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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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ausfüllte. Kaum hatte Engelmann gehört, daß wir beide italiänisch verständen, als er uns dringend bat, eine Korrektur des Alfieri zu übernehmen, den er eben für Schumann in Zwickau drucken sollte. Er versicherte, wir hülfen ihm dadurch aus der grösten Verlegenheit, denn in ganz Heidelberg sei kein italiänischer Korrektor aufzutreiben. Wir nahmen den Vorschlag an, und korrigirten zusammen den Alfieri mit so großer Sorgfalt, daß nur sehr wenige Druckfehler sich darin finden dürften.

Bei dieser Gelegenheit setzten wir es auch durch, den Autor zu lesen, was bekanntlich für den Korrektor nicht leicht ist, und erst nach vollendeter Korrektur geschehn kann. Der Eindruck war ein durchaus fremdartiger. Man befindet sich bei Alfieri wie in einer andern Welt. Die von den französischen Tragikern misverstandene aristotelische Einheit von Zeit, Ort und Handlung ist bei Alfieri in der allerstriktesten Weise durchgeführt. Alle Aeußerlichkeiten des Theaters, das doch wesentlich eine Schaubühne sein soll, sind abgestreift, der Ort der Handlung kömmt kaum in Betracht, es geht fast gar nichts auf der Bühne vor, die Karakteristik der Personen folgt einem todten Schema und entbehrt jeder lebendigen dramatischen Gestaltung. Wir fanden die meisten Stücke langweilig. Dennoch genießt Alfieri bei den Italiänern eines unbestrittenen Ruhmes wegen seiner edlen Gesinnung, wegen seiner hohen Begeisterung für Freiheit, wegen seines glühenden Hasses gegen Tyrannei und Unterdrückung. Lange Zeit waren seine Stücke wegen ihrer liberalen Tendenzen verboten. Heut zu Tage (1870) wandern sie nur selten, gleichsam Anstands halber, über die italiänischen Bühnen, und gehören nicht zu denjenigen, die ein volles Haus machen.

ausfüllte. Kaum hatte Engelmann gehört, daß wir beide italiänisch verständen, als er uns dringend bat, eine Korrektur des Alfieri zu übernehmen, den er eben für Schumann in Zwickau drucken sollte. Er versicherte, wir hülfen ihm dadurch aus der grösten Verlegenheit, denn in ganz Heidelberg sei kein italiänischer Korrektor aufzutreiben. Wir nahmen den Vorschlag an, und korrigirten zusammen den Alfieri mit so großer Sorgfalt, daß nur sehr wenige Druckfehler sich darin finden dürften.

Bei dieser Gelegenheit setzten wir es auch durch, den Autor zu lesen, was bekanntlich für den Korrektor nicht leicht ist, und erst nach vollendeter Korrektur geschehn kann. Der Eindruck war ein durchaus fremdartiger. Man befindet sich bei Alfieri wie in einer andern Welt. Die von den französischen Tragikern misverstandene aristotelische Einheit von Zeit, Ort und Handlung ist bei Alfieri in der allerstriktesten Weise durchgeführt. Alle Aeußerlichkeiten des Theaters, das doch wesentlich eine Schaubühne sein soll, sind abgestreift, der Ort der Handlung kömmt kaum in Betracht, es geht fast gar nichts auf der Bühne vor, die Karakteristik der Personen folgt einem todten Schema und entbehrt jeder lebendigen dramatischen Gestaltung. Wir fanden die meisten Stücke langweilig. Dennoch genießt Alfieri bei den Italiänern eines unbestrittenen Ruhmes wegen seiner edlen Gesinnung, wegen seiner hohen Begeisterung für Freiheit, wegen seines glühenden Hasses gegen Tyrannei und Unterdrückung. Lange Zeit waren seine Stücke wegen ihrer liberalen Tendenzen verboten. Heut zu Tage (1870) wandern sie nur selten, gleichsam Anstands halber, über die italiänischen Bühnen, und gehören nicht zu denjenigen, die ein volles Haus machen.

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[333/0341] ausfüllte. Kaum hatte Engelmann gehört, daß wir beide italiänisch verständen, als er uns dringend bat, eine Korrektur des Alfieri zu übernehmen, den er eben für Schumann in Zwickau drucken sollte. Er versicherte, wir hülfen ihm dadurch aus der grösten Verlegenheit, denn in ganz Heidelberg sei kein italiänischer Korrektor aufzutreiben. Wir nahmen den Vorschlag an, und korrigirten zusammen den Alfieri mit so großer Sorgfalt, daß nur sehr wenige Druckfehler sich darin finden dürften. Bei dieser Gelegenheit setzten wir es auch durch, den Autor zu lesen, was bekanntlich für den Korrektor nicht leicht ist, und erst nach vollendeter Korrektur geschehn kann. Der Eindruck war ein durchaus fremdartiger. Man befindet sich bei Alfieri wie in einer andern Welt. Die von den französischen Tragikern misverstandene aristotelische Einheit von Zeit, Ort und Handlung ist bei Alfieri in der allerstriktesten Weise durchgeführt. Alle Aeußerlichkeiten des Theaters, das doch wesentlich eine Schaubühne sein soll, sind abgestreift, der Ort der Handlung kömmt kaum in Betracht, es geht fast gar nichts auf der Bühne vor, die Karakteristik der Personen folgt einem todten Schema und entbehrt jeder lebendigen dramatischen Gestaltung. Wir fanden die meisten Stücke langweilig. Dennoch genießt Alfieri bei den Italiänern eines unbestrittenen Ruhmes wegen seiner edlen Gesinnung, wegen seiner hohen Begeisterung für Freiheit, wegen seines glühenden Hasses gegen Tyrannei und Unterdrückung. Lange Zeit waren seine Stücke wegen ihrer liberalen Tendenzen verboten. Heut zu Tage (1870) wandern sie nur selten, gleichsam Anstands halber, über die italiänischen Bühnen, und gehören nicht zu denjenigen, die ein volles Haus machen.

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/341>, abgerufen am 22.11.2024.