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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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an sich von keiner besonderen Wichtigkeit, aber durch die natürlich-angenehme Art, mit der Lilli sie darzustellen wußte, erregten sie mein lebhaftestes Interesse. Die Ankunft eines jeden ihrer Briefe war mir ein Fest, und weil in solchen Dingen Gegenseitigkeit zu herrschen pflegt, so schrieb sie mir dasselbe von den meinigen. Paul war in unserm Bunde der dritte, aber er betrieb die Sache mehr systematisch. Während ich ohne viel Nachdenken hinschrieb was mir gerade in die Feder kam, so brauchte es bei Paul einer kürzeren oder längeren Ueberlegung, ehe er sich zu einem Briefe entschloß, der dann immer als ein wohlgerundetes Ganzes dastand. Ich nannte dies eine zu große Pedanterei; er erwiederte lachend, wenn Tieck irgendwo im Phantasus verlange, daß jedes Tischgespräch ein Kunstwerk sein solle, so dürfe man wohl denselben Maasstab an einen Brief legen.

Auch mit Fritz in Lausanne blieb ich im steten Verkehr. Er gehörte zu jenen gefährlichen Korrespondenten, die jedesmal mit umgehender Post antworten. Dadurch wird in der Regel binnen kurzem der Briefwechel aufgelöst: denn der andre kann oder will selten eben so schnell antworten, er läßt eine Woche hingehn und noch eine, es wird ein Monat oder noch mehr daraus; nun fängt er seinen Brief mit dem unangenehmen Geschäfte an, sich wegen langen Schweigens entschuldigen zu müssen, und ist froh, wenn er diese Last abgewälzt hat. Erfolgt nun hierauf wieder eine umgehende Antwort, so wird dem andern gleich wieder eine neue Last aufgelegt, und es ist klar, daß bei dem besten Willen der Verkehr ins Stocken gerathen wird. Da ich Fritzens Eigenheit kannte, so entschlug ich mich ein für allemal jeder Entschuldigung, und

an sich von keiner besonderen Wichtigkeit, aber durch die natürlich-angenehme Art, mit der Lilli sie darzustellen wußte, erregten sie mein lebhaftestes Interesse. Die Ankunft eines jeden ihrer Briefe war mir ein Fest, und weil in solchen Dingen Gegenseitigkeit zu herrschen pflegt, so schrieb sie mir dasselbe von den meinigen. Paul war in unserm Bunde der dritte, aber er betrieb die Sache mehr systematisch. Während ich ohne viel Nachdenken hinschrieb was mir gerade in die Feder kam, so brauchte es bei Paul einer kürzeren oder längeren Ueberlegung, ehe er sich zu einem Briefe entschloß, der dann immer als ein wohlgerundetes Ganzes dastand. Ich nannte dies eine zu große Pedanterei; er erwiederte lachend, wenn Tieck irgendwo im Phantasus verlange, daß jedes Tischgespräch ein Kunstwerk sein solle, so dürfe man wohl denselben Maasstab an einen Brief legen.

Auch mit Fritz in Lausanne blieb ich im steten Verkehr. Er gehörte zu jenen gefährlichen Korrespondenten, die jedesmal mit umgehender Post antworten. Dadurch wird in der Regel binnen kurzem der Briefwechel aufgelöst: denn der andre kann oder will selten eben so schnell antworten, er läßt eine Woche hingehn und noch eine, es wird ein Monat oder noch mehr daraus; nun fängt er seinen Brief mit dem unangenehmen Geschäfte an, sich wegen langen Schweigens entschuldigen zu müssen, und ist froh, wenn er diese Last abgewälzt hat. Erfolgt nun hierauf wieder eine umgehende Antwort, so wird dem andern gleich wieder eine neue Last aufgelegt, und es ist klar, daß bei dem besten Willen der Verkehr ins Stocken gerathen wird. Da ich Fritzens Eigenheit kannte, so entschlug ich mich ein für allemal jeder Entschuldigung, und

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[340/0348] an sich von keiner besonderen Wichtigkeit, aber durch die natürlich-angenehme Art, mit der Lilli sie darzustellen wußte, erregten sie mein lebhaftestes Interesse. Die Ankunft eines jeden ihrer Briefe war mir ein Fest, und weil in solchen Dingen Gegenseitigkeit zu herrschen pflegt, so schrieb sie mir dasselbe von den meinigen. Paul war in unserm Bunde der dritte, aber er betrieb die Sache mehr systematisch. Während ich ohne viel Nachdenken hinschrieb was mir gerade in die Feder kam, so brauchte es bei Paul einer kürzeren oder längeren Ueberlegung, ehe er sich zu einem Briefe entschloß, der dann immer als ein wohlgerundetes Ganzes dastand. Ich nannte dies eine zu große Pedanterei; er erwiederte lachend, wenn Tieck irgendwo im Phantasus verlange, daß jedes Tischgespräch ein Kunstwerk sein solle, so dürfe man wohl denselben Maasstab an einen Brief legen. Auch mit Fritz in Lausanne blieb ich im steten Verkehr. Er gehörte zu jenen gefährlichen Korrespondenten, die jedesmal mit umgehender Post antworten. Dadurch wird in der Regel binnen kurzem der Briefwechel aufgelöst: denn der andre kann oder will selten eben so schnell antworten, er läßt eine Woche hingehn und noch eine, es wird ein Monat oder noch mehr daraus; nun fängt er seinen Brief mit dem unangenehmen Geschäfte an, sich wegen langen Schweigens entschuldigen zu müssen, und ist froh, wenn er diese Last abgewälzt hat. Erfolgt nun hierauf wieder eine umgehende Antwort, so wird dem andern gleich wieder eine neue Last aufgelegt, und es ist klar, daß bei dem besten Willen der Verkehr ins Stocken gerathen wird. Da ich Fritzens Eigenheit kannte, so entschlug ich mich ein für allemal jeder Entschuldigung, und

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/348>, abgerufen am 02.06.2024.