Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].satze festhielt: rien que les lois! Sie misbilligte auf das entschiedenste das Hetzen und Wühlen der Reactionäre. Die Gräfin Chassepot stritt so heftig und so anhaltend über diese Materien mit der Herzogin, daß ich oft Gelegenheit fand, die Geduld und Nachsicht der letzteren gegen ihre geistig unebenbürtige Gegnerin zu bewundem. Mehr als einmal dachte ich an die Regel unserer guten Madame Clause: toujours se souvenir, que la troisieme replique est une impertinence! Danach mußte ich die Gräfin zu den impertinentesten Personen rechnen, und war mehr als einmal versucht, die Stacheln gegen sie herauszukehren. Die zweite Gesellschaftsdame, Madame Waldron, eine alte gutmüthige Engländerin mit einem lahmen Beine, Wittwe eines englischen See-Offizieres, besaß negative Lebensart genug, um auch in der feinsten Gesellschaft nicht anzustoßen. Sie hatte in ihrer Jugend Nelson gekannt, und war mit auf dem englischen Kriegschiffe gewesen, auf welchem Nelson die neapolitanische Königsfamilie im Jahre 1799 vor den anrückenden Franzosen nach Palermo rettete. Die Abfahrt erfolgte gegen Abend bei etwas bewegtem Meere; in der Nacht frischte der Wind auf, die königliche Familie wurde erbärmlich seekrank, und ließ dem Admiral auf Deck sagen, er möge anlanden und sie aussteigen lassen. Aber Nelson lachte sie aus, ließ noch mehr Segel aufsetzen, und brachte die hohen Herrschaften mit gänzlich ausgeleerten Mägen in 20 Stunden nach Palermo. In der Politik kannte Madame Waldron nichts höheres als das englische Parlament, und blickte sehr verachtend auf die französischen Versuche, etwas ähnliches einzuführen. satze festhielt: rien que les lois! Sie misbilligte auf das entschiedenste das Hetzen und Wühlen der Reactionäre. Die Gräfin Chassepot stritt so heftig und so anhaltend über diese Materien mit der Herzogin, daß ich oft Gelegenheit fand, die Geduld und Nachsicht der letzteren gegen ihre geistig unebenbürtige Gegnerin zu bewundem. Mehr als einmal dachte ich an die Regel unserer guten Madame Clause: toujours se souvenir, que la troisieme replique est une impertinence! Danach mußte ich die Gräfin zu den impertinentesten Personen rechnen, und war mehr als einmal versucht, die Stacheln gegen sie herauszukehren. Die zweite Gesellschaftsdame, Madame Waldron, eine alte gutmüthige Engländerin mit einem lahmen Beine, Wittwe eines englischen See-Offizieres, besaß negative Lebensart genug, um auch in der feinsten Gesellschaft nicht anzustoßen. Sie hatte in ihrer Jugend Nelson gekannt, und war mit auf dem englischen Kriegschiffe gewesen, auf welchem Nelson die neapolitanische Königsfamilie im Jahre 1799 vor den anrückenden Franzosen nach Palermo rettete. Die Abfahrt erfolgte gegen Abend bei etwas bewegtem Meere; in der Nacht frischte der Wind auf, die königliche Familie wurde erbärmlich seekrank, und ließ dem Admiral auf Deck sagen, er möge anlanden und sie aussteigen lassen. Aber Nelson lachte sie aus, ließ noch mehr Segel aufsetzen, und brachte die hohen Herrschaften mit gänzlich ausgeleerten Mägen in 20 Stunden nach Palermo. In der Politik kannte Madame Waldron nichts höheres als das englische Parlament, und blickte sehr verachtend auf die französischen Versuche, etwas ähnliches einzuführen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0427" n="419"/> satze festhielt: rien que les lois! Sie misbilligte auf das entschiedenste das Hetzen und Wühlen der Reactionäre. Die Gräfin Chassepot stritt so heftig und so anhaltend über diese Materien mit der Herzogin, daß ich oft Gelegenheit fand, die Geduld und Nachsicht der letzteren gegen ihre geistig unebenbürtige Gegnerin zu bewundem. Mehr als einmal dachte ich an die Regel unserer guten Madame Clause: toujours se souvenir, que la troisieme replique est une impertinence! Danach mußte ich die Gräfin zu den impertinentesten Personen rechnen, und war mehr als einmal versucht, die Stacheln gegen sie herauszukehren. </p><lb/> <p>Die zweite Gesellschaftsdame, Madame Waldron, eine alte gutmüthige Engländerin mit einem lahmen Beine, Wittwe eines englischen See-Offizieres, besaß negative Lebensart genug, um auch in der feinsten Gesellschaft nicht anzustoßen. Sie hatte in ihrer Jugend Nelson gekannt, und war mit auf dem englischen Kriegschiffe gewesen, auf welchem Nelson die neapolitanische Königsfamilie im Jahre 1799 vor den anrückenden Franzosen nach Palermo rettete. Die Abfahrt erfolgte gegen Abend bei etwas bewegtem Meere; in der Nacht frischte der Wind auf, die königliche Familie wurde erbärmlich seekrank, und ließ dem Admiral auf Deck sagen, er möge anlanden und sie aussteigen lassen. Aber Nelson lachte sie aus, ließ noch mehr Segel aufsetzen, und brachte die hohen Herrschaften mit gänzlich ausgeleerten Mägen in 20 Stunden nach Palermo. </p><lb/> <p>In der Politik kannte Madame Waldron nichts höheres als das englische Parlament, und blickte sehr verachtend auf die französischen Versuche, etwas ähnliches einzuführen. </p> </div> </body> </text> </TEI> [419/0427]
satze festhielt: rien que les lois! Sie misbilligte auf das entschiedenste das Hetzen und Wühlen der Reactionäre. Die Gräfin Chassepot stritt so heftig und so anhaltend über diese Materien mit der Herzogin, daß ich oft Gelegenheit fand, die Geduld und Nachsicht der letzteren gegen ihre geistig unebenbürtige Gegnerin zu bewundem. Mehr als einmal dachte ich an die Regel unserer guten Madame Clause: toujours se souvenir, que la troisieme replique est une impertinence! Danach mußte ich die Gräfin zu den impertinentesten Personen rechnen, und war mehr als einmal versucht, die Stacheln gegen sie herauszukehren.
Die zweite Gesellschaftsdame, Madame Waldron, eine alte gutmüthige Engländerin mit einem lahmen Beine, Wittwe eines englischen See-Offizieres, besaß negative Lebensart genug, um auch in der feinsten Gesellschaft nicht anzustoßen. Sie hatte in ihrer Jugend Nelson gekannt, und war mit auf dem englischen Kriegschiffe gewesen, auf welchem Nelson die neapolitanische Königsfamilie im Jahre 1799 vor den anrückenden Franzosen nach Palermo rettete. Die Abfahrt erfolgte gegen Abend bei etwas bewegtem Meere; in der Nacht frischte der Wind auf, die königliche Familie wurde erbärmlich seekrank, und ließ dem Admiral auf Deck sagen, er möge anlanden und sie aussteigen lassen. Aber Nelson lachte sie aus, ließ noch mehr Segel aufsetzen, und brachte die hohen Herrschaften mit gänzlich ausgeleerten Mägen in 20 Stunden nach Palermo.
In der Politik kannte Madame Waldron nichts höheres als das englische Parlament, und blickte sehr verachtend auf die französischen Versuche, etwas ähnliches einzuführen.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/427>, abgerufen am 16.07.2024. |