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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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hause besucht, und ein schönes, aber räthselhaftes Gemälde bewundert, das bei dem Licentiaten Werner über der Treppe hing. Es stellte in zwei lebensgroßen Figuren die Verkündigung Mariae dar, gefiel durch lobenswerthe Zeichnung, Farbe und Ausführung, hatte aber etwas so fremdartiges in der Behandlung, daß niemand sich getraute, es einem bestimmten Meister beizulegen; selbst darüber waren die Stimmen getheilt, ob es italiänisch, deutsch oder spanisch sei. Heinrich Heß, der mich auf das Bild aufmerksam machte, hielt es für alt-italiänisch. In Stuttgart versäumten wir nicht, das gastfreie Haus des Baron von Tautphöus aufzusuchen. Er hatte die Güte, uns Einlaßkarten für die eben tagende würtenbergische Ständeversamlung zu geben, und hier fanden wir armen, absolutistisch regierten Preußen zum ersten Male Gelegenheit, dem Gebahren einer landständischen Vertretung beizuwohnen. Ich erinnere mich nur, daß mir das Verfahren sehr zweckmäßig und durchaus würdig vorkam. Es ward eine Finanzfrage erörtert, in der ein Freiherr von Varnbüler in beredter Weise die Interessen der Regierung vertrat. Die würtenbergische Verfassung war damals noch sehr jung, kaum zwei Jahre alt; sie wuchs nach und nach heran, und bewährte sich trotz aller Stürme als ein unentbehrliches Hülfsmittel des schwäbischen Staatslebens. In jener Zeit dachte ich nicht, daß wir in Berlin noch 30 Jahre - ein volles Menschenalter - würden warten müssen, bis die preußischen Landstände zusammentraten.



Als unser Hauderer in Heidelberg vor der Heppei stillhielt, genoß ich einer doppelten unerwarteten Freude: aus dem Fenster links guckte Fritz, aus dem rechts Bras-

hause besucht, und ein schönes, aber räthselhaftes Gemälde bewundert, das bei dem Licentiaten Werner über der Treppe hing. Es stellte in zwei lebensgroßen Figuren die Verkündigung Mariae dar, gefiel durch lobenswerthe Zeichnung, Farbe und Ausführung, hatte aber etwas so fremdartiges in der Behandlung, daß niemand sich getraute, es einem bestimmten Meister beizulegen; selbst darüber waren die Stimmen getheilt, ob es italiänisch, deutsch oder spanisch sei. Heinrich Heß, der mich auf das Bild aufmerksam machte, hielt es für alt-italiänisch. In Stuttgart versäumten wir nicht, das gastfreie Haus des Baron von Tautphöus aufzusuchen. Er hatte die Güte, uns Einlaßkarten für die eben tagende würtenbergische Ständeversamlung zu geben, und hier fanden wir armen, absolutistisch regierten Preußen zum ersten Male Gelegenheit, dem Gebahren einer landständischen Vertretung beizuwohnen. Ich erinnere mich nur, daß mir das Verfahren sehr zweckmäßig und durchaus würdig vorkam. Es ward eine Finanzfrage erörtert, in der ein Freiherr von Varnbüler in beredter Weise die Interessen der Regierung vertrat. Die würtenbergische Verfassung war damals noch sehr jung, kaum zwei Jahre alt; sie wuchs nach und nach heran, und bewährte sich trotz aller Stürme als ein unentbehrliches Hülfsmittel des schwäbischen Staatslebens. In jener Zeit dachte ich nicht, daß wir in Berlin noch 30 Jahre – ein volles Menschenalter – würden warten müssen, bis die preußischen Landstände zusammentraten.



Als unser Hauderer in Heidelberg vor der Heppei stillhielt, genoß ich einer doppelten unerwarteten Freude: aus dem Fenster links guckte Fritz, aus dem rechts Bras-

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[355/0363] hause besucht, und ein schönes, aber räthselhaftes Gemälde bewundert, das bei dem Licentiaten Werner über der Treppe hing. Es stellte in zwei lebensgroßen Figuren die Verkündigung Mariae dar, gefiel durch lobenswerthe Zeichnung, Farbe und Ausführung, hatte aber etwas so fremdartiges in der Behandlung, daß niemand sich getraute, es einem bestimmten Meister beizulegen; selbst darüber waren die Stimmen getheilt, ob es italiänisch, deutsch oder spanisch sei. Heinrich Heß, der mich auf das Bild aufmerksam machte, hielt es für alt-italiänisch. In Stuttgart versäumten wir nicht, das gastfreie Haus des Baron von Tautphöus aufzusuchen. Er hatte die Güte, uns Einlaßkarten für die eben tagende würtenbergische Ständeversamlung zu geben, und hier fanden wir armen, absolutistisch regierten Preußen zum ersten Male Gelegenheit, dem Gebahren einer landständischen Vertretung beizuwohnen. Ich erinnere mich nur, daß mir das Verfahren sehr zweckmäßig und durchaus würdig vorkam. Es ward eine Finanzfrage erörtert, in der ein Freiherr von Varnbüler in beredter Weise die Interessen der Regierung vertrat. Die würtenbergische Verfassung war damals noch sehr jung, kaum zwei Jahre alt; sie wuchs nach und nach heran, und bewährte sich trotz aller Stürme als ein unentbehrliches Hülfsmittel des schwäbischen Staatslebens. In jener Zeit dachte ich nicht, daß wir in Berlin noch 30 Jahre – ein volles Menschenalter – würden warten müssen, bis die preußischen Landstände zusammentraten. Als unser Hauderer in Heidelberg vor der Heppei stillhielt, genoß ich einer doppelten unerwarteten Freude: aus dem Fenster links guckte Fritz, aus dem rechts Bras-

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/363>, abgerufen am 24.11.2024.