Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].der während seines Aufenthaltes in Heidelberg viel bei Thibaut verkehrte. In Folge davon ward ich als Tenor in den Thibautschen Gesangverein aufgenommen. Hier habe ich viele frohe Stunden genossen. Die Musiken der alten Italiäner des 16. und 17. Jahrhunderts fingen eben an in Deutschland bekannt zu werden; fast gar nichts war gedruckt. Man hatte wohl von dem Miserere des Allegri gehört, das alljährlich am Osterfeste in der sixtinischen Kapelle im Vatikan aufgeführt wurde, und das Mozart in seinem Hute sollte heimlich nachgeschrieben haben; man nannte als Heroen die Meister Palestrina, Marcello, Scarlatti, Lotti, Orlando di Lasso: es kostete aber die gröste Mühe, ihre Werke in Abschriften zu erhalten. Thibaut hatte sich eine Menge der besten Sachen zu verschaffen gewußt, und brachte sie in seinem Hause jeden Donnerstag Abend zur Ausführung. Sopran und Alt waren mit den Töchtern befreundeter Familien besetzt, unter denen mehrere Fräulein Fries durch ihre Anmuth hervorglänzten, Tenor und Baß mit Studenten. Thibaut begleitete am Flügel, und in der Mitte des Saales stand der kleine Maler Christian Köster (der später einer meiner liebsten Freunde geworden), mit einer langen Papierrolle den Takt schlagend. In seiner Vorliebe für die Vokalmusik, die er in einer kleinen geistreichen aber einseitigen Schrift: über die Reinheit der Tonkunst, ausgesprochen, behandelte Thibaut diese Aufführungen mit einem rührenden feierlichen Ernst; sie waren ihm mehr ein Gottesdienst als ein Konzert. Es wurden ja ohnehin meist alte lateinische Kirchenmusiken gesungen. Einige Chöre aus Händels Messias und aus Grauns Tod Jesu gehörten zu den Ausnahmen. An man- der während seines Aufenthaltes in Heidelberg viel bei Thibaut verkehrte. In Folge davon ward ich als Tenor in den Thibautschen Gesangverein aufgenommen. Hier habe ich viele frohe Stunden genossen. Die Musiken der alten Italiäner des 16. und 17. Jahrhunderts fingen eben an in Deutschland bekannt zu werden; fast gar nichts war gedruckt. Man hatte wohl von dem Miserere des Allegri gehört, das alljährlich am Osterfeste in der sixtinischen Kapelle im Vatikan aufgeführt wurde, und das Mozart in seinem Hute sollte heimlich nachgeschrieben haben; man nannte als Heroen die Meister Palestrina, Marcello, Scarlatti, Lotti, Orlando di Lasso: es kostete aber die gröste Mühe, ihre Werke in Abschriften zu erhalten. Thibaut hatte sich eine Menge der besten Sachen zu verschaffen gewußt, und brachte sie in seinem Hause jeden Donnerstag Abend zur Ausführung. Sopran und Alt waren mit den Töchtern befreundeter Familien besetzt, unter denen mehrere Fräulein Fries durch ihre Anmuth hervorglänzten, Tenor und Baß mit Studenten. Thibaut begleitete am Flügel, und in der Mitte des Saales stand der kleine Maler Christian Köster (der später einer meiner liebsten Freunde geworden), mit einer langen Papierrolle den Takt schlagend. In seiner Vorliebe für die Vokalmusik, die er in einer kleinen geistreichen aber einseitigen Schrift: über die Reinheit der Tonkunst, ausgesprochen, behandelte Thibaut diese Aufführungen mit einem rührenden feierlichen Ernst; sie waren ihm mehr ein Gottesdienst als ein Konzert. Es wurden ja ohnehin meist alte lateinische Kirchenmusiken gesungen. Einige Chöre aus Händels Messias und aus Grauns Tod Jesu gehörten zu den Ausnahmen. An man- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0324" n="316"/> der während seines Aufenthaltes in Heidelberg viel bei Thibaut verkehrte. In Folge davon ward ich als Tenor in den Thibautschen Gesangverein aufgenommen. Hier habe ich viele frohe Stunden genossen. </p><lb/> <p>Die Musiken der alten Italiäner des 16. und 17. Jahrhunderts fingen eben an in Deutschland bekannt zu werden; fast gar nichts war gedruckt. Man hatte wohl von dem Miserere des Allegri gehört, das alljährlich am Osterfeste in der sixtinischen Kapelle im Vatikan aufgeführt wurde, und das Mozart in seinem Hute sollte heimlich nachgeschrieben haben; man nannte als Heroen die Meister Palestrina, Marcello, Scarlatti, Lotti, Orlando di Lasso: es kostete aber die gröste Mühe, ihre Werke in Abschriften zu erhalten. Thibaut hatte sich eine Menge der besten Sachen zu verschaffen gewußt, und brachte sie in seinem Hause jeden Donnerstag Abend zur Ausführung. Sopran und Alt waren mit den Töchtern befreundeter Familien besetzt, unter denen mehrere Fräulein Fries durch ihre Anmuth hervorglänzten, Tenor und Baß mit Studenten. Thibaut begleitete am Flügel, und in der Mitte des Saales stand der kleine Maler Christian Köster (der später einer meiner liebsten Freunde geworden), mit einer langen Papierrolle den Takt schlagend. </p><lb/> <p>In seiner Vorliebe für die Vokalmusik, die er in einer kleinen geistreichen aber einseitigen Schrift: über die Reinheit der Tonkunst, ausgesprochen, behandelte Thibaut diese Aufführungen mit einem rührenden feierlichen Ernst; sie waren ihm mehr ein Gottesdienst als ein Konzert. Es wurden ja ohnehin meist alte lateinische Kirchenmusiken gesungen. Einige Chöre aus Händels Messias und aus Grauns Tod Jesu gehörten zu den Ausnahmen. An man- </p> </div> </body> </text> </TEI> [316/0324]
der während seines Aufenthaltes in Heidelberg viel bei Thibaut verkehrte. In Folge davon ward ich als Tenor in den Thibautschen Gesangverein aufgenommen. Hier habe ich viele frohe Stunden genossen.
Die Musiken der alten Italiäner des 16. und 17. Jahrhunderts fingen eben an in Deutschland bekannt zu werden; fast gar nichts war gedruckt. Man hatte wohl von dem Miserere des Allegri gehört, das alljährlich am Osterfeste in der sixtinischen Kapelle im Vatikan aufgeführt wurde, und das Mozart in seinem Hute sollte heimlich nachgeschrieben haben; man nannte als Heroen die Meister Palestrina, Marcello, Scarlatti, Lotti, Orlando di Lasso: es kostete aber die gröste Mühe, ihre Werke in Abschriften zu erhalten. Thibaut hatte sich eine Menge der besten Sachen zu verschaffen gewußt, und brachte sie in seinem Hause jeden Donnerstag Abend zur Ausführung. Sopran und Alt waren mit den Töchtern befreundeter Familien besetzt, unter denen mehrere Fräulein Fries durch ihre Anmuth hervorglänzten, Tenor und Baß mit Studenten. Thibaut begleitete am Flügel, und in der Mitte des Saales stand der kleine Maler Christian Köster (der später einer meiner liebsten Freunde geworden), mit einer langen Papierrolle den Takt schlagend.
In seiner Vorliebe für die Vokalmusik, die er in einer kleinen geistreichen aber einseitigen Schrift: über die Reinheit der Tonkunst, ausgesprochen, behandelte Thibaut diese Aufführungen mit einem rührenden feierlichen Ernst; sie waren ihm mehr ein Gottesdienst als ein Konzert. Es wurden ja ohnehin meist alte lateinische Kirchenmusiken gesungen. Einige Chöre aus Händels Messias und aus Grauns Tod Jesu gehörten zu den Ausnahmen. An man-
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