hinab, wo wir seinen Vater in einem schmucklosen aber freundlichen Zimmer am Schreibtische sitzend die Bekanntschaft des alten Voss, den wir seit langer Zeit wie einen Heros verehrten. Er ward, wie er in seiner Selbstbiographie angiebt, im Jahre 1805 „zu thatloser Mitwirkung für die erneuerte Universität“ Heidelberg berufen, und verlebte nun, nach den herbsten Entbehrungen einer arbeitsvollen Jugend, ein wohlverdientes sorgenfreies Alter. Aber einen solchen Mann so geradehin zu besuchen, um vor ihm einen respektvollen Scharrfuß zu machen, fiel uns gar nicht ein. Wir beschlossen beim jungen Voss ein Kollegium über griechische Metrik zu belegen; er wohnte im Hause seines Vaters, und da hofften wir, vielleicht zufällig einmal dem alten Herrn auf der Treppe oder im Garten zu begegnen. Doch es kam viel schöner als wir gedacht. Beim ersten Besuche fanden wir den jungen Voss, den man nach Aussehn und Sprache nur für einen holsteinischen Bauern halten konnte, im dritten Stockwerke eines schmalen, aber wohnlichen Hauses (der früheren Anatomie), das mitten im dichtesten Grün eines kleinen Gartens stand. Voss notirte unsre Namen und hieß uns, nach einigen Tagen die Karten für die Plätze abholen. Weder im Garten noch auf der Treppe war etwas vom alten Herrn zu sehn, aber schon der Gedanke, mit ihm unter einem Dache gewesen zu sein, erfüllte uns mit Wonne. Beim zweiten Besuche sagte mir der junge Voss in seinem unendlich breiten holsteinischen deutsch: Mein Vater hat ihre Namen gesehn; er fragt, ob Sie ein Enkel von Friedrich Nicolai sind? Als ich dies bejahte, fuhr er fort: er wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen; ich werde Sie beide zu ihm hinunterbringen. Nun führte er uns in den ersten Stock hinab, wo wir seinen Vater in einem schmucklosen aber freundlichen Zimmer am Schreibtische sitzend <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0322" n="314"/> die Bekanntschaft des alten Voss, den wir seit langer Zeit wie einen Heros verehrten. Er ward, wie er in seiner Selbstbiographie angiebt, im Jahre 1805 „zu thatloser Mitwirkung für die erneuerte Universität“ Heidelberg berufen, und verlebte nun, nach den herbsten Entbehrungen einer arbeitsvollen Jugend, ein wohlverdientes sorgenfreies Alter. Aber einen solchen Mann so geradehin zu besuchen, um vor ihm einen respektvollen Scharrfuß zu machen, fiel uns gar nicht ein. Wir beschlossen beim jungen Voss ein Kollegium über griechische Metrik zu belegen; er wohnte im Hause seines Vaters, und da hofften wir, vielleicht zufällig einmal dem alten Herrn auf der Treppe oder im Garten zu begegnen. Doch es kam viel schöner als wir gedacht. Beim ersten Besuche fanden wir den jungen Voss, den man nach Aussehn und Sprache nur für einen holsteinischen Bauern halten konnte, im dritten Stockwerke eines schmalen, aber wohnlichen Hauses (der früheren Anatomie), das mitten im dichtesten Grün eines kleinen Gartens stand. Voss notirte unsre Namen und hieß uns, nach einigen Tagen die Karten für die Plätze abholen. Weder im Garten noch auf der Treppe war etwas vom alten Herrn zu sehn, aber schon der Gedanke, mit ihm unter einem Dache gewesen zu sein, erfüllte uns mit Wonne. </p><lb/> <p>Beim zweiten Besuche sagte mir der junge Voss in seinem unendlich breiten holsteinischen deutsch: Mein Vater hat ihre Namen gesehn; er fragt, ob Sie ein Enkel von Friedrich Nicolai sind? Als ich dies bejahte, fuhr er fort: er wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen; ich werde Sie beide zu ihm hinunterbringen. Nun führte er uns in den ersten Stock hinab, wo wir seinen Vater in einem schmucklosen aber freundlichen Zimmer am Schreibtische sitzend </p> </div> </body> </text> </TEI> [314/0322]
die Bekanntschaft des alten Voss, den wir seit langer Zeit wie einen Heros verehrten. Er ward, wie er in seiner Selbstbiographie angiebt, im Jahre 1805 „zu thatloser Mitwirkung für die erneuerte Universität“ Heidelberg berufen, und verlebte nun, nach den herbsten Entbehrungen einer arbeitsvollen Jugend, ein wohlverdientes sorgenfreies Alter. Aber einen solchen Mann so geradehin zu besuchen, um vor ihm einen respektvollen Scharrfuß zu machen, fiel uns gar nicht ein. Wir beschlossen beim jungen Voss ein Kollegium über griechische Metrik zu belegen; er wohnte im Hause seines Vaters, und da hofften wir, vielleicht zufällig einmal dem alten Herrn auf der Treppe oder im Garten zu begegnen. Doch es kam viel schöner als wir gedacht. Beim ersten Besuche fanden wir den jungen Voss, den man nach Aussehn und Sprache nur für einen holsteinischen Bauern halten konnte, im dritten Stockwerke eines schmalen, aber wohnlichen Hauses (der früheren Anatomie), das mitten im dichtesten Grün eines kleinen Gartens stand. Voss notirte unsre Namen und hieß uns, nach einigen Tagen die Karten für die Plätze abholen. Weder im Garten noch auf der Treppe war etwas vom alten Herrn zu sehn, aber schon der Gedanke, mit ihm unter einem Dache gewesen zu sein, erfüllte uns mit Wonne.
Beim zweiten Besuche sagte mir der junge Voss in seinem unendlich breiten holsteinischen deutsch: Mein Vater hat ihre Namen gesehn; er fragt, ob Sie ein Enkel von Friedrich Nicolai sind? Als ich dies bejahte, fuhr er fort: er wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen; ich werde Sie beide zu ihm hinunterbringen. Nun führte er uns in den ersten Stock hinab, wo wir seinen Vater in einem schmucklosen aber freundlichen Zimmer am Schreibtische sitzend
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |